„Ich habe schlechte Nachrichten“, sagt der Arzt. Multiresistente Erreger schwächen Thomas K. Körper unaufhaltsam. Jedes gängige Antibiotikum ist wirkungslos. Thomas K. ist kein Einzelfall. Viele haben Angst vor einer Zukunft, in der Antibiotika nicht mehr helfen.
Thomas K. hat ein großes Hobby. Reisen. Sobald er genügend Geld gespart hat und Urlaub nehmen kann, zieht es ihn in die Ferne. Ob er dem Plätschern der Niagara-Fälle zuhört, Heliskiing auf dem Ruby Mountain betreibt oder sich am Strand von Hawaii sonnt – es soll immer ein besonders erinnerungswürdiges Erlebnis sein. Im Sommer beschließt er mit einem Bekannten, eine dreimonatige Tour durch Indien zu unternehmen. Das Taj Mahal, der Goldene Tempel, Delhi und Mumbai – all diese Orte stehen auf ihrer Liste. Doch was als aufregender Sightseeing-Urlaub startete, endete beinahe tödlich. Zunächst lief alles nach Plan. „Aber irgendwann bekam ich diesen brennenden Schmerz in meinem Bauch“, erinnert sich Thomas. „Ich versuchte es mit Schmerzmitteln und bekam Antibiotika im Krankenhaus, doch es wurde immer schlimmer. Es fühlte sich an, als stünde mein Körper in Flammen.“ Die beiden Männer entschließen sich zu einem Rückflug in ihre Heimat, in die USA. „Der ganze Flug war eine Qual. Ich dachte das überlebe ich nicht“, erzählt Thomas. „In Kalifornien angekommen, kam ich sofort in die Notaufnahme.“
Fieses Urlaubsmitbringsel
„Und dann sagte der Arzt plötzlich zur mir ‚Ich habe schlechte Nachrichten‘.“ Der 45-jährige Unternehmer erinnert sich daran, als sei es gestern gewesen. „Sie werden heute Abend nicht nach Hause gehen. Sie kommen sofort in den OP“, fuhr der Arzt fort.
Monate später versucht Thomas immer noch, sein Leben zurückzugewinnen, nachdem eine antibiotikaresistente E. coli Infektion seine Welt auf den Kopf gestellt hat. „Ich versuche immer noch zu begreifen, wie das passieren konnte. Ich habe mein ganzes Leben gesund gelebt, viel Sport gemacht und auf gute Ernährung geachtet, aber dieses kleine Bakterium hätte mich beinahe umgebracht.“
Sogenannte ESBL-bildende E. coli Bakterien, superresistente Keime, hatten seinen Darm infiziert, es kam zum Durchbruch in die Bauchhöhle. Chirurgen mussten dem Unternehmer gut 20 cm des Darms entfernen. Da die Bakterien gegen nahezu jedes verfügbare Antibiotikum resistent waren, wurden immer wieder antiseptische Spülungen durchgeführt. Schließlich schafft es sein Immunsystem, den Erreger soweit zu bekämpfen, dass die Infektion zurückgeht. „Ich hatte Glück im Unglück“, meint Thomas. Nachdem er ein halbes Jahr nicht arbeiten konnte und 15 kg Gewicht verlor, versucht er nun, wieder in Form zu kommen. „Ich bete, dass dieses fiese Bakterium nun für immer aus meinem Körper verschwunden ist.“
Die Albtraumbakterien
Das ist kein Einzelfall. Erst Anfang dieses Jahres berichteten amerikanische Forscher von einem schockierenden Fall, bei dem eine 70-jährige Frau aus Nevada an den Folgen einer Infektion mit multiresistenten Erregern starb. Auch sie verbrachte davor einige Zeit in Indien, dem Land das knapp 70 % der weltweiten Antibiotikaproduktion stellt und immer wieder mit dem Auftauchen von neuen multiresistenten Keimen in der Presse landet. Dort brach sich die 70-Jährige den rechten Hüftknochen – was sich als fatale Verletzung herausstellen sollte. Der Bruch zog eine Hüftknocheninfektion nach sich und mehrere Aufenthalte in indischen Krankenhäusern. Als die Frau sich schließlich in ein amerikanisches Krankenhaus in Reno begab, war es bereits zu spät. Nach einigen Tests fanden die Ärzte heraus, dass sie sich mit einem Carbapenem-resistenten Enterobakterium (CRE) infiziert hatte. Diese eigentlich gewöhnlichen Bakterien leben im Darm eines Menschen und haben gegen eine bestimmte Antibiotika-Klasse Resistenzen entwickelt, die ein wichtiges Reserveantibiotikum darstellen, wenn andere Mittel versagen. Der Direktor des Zentrum für Krankheitskontrolle und Prävention (CDC) Dr. Tom Frieden beschreibt CREs deswegen auch als „Albtraumbakterien“.
Für die 70-jährige US-Amerikanerin ein echter Albtraum, denn es stellte sich heraus, dass die Bakterien, die sich mittlerweile in ihrem ganzen Körper ausgebreitet hatten, nicht nur gegen eine, sondern gegen alle verfügbaren Antibiotikaklassen resistent waren. So unglaublich es klingt, aber der Keim war gegen alle 14 verschiedenen Medikamente abgehärtet, die dem Krankenhaus bei der Bekämpfung der Infektion zur Verfügung standen. „Das war das erste Mal, dass wir so etwas erlebt haben“, schreiben die Forscher des Berichts. Eine Probe, die an das amerikanische Zentrum für Krankheitskontrolle und Prävention geschickt wurde, ergab nach weiteren Testungen, dass es kein einziges Medikament gab, was die Infektion hätte bekämpfen können. „Ich finde das sehr besorgniserregend“, schreibt Forscher Lei Chen. „Wir haben uns so lange auf immer neuere Antibiotika verlassen. Aber offensichtlich können die Keime schneller Resistenzen entwickeln, als wir in der Lage sind, Nachschub zu beschaffen.“ Die Frau aus Nevada bekam das am eigenen Leib zu spüren. Da die Infektion nicht eingedämmt werden konnte, starb sie schließlich an einem septischen Schock.
Zauberwaffe gegen Killerbakterien
Wie konnte es soweit kommen? Um das zu verstehen, muss man wissen, wie Antibiotika eigentlich wirken. Dafür lohnt sich ein Blick in die Geschichte.
Erst 1928 wurde das erste Antibiotikum gefunden. Und das war purer Zufall. Damals experimentierte der Schotte Alexander Fleming in seinem Labor mit dem Bakterium Staphylokokkus aureus, das beispielsweise eine Lungenentzündung auslösen kann. Doch es gab eine Panne. Eines Tages entdeckte der Forscher, dass ein Schimmelpilz in seine Bakterienkulturen gelangt war. Normalerweise warfen die Wissenschaftler dann die „verdorbene“ Probe weg, sie war unbrauchbar für die Bakterienexperimente geworden. Nicht so jedoch Fleming. Er bemerkte, dass rund um den Pilz keine Bakterien zu wachsen schienen – der Bakterienrasen war verschwunden. Diese Entdeckung regte ihn zu weiteren Experimenten an und bald fand er heraus, dass der Schimmelpilz eine bakterienabtötende Substanz absonderte. Das „Penicillin“ war entdeckt und 1944 startete die erste großtechnische Produktion in den USA.
Doch wie wirkte der Schimmelpilzstoff? Zugrunde liegt allen Antibiotika der Mechanismus, gezielt bakterielle Strukturen anzugreifen, die menschlichen Zellen aber in Ruhe zu lassen. Das funktioniert, da sich Bakterien und Körperzellen in einigen Dingen unterscheiden.
Das Penicillin beispielsweise greift die bakteriellen Zellwände an, zerstört sie und macht dadurch die Bakterien unschädlich. Da menschliche Zellen keine Zellwand, sondern nur eine Zellmembran besitzen, bleiben sie davon verschont. Ähnlich wie die Penicilline funktionieren auch die Antibiotikaklassen der Cephalosporine und Carbapeneme. Einen anderen Wirkmechanismus nutzen dagegen die Makrolide, Aminoglykoside, Tetrazykline und Lincosamide.
20 verschiedene Klassen von Antibiotika
Diese greifen in die Proteinproduktion der Bakterien ein, die an den sogenannten Ribosomen stattfindet. Bakterien besitzen 70S-Ribosomen, während menschliche Zellen 80S-Ribosomen enthalten. Da die Antibiotika nur in die 70S-Ribosomen der Bakterien eingreifen, bleiben unsere Körperzellen also geschützt. Die Antibiotikagruppen der Chinolone und Nitroimidazole dagegen schädigen die DNA der Bakterien. Diese liegt frei im Zellinneren vor und benötigt zum Aufbau bestimmte Enzyme, die sich von menschlichen Zellen unterscheiden. Außerdem gibt es noch Antibiotika wie Cotrimoxazol, die die bakterielle Folsäuresynthese hemmen. Während Bakterien diese selbst herstellen müssen und für das Wachstum benötigen, nehmen wir Menschen das Vitamin über die Nahrung auf und haben beispielsweise in der Schwangerschaft einen erhöhten Bedarf.
Inzwischen gibt es rund 20 verschiedene Klassen von Antibiotika. Die meisten wurden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrunderts entwickelt, doch Ende der 80er Jahre nahm die Forschung nach neuen Antibiotika sukzessive ab. Die Arzneimittelforschung ist kostspielig geworden. Pharmaunternehmen müssen im Schnitt eine Milliarde Euro ausgeben und 13 Jahre investieren, bis ein Medikament auf den Markt kommt.
Anders als bei Medikamenten gegen chronische Leiden wie Diabetes, die ein Leben lang eingenommen werden müssen und damit sehr rentabel sind, sind die Erfolgsaussichten, neue Antibiotika zu entdecken und daran gut zu verdienen, deutlich geringer. Während derzeit in den USA an fast 800 Krebsmedikamenten und Impfstoffen geforscht wird, liegt die Zahl potentiell neu entwickelter Antibiotika gerade einmal bei 41. Doch auch die zunehmende Resistenzentwicklung macht die Entwicklung schwer.
Die Geburt des Superbakteriums
Resistenz bedeutet im Grunde Widerstand. Bei einer Antibiotikaresistenz reagieren also die Bakterien nicht auf das verabreichte Medikament. Es gibt viele verschiedene Arten von Resistenzen. Von einer primären Resistenz spricht man, wenn die Bakterien die Resistenz schon zeitlebens haben. Das heißt hier hätte das Antibiotikum noch nie gewirkt, es besitzt eine Wirkungslücke gegen eine bestimmte Bakterienspezies. So wirken beispielsweise Cephalosporine nicht gegen Enterkokken – Bakterien, die natürlicherweise in unserem Darm leben. Man spricht hier von einer „Enterokokkenlücke“.
Es gibt aber auch sogenannte sekundäre Resistenzen. Hierbei erwerben die Bakterien spontan die Resistenz, beispielsweise durch eine Mutation im Erbgut der Keime. Diese kann zum Beispiel zur Folge haben, dass das Bakterium ein Enzym ausbilden kann, was die Antibiotika zerspaltet und damit unwirksam macht. Es kann aber auch dazu führen, dass die Bakterien ihre Zellmembran so verändern, dass die antibiotische Substanz nicht mehr durchkommt oder es werden bakterielle Angriffspunkte wie das Ribosom verändert, sodass das Antibiotikum dort nicht mehr wirken kann. Bakterien können solche Resistenzen auch untereinander durch den Austausch von genetischem Erbmaterial weitergeben, man spricht dabei von einer Übertragung.
Viele Antibiotika = viele Resistenzen
Resistenzen entstehen vor allem dort, wo viele Antibiotika im Umlauf sind. Selbst aggressive Antibiotika töten nie alle Keime ab, sondern nur etwa 99 %. Man kann sich das in etwa so vorstellen: Die Bakterien sind eine widerständische Wikingerarmee, die von einem gegnerischen Dorf – den Antibiotika angegriffen werden. Die Antibiotika kennen genau die Schwachstellen der Wikinger und schaffen es, sie zu besiegen. Doch ein paar der Wikinger waren so schlau sich vorher eine Überlebensstrategie (Resistenzmechanismen) zu überlegen und überleben den Kampf. Sie haben nun ganz viel Platz in ihrem Dorf, sodass ihre Gemeinschaft immer weiter wächst bis hin zu einer Millionenmetropole. Die Wikinger geben die Überlebenstaktik an ihre Kinder weiter, diese an die Kindeskinder und immer so weiter (Übertragung von Resistenzgenen). Beim nächsten Angriff der Antibiotika gewinnen die Wikingerbakterien schließlich den Kampf – sie sind resistent geworden. Die Bakterienarmee kann ihre Überlebenstaktik aber auch an benachbarte Dörfer (Kolonien) und sogar an fremdländische Krieger (andere Arten) weitergeben.
Eine Multiresistenz ist die Unempfindlichkeit gegenüber mehrerer Antibiotika verschiedener Klassen. Die Wikinger haben also nicht nur eine, sondern im Laufe der Zeit ganz viele verschiedene Strategien entworfen, um die Antibiotika-Attacken zu überstehen. Mehrfachresistente Keime wie beispielsweise der Methicillin-resistenter Staphylokokkus aureus (MRSA) sind Problemkeime, da gegen sie nur noch ganz wenige Medikamente – sogenannte Reserveantibiotika helfen. Inzwischen gibt es aber auch Keime, gegen die gar keine bekannten Antibiotika mehr wirken. Bereits 1945 warnte Penicillinentdecker Alexander Fleming in seiner Rede auf der Preisverleihung in Stockholm vor den Folgen eines unkontrollierten Gebrauchs seines Wundermittels: „Die Zeit wird kommen, in der Penicillin von jedermann gekauft werden kann. Dadurch besteht die Gefahr, dass der Unwissende das Penicillin in zu niedrigen Dosen verwendet. Indem er die Mikroben nun nicht tödlichen Dosen aussetzt, macht er sie resistent.“
Geheimwaffe gegen fiese Mikroben
Während immer weniger neue wirksame Antibiotika entdeckt werden, nehmen hochgefährliche Keime weltweit rasant zu. Das Ganze wird immer mehr zum globalen Problem. Doch was können wir dagegen tun?
In Deutschland sollen mit dem sogenannten „Dart 2020“-Konzept in Zusammenarbeit mit der WHO Lösungen gefunden werden. Der Globale Aktionsplan zur Bekämpfung von Antibiotika-Resistenzen wurde 2015 überarbeitet und umfasst unter anderem strengere Gesetze zur Meldepflicht von resistenten Keimen. Seit letztem Jahr müssen Ärzte in Deutschland Antibiotika-resistente Erreger umgehend melden, sobald sie nachgewiesen werden. Zuvor waren die Keime erst beim Krankheitsausbruch angezeigt worden. Das soll helfen, die Übersicht über Ausbildung von Resistenzen im Blick zu behalten und zu einem sinnvolleren Einsatz der Antibiotika nach Resistenzlage beizutragen. Zudem ist ein weiteres Ziel, das bloße Entstehen von Infektionen einzudämmen, beispielsweise durch bessere Hygienemaßnahmen im Krankenhaus. Gerade die Händedesinfektion wird von Krankenhauspersonal oft unterschätzt, genauso wie die notwendige Hygiene im Operationssaal oder am Krankenbett.
Auch ein möglichst kritisch hinterfragter und streng auf die Indikation zugeschnittener Einsatz von Antibiotika ist Teil des Plans. Riesige Mengen an Antibiotika und anderer antimikrobieller Medikamente werden weltweit an Menschen verteilt, die diese nicht benötigen. Noch immer werden Antibiotika viel zu häufig verschrieben und zu früh wieder abgesetzt, was die Resistenzbildung stark fördert. Antibiotika werden selbst bei harmlosen Viruserkältungen eingesetzt, obwohl sie dagegen gar nicht helfen.
Sinnvoller Antibiotikaeinsatz statt Süßigkeiten schlucken
Doch ein noch viel größeres Problem stellt der Einsatz in der Tierhaltung dar. Ohne jede Rücksicht werden hier jedes Jahr weltweit zwischen 63.000 und 240.000 Tonnen von Antibiotika – und damit sehr viel mehr als in der Humanmedizin – an Schweine, Kühe und andere Masttiere verfüttert. Das soll zum einen die Infektionsraten in den Ställen gering halten, in denen die Tiere auf engstem Raum leben, und zum anderen die Mast fördern – und damit billige Fleischpreise garantieren.
Weder Tier noch Mensch wird damit geholfen. Im Gegenteil: Durch den Verzehr von antibiotikahaltigem Fleisch können sogar Resistenzen auf den menschlichen Körper übertragen werden. Obwohl dieser vorher noch nie Kontakt mit einem Antibiotikum hatte, können die Bakterien seiner Flora dann trotzdem dagegen resistent werden. Doch ausgerechnet das „Dart2020“-Konzept bleibt in der Frage einer strengen Gesetzgebung zur Eindämmung des Antibiotikaverbrauchs in der Tiermast sehr vage: Es werde „geprüft, ob und inwieweit eine verbindlichere Festlegung den Nutzen für den Verbraucherschutz und die Tiergesundheit steigern könnte“, heißt es beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Dennoch konnte der Antibiotikaverbrauch in Deutschland bereits gesenkt werden. Wurden im Jahr 2011 noch knapp 1.700 Tonnen an Tierärzte ausgegeben, so waren es im Jahr 2015 nur noch etwa 800 Tonnen und damit fast genauso viel wie in der Humanmedizin. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die Regelung, dass pharmazeutische Unternehmen seit 2011 die abgegebene Antibiotikamenge für Tiere an ein zentrales Register melden müssen.
Laut dem britischen Ökonom Jim O'Neil könnten schon im Jahr 2050 zehn Millionen Menschen pro Jahr an Infektionen sterben, gegen die Antibiotika machtlos sind. Die Leute müssten aufhören, Antibiotika wie Süßigkeiten zu schlucken, zitiert die BBC O'Neil. Bereits heute würden 700.000 Menschen jedes Jahr an den Folgen einer Infektion mit resistenten Keimen sterben. In Deutschland sind davon nach Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene 40.000 Menschen betroffen. Geht die Entwicklung so weiter wie bisher, könnte das 2050 einen Toten alle drei Sekunden bedeuten. „Wenn wir das Problem nicht lösen, werden wir in die dunklen Zeiten zurückkatapultiert, in denen viele Menschen an banalen Infektionen starben“, so O'Neil. „ Dann könnten wichtige Operationen wie Kaiserschnitte lebensgefährlich werden.“
Zurück in die Zukunft – Zeitreise in das postantibiotische Zeitalter?
„Leute fragen mich oft ‚Wie viel Angst sollte man haben? Wie nahe stehen wir am Rande des Abgrunds?‘ Und ich sage ihnen: Wir sind bereits dabei, hineinzustürzen. Es passiert. Es passiert einfach – bis jetzt in sehr kleinem Maßstab und meistens weit weg von uns. Es betrifft Menschen, die wir nicht kennen – darum hat es nicht so großen emotionalen Einfluss.“
Dr. James Johnson, University of Minnesota
So düster sieht Dr. James Johnson, Professor für Infektionsmedizin an der University of Minnesota und Spezialist am Minnesota VA Medical Center unsere Zukunft. Doch sind die zunehmenden Resistenzentwicklungen wirklich Vorboten einer mittelalterlichen Ära ohne Möglichkeiten zur Bekämpfung von Infektionen?
Selbst Keiji Fukuda, Generaldirektor für Gesundheitssicherheit bei der WHO, warnt vor den Folgen: „Der Rückfall in eine solche Ära ist keineswegs ein apokalyptisches Hirngespinst, sondern eine sehr reale Bedrohung für das 21. Jahrhundert.“
Was tun wir also ohne Antibiotika? Mit dieser Frage beschäftigen sich Menschen auf der ganzen Welt, sie alle vereint die Vision von einer Medizin, die ohne traditionelle Antibiotika auskommt. Es gibt momentan viele Bestrebungen, das Resistenzproblem zu lösen. Nicht nur an der Entwicklung neuer Antibiotika wird geforscht, sondern auch an alternativen Möglichkeiten zur Keimabtötung.
Bakteriellen Briefkasten zukleben
Ein neuer Ansatz zur Bekämpfung von Bakterien fokussiert sich vor allem darauf, diese nicht komplett abzutöten, sondern „nur“ unschädlich zu machen, beispielsweise, indem man ihre Kommunikation unterbindet. Die wie nach einem Zauberspruch aus Harry Potter klingende Bakterienart „Pseudonomas aeruginosa“ setzt unter anderem den giftigen Farbstoff Pyocyanin frei, welcher menschliches Gewebe angreift. Das feuchtigkeitsliebende Bakterium kommt vor allem in Luftbefeuchtern, Waschbecken, Blumenvasen und Seifenbehältern vor und kann bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem zu Infektionen der Atemwege und Harnwege sowie zu Wundinfektionen und Blutvergiftungen führen. Die Bakterien produzieren den Farbstoff jedoch nur in einer gemeinsamen Gruppe – er hilft ihnen, sich miteinander zu verständigen und sozusagen Angriffe gegen menschliche Zellen zu planen.
Forschern vom Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung im Saarland gelang es nun kürzlich, die Ausschüttung des giftigen Produkts zu unterbinden. Sie klebten den Bakterien quasi den Briefkasten zu und verhinderten damit einen Austausch untereinander. In Tierversuchen war der Trick erfolgreich: Die Bakterien mit dem verabreichten Klebstoff produzierten tatsächlich weniger Pyocyanin und die Überlebensrate von mit Pseudomonas infizierten Würmern und Larven stieg. Obwohl diese Forschung noch in den Kinderschuhen steckt, erhofft man sich, eines Tages daraus ein Medikament für Menschen entwickeln zu können. „Im Gegensatz zu Antibiotika greift unser Wirkstoff nicht in lebenswichtige Stoffwechselwege der Bakterien ein, sondern blockiert nur deren Pathogenität“, erklärt Rolf Hartmann vom Helmholtz-Institut. Dadurch, dass die Bakterien nicht abgetötet werden, verschaffen sie mutierten Erregern also auch keinen Überlebensvorteil und somit sei die Wahrscheinlichkeit der Resistenzentwicklung viel geringer.
Mit Plastik-Morgensternen Leben retten
Großen internationalen Wirbel erzeugte kürzlich auch die erst 25-jährige australische Studentin Shu Lam mit ihrer Forschung zu alternativen Antibiotikatherapien. Sie erzeugte im Labor eine Art Morgenstern namens SNAPP (structurally nanoengineered antimicrobial peptide polymer), ein sternförmiges kleines Plastikteilchen, das als Waffe gegen multiresistente Bakterien eingesetzt werden kann. Die scharfen Kanten des Polymersterns schlitzen die Bakterienzellwände auf und verursachen dadurch so viel Stress in den Mikroben, dass diese sich von selbst abtöten. Shu Lam konnte mit dieser Methode sechs verschiedene superresistente Stämme ohne Antibiotika unschädlich machen. Die in Nature Microbiology veröffentlichte Publikation schlug große Wellen in der Wissenschaftswelt, man sieht sie als einen Durchbruch, der die Medizinwelt verändern könnte.
“Wir haben herausgefunden, dass die Polymere sehr gut darin sind, Bakterieninfektionen zu bekämpfen“, erklärt die Studentin. „Sie sind sehr effektiv in der Behandlung von Antibiotika-resistenten Keimen in Mäusen. Gleichzeitig zerstören sie auch nicht die gesunden Körperzellen.“
Die SNAPPs sind klein genug, um Bakterienwände aufzuschlitzen, aber zu groß, um gesunde Körperzellen zu verletzen. Bisher konnten sie in allen Experimenten die entsprechenden Bakterien abtöten. Und es scheint, als würden die Keime keine Resistenzen dagegen entwickeln. Allerdings ist es noch viel zu früh, um auf einen baldigen Einsatz beim Menschen zu hoffen. Es sind noch viele Versuche und Studien notwendig. Doch Shu Lam bleibt optimistisch „Ich hoffe wirklich, dass die Polymere, die wir zu entwickeln versuchen, eines Tages eine Lösung sein können.“
Angriff der Auftragskiller: Bakterienfresser ahoi
Wissenschaftler des Leibniz-Insituts Braunschweig entwickelten kürzlich eine der vielversprechendsten neuen Waffen gegen multiresistente Keime. Diese Waffe besteht aus tausenden von kleinen bakterienfressenden Piraten, den sogannten Phagen (griech. „phagos“ bedeutet „fressen“). Phagen sind spezielle Arten von Viren, die sich auf das Vernichten von Bakterien spezialisiert haben und kommen natürlicherweise überall dort vor, wo es auch Bakterien gibt, so auch in uns Menschen. Ihre Leibspeise sind Bakterien – man könnte sie als eine Art Auftragskiller beschreiben. Aufgebaut sind sie wie ein kleines Raumschiff: eine kopfartige Proteinhülle schützt das wichtige Innere – ihren genetischen Code – und riesige spinnenartige Füße dienen zur Befestigung auf Oberflächen. Die nur 2.000 Nanometer großen Phagen docken mit ihren Tentakelfüßen an die Bakterienwände an und kapern sie daraufhin.
Die Viren injizieren den Bakterien ihr Erbgut und übernehmen dadurch die volle Kontrolle über die gesamte Bakterienzelle. Sie wird umgewandelt zu einer Art Legebatterie, die das Phagen-Erbgut klont und daraufhin hunderte neuer kleiner Nachkommen freisetzt. Dabei geht das Bakterium kaputt und die Baby-Phagen suchen sich neue Opfer. Dies ist ein Kreislauf, der sich so lange fortsetzt, bis keine Bakterien mehr übrig sind. Die ideale Waffe also im Kampf gegen Killerbakterien.
Vergessenes Heilmittel
Phagen haben jedoch bestimmte Vorlieben. Jede Phage hat ihre eigene Lieblingsspeise: eine Bakterienart oder sogar nur einen bestimmten Erregerstamm. Das kann Fluch und Segen zugleich sein. Einerseits kann man gezielt bestimmte Krankmacher abtöten und die nützliche Mikroflora des Menschen schützen. Andererseits ist es mühsam und nicht lukrativ, zu jeder Bakterienart die passenden Phagen zu finden.
Dabei ist die Idee keine neue. Die Phagentherapie wurde ungefähr zeitgleich mit der Entdeckung der Antibiotika Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt, geriet jedoch bald darauf in der westlichen Welt in Vergessenheit. Phagen kennt man aber noch in den östlichen Ländern. Dort werden sie als Arzneimittel gegen Wunden, Durchfall oder Blasenentzündungen in Form von Saft, Tabletten, Salben und sogar Tampons eingesetzt.
Das georgische Eliava-Institut ist das größte Zentrum der Phagen-Produktion und -Forschung. Patienten können dort ihre krank machenden Bakterien analysieren lassen und bekommen kurz darauf einen passenden Viren-Cocktail mit nach Hause. In Deutschland ist man allerdings sehr viel vorsichtiger: Die Viren sind als Medikament offiziell nicht zugelassen, jedoch auch nicht verboten. Auch die Pharmaindustrie zeigt noch wenig Interesse an den kleinen Bakterienkillern, doch dies könnte sich bald ändern.
Das US-amerikanische „National Institute of Allergy and Infectious Disease“ hat bereits 2014 die Phagentherapie auf die Liste der aussichtsreichsten Strategien gegen die wachsende Zahl resistenter Keime gesetzt. Belgische und französische Forscher haben mit „Phagoburn“ schon erste klinische Studien zum Wirksamkeitsnachweis der Phagentherapie gestartet. Sie konnten bereits Erfolge in der Therapie von Herzmuskelentzündungen durch Pseudomonas aeruginosa nachweisen. Zieht die deutsche Politik nach und schafft die rechtlichen Grundlagen für den Einsatz von Phagen, könnte sie auch bald bei uns eingesetzt werden.
Nanomedizin: kleine Vampire als Helfer
Eine andere Forschergruppe um Liangfang Zhang versucht, Methoden der Nanomedizin gegen die bakteriellen Kleintierchen einzusetzen. Die Idee: Man möchte eine präzise maßgeschneiderte Waffe gegen die Mikroben einsetzen. Nano kommt aus dem griechischen von „nanos“ und bedeutet übersetzt Zwerg. Mit „nano“ gibt man den milliardsten Teil eines Meters an, ein Nanometer (nm) entspricht also 10-9 m = 0,000000001 m. So klein sind die Dimensionen, in denen sich die Nanomedizin bewegt.
Die Wissenschaftler entwickelten nun winzigkleine schwammähnliche Kügelchen aus Nanopartikeln, die krankmachende Giftstoffe der bakteriellen Erreger Staphylokokkus und Streptokokkus aufsaugen sollen. Die Toxine dieser Bakterienarten löchern normalerweise die Hüllen unserer Blutzellen und zerstören sie auf diese Weise. Wenn nun aber – mit einem Überzug aus roten Blutzellen getarnte – Nanopartikel in den Körper von Mäusen gespritzt werden und diese anschließend mit dem Bakteriengift infiziert werden, passiert Folgendes: Die Giftteilchen bohren sich in die als Erythrozyten getarnten Nanoschwämmchen, das Gift wird aufgesaugt und kann keinen Schaden mehr anrichten.
Anschließend werden die vollgesaugten Kügelchen vom Körper der Mäuse ohne Schaden abgebaut. In diesem Experiment überlebten annähernd 90 % der Labormäuse eine eigentlich tödliche Giftdosis. Spritzt man die kleinen Nanovampire hingegen erst nach dem Gift, überlebten gerade noch die Hälfte der Mäuse. Diese Technik ist zwar noch lange nicht ausgereift, stellt aber einen interessanten Ansatz dar, da man so viele verschiedene Bakterientoxine unschädlich machen könnte – auch die von multiresistenten Erregern.
Superhelden gesucht: Nur gemeinsam sind sie stark
Noch hat es keiner der neuen Wirkstoffe in die Apotheke geschafft. Zunächst müssen weitere Studien zeigen, dass die Medikamente nicht nur in Tierversuchen, sondern auch im menschlichen Körper nutzen können und keinen anderweitigen Schaden anrichten. Außerdem muss man klären, ob sie auch bei tatsächlichen ausgebrochenen Infektionen helfen.
Große Hoffnung setzt man aber auch in sogenannte wirtsbasierte Therapien wie Impfungen, die das Immunsystem des Patienten ankurbeln sollen. „Die eine neue Wundermedizin, die Antibiotika ein für alle Mal ablöst, wird es wohl nie geben“, erklärt Winfried Kern, der bis 2013 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie war und derzeit Sprecher der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Fachgesellschaften in der Infektionsmedizin ist. „Aber vielleicht viele unterschiedliche Therapieformen, mit denen man gezielter gegen die krank machende Wirkung verschiedener Bakterien vorgehen kann.“
Neue Wirkstoffe werden dringend gebraucht, damit in Zukunft Patienten wie Thomas K. effektiv behandelt werden können. Lange Zeit haben wir geschlafen. Wir haben uns auf die Vorarbeit der Pharmaindustrie in der goldenen Ära der 50er bis 70er Jahre verlassen. Doch jetzt müssen wir aufwachen und dringend mehr Maßnahmen zur Resistenzvermeidung und Erforschung alternativer Medikamente ergreifen, damit wir am Ende den Wettlauf gegen die Zeit nicht verlieren.
Nützliche Links zum Thema:
Das Dart-2020-Konzept der Bundesregierung: http://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/Publikationen/Ministerium/Broschueren/BMG_DART_2020_Bericht_dt.pdf
Bericht des britischen Ökonomen Jim O’Neil über Antibiotikaresistenzen: https://amr-review.org/sites/default/files/160518_Final%20paper_with%20cover.pdf
Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene: http://www.krankenhaushygiene.de/pdfdata/presse/2012/2012_03_22_pressemitteilung.pdf