Ich werde manchmal für mein Interesse an den Patienten auf den Arm genommen. „Lieschen, lass das doch. Du hast bei der Patientin nichts gefunden, das in den orthopädisch-unfallchirurgischen Bereich gehört. Also ab mit ihr auf die Innnere, Gynäkologie, Urologie oder Psychosomatik. Turfen, turfen, turfen. Das dauert doch alles viel zu lange.“
Ja, manchmal. Meistens allerdings nicht. Ein Blutwert mehr, eine Frage mehr oder doch noch ein U-Status. So schwer ist das nicht. Es spart den Patienten sehr viel Zeit. Schicke ich die Patientin mit den unteren Rückenschmerzen noch mal extra zur Inneren, Urologie oder Gyn, wenn ich davon ausgehe, dass es „bloß“ eine Blasenentzündung ist? Sicherlich nicht. Ein U-Status und das passende Antibiotikum finde ich auch als Unfallchirurgin. Zur Not frage ich bei den daneben sitzenden Kollegen einfach kurz nach.
Allerdings kann ich recht hartnäckig sein und gebe tatsächlich nicht allzu schnell auf. Ein Beispiel dafür: Frau Kuhn. Kommt mit „Beckenschmerzen“. Was soll denn das sein? Wo, am Becken? Sie weiß auch nicht. Ich sehe in der Krankenakte nach. Zehn ambulante Aufenthalte in unserer Notaufnahme. Diagnose: „ISG-Arthrose, Bursa trochanterica, Ansatztendinose, Hüftgelenksarthrose, Lumboischialgie, etc.“
Aha. Ein paar Briefe sind einfach nur „kopiert“ und mit neuem Datum versehen. Anamnestisch komme ich bei ihr nicht weiter. Die Untersuchung zeigt nichts Auffälliges. Das Röntgen zeigt nichts Besonderes. Der Unterbauch ist etwas hart und prall. „Probleme beim Wasserlassen?“
„Oh, keine Ahnung. Da unten ist alles etwas komisch.“
Äh, was? – „Ja, eine Urinprobe konnte ich auch noch nicht abgeben. Das funktioniert nicht immer.“ Sonographisch ist die Blase gefüllt, aber nicht prall.
Ich bitte die Notaufnahmeschwester einen Urin abzunehmen. Sie rollt mit den Augen. „Och, Lieschen, nicht schon wieder.“
Sie kommt nach wenigen Minuten zurück. „Das musst du dir mal anschauen, aber da kriege ich keinen Katheter rein.“ Nach einem Blick weiß ich, warum. Karzinom. Gynäkologie. Ziemlich eindeutig.
Heute turfe ich tatsächlich.