Es folgen ein paar wild zusammengewürfelte Geschichten von Notfällen verschiedener Art. Jede Ähnlichkeit mit wahren Fällen ist rein zufällig und muss auf dem beispielhaften Charakter der Fälle beruhen.
„Meine Freundin ist vom Fahrrad gestürzt.“, berichtet die aufgebrachte Anruferin, und weiter: „Wir brauchen Hilfe! Und ich habe nur Ihre Nummer.“
Das zum Gespräch gehörige Telefon steht nicht in einer Rettungsleitstelle, wie man vermuten könnte. Sondern in einem kleinen Krankenhaus einer Kurinsel. Entsprechend lautet die Empfehlung: „Wenn Sie medizinische Hilfe brauchen, müssen Sie die 112 anrufen.“
Die Antwort irritiert mich: „Ach, die 112 gilt auch hier?“
Nach dem Auflegen bin ich erst einmal etwas ratlos. Bislang ging ich davon aus, die 112 wäre im Bundesgebiet ausreichend bekannt. Ist es dem unfallbedingten Schrecken zuzuschreiben oder was ist los? Fahrradstürze sind hier nicht selten, weil „man hier eben Fahrrad fährt“, und das nach meiner 20-jährigen Fahrradabstinenz – dafür aber eben auf unebenen Straßen und selbstverständlich mit dem E-Bike!
Fahrradsturz auf das Gesäß
Der Rettungsdienst saust kurz darauf mit viel Licht und Ton dem Unfallort entgegen und ich bin gespannt auf die Anmeldung und Anamnese. Diese lautet: „Fahrradsturz auf das Gesäß, dort Schmerzen. Kein Hinweis auf Fraktur, pDMS ok.“
Beim Wenden des Rades im Stand habe die Dame das Gleichgewicht verloren und sei auf ihr Gesäß gefallen. Nach der ersten ziemlich unauffälligen Untersuchung der fußläufigen Patientin, die humpelnd das Aufnahmezimmer betritt und mal hier, mal da im Bereich der unteren LWS Schmerzen verspürt, wie ich sie selbst auch erwarten würde, wenn ich auf den Hintern falle, verstehe ich eines nicht: „Warum haben Sie den Rettungsdienst gerufen?“
Wozu jetzt der Rettungswagen?
Entgeistert starrt die Dame mich an und antwortet: „Na, weil es weh tut!“
„Ah, ja“, denke ich. „Dann ist ja alles klar.“
Gut für die Dame: Sie kann mit der Empfehlung eines OTC-Präparates zur Schmerzlinderung direkt wieder (fußläufig) in ihr Feriendomizil gehen.
Für mich – ich mag ihr Unrecht tun – landet sie für diese Famulatur auf den vorderen Plätzen unnötiger Krankenhausbesuche. In diesem Fall kann man ihr noch ein mangelndes Köpergefühl, Angst vor was auch immer, auf jeden Fall Unbeholfenheit zugutehalten, mein Verständnis endet allerdings mit dem nächsten Fall.
Dyspnoe bei Fahrradtour
Die unangefochtene Nummer 1 der Was-macht-der-hier-Kandidaten ist ein junger Mann, der ebenfalls mit dem Rettungswagen eingewiesen wurde.
Das Einsatzstichwort „Dyspnoe“ stellte sich als trauriger Tod eines Insekts im Magen des jungen Mannes heraus, welches während der Fahrradtour eine Stunde zuvor seinen Weg durch den offenen Mund in die Speiseröhre und vermutlich seinen Tod durch Salzsäure gefunden hatte. Bei leerer Allergieanamnese litt der Patient unter einem leichten Kratzen im Hals. Wir entschieden uns, nach penibler Inspektion des Mund- und Rachenraums und körperlicher Untersuchung, gegen ein endoskopisches Abbergen des Insekts. Auch wenn das Tierchen bestimmt unter Dyspnoe gelitten hatte.
„Krankenhaus? Aber ich bin doch im Urlaub!“
Dass es auch anders geht, beweisen die folgenden beiden Fälle. Ein Mann mit lange bekannten Erkrankungen der Lunge und des Herzens wird mit deutlicher respiratorischer Insuffizienz vom Rettungsdienst eingewiesen. In den letzten Tagen sei die Luft zunehmend schlechter geworden, berichtet er. Außerdem habe er neulich ein Heimsauerstoffgerät verschrieben bekommen. Nein, das habe er nicht dabei, sein Lungenspezialist habe gesagt, er brauche das nicht.
Nicht im Reizklima, nicht, wenn er es schon zu Hause braucht, wo er sich weniger bewegt. Nicht auf einer Insel mit eingeschränkter medizinischer Versorgung. Nein.
Ohne die Hintergründe der Entscheidung zu verstehen, zeigt sich der Herr immerhin mit einem stationären Aufenthalt zur Stabilisierung einverstanden. Das scheint in Anbetracht einer schweren Erkrankung selbstverständlich? Ist es mitnichten!
Nebenverdienst für Hotelangestellte
Tachyarrhythmia absoluta? Neu aufgetretenes hämodynamisch relevantes Vorhofflimmern, schwere Herzklappendefekte mit Bewusstlosigkeit? Frakturen größerer Röhrenknochen? Sicher, Grund genug für einen Besuch im Krankenhaus. Aber gleich dableiben? „Nein, ich bin doch im Urlaub! Geben Sie mir doch eine Spritze und dann gehe ich wieder.“ So sagen die einen.
Andere rufen im Hotel an und bieten den Angestellten Geld an, damit diese sie in der Körperpflege und beim Ankleiden unterstützen, was ob der (noch nicht dislozierten) Fraktur alleine nicht mehr möglich ist. Es sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Hotelangestellten das Angebot begeistert auf-, aber nicht angenommen haben.
Was ich noch sagen wollte ...
Es sei abschließend angemerkt, dass ich grundsätzlich der Meinung bin, dass jeder eine für sich als Bedrohung empfundene Beschwerde selbstverständlich durch einen Arzt abklären lassen sollte. Ich sehe aber mit Sorge, dass viele Menschen mit derartigen Beschwerden Hilfe suchen, bei denen meine Mutter mit mir nicht einmal zum Hausarzt gegangen ist.