Auch wenn man derzeit den Eindruck haben kann, es drehe sich alles nur noch um Krankenkassen und Homöopathie, gibt es durchaus noch andere Schmankerl.
Legt mir doch neulich eine liebe Patientin ein eigenartiges Teil auf den Schreibtisch. Was ich davon halten würde. Hätte ihr eine Kollegin empfohlen, das Fachgebiet der Kollegin weiß ich leider nicht mehr. Das Ding sah ungefähr so aus wie mein alter iPod, weswegen ich etwas ratlos war und mich fragte, welchen medizinischen Nutzen wohl ein mp3-Player haben könnte. Außer dem Abhören beruhigender Weisen natürlich. Meiner Patientin schien es selbst etwas peinlich zu sein, als sie „Lichttherapie“ murmelte. Das war meine erste Begegnung mit Valkee, auch „Human Charger“ genannt.
Was klingt wie eine Mischung aus Walkman und Walkie-Talkie ist ein Produkt der finnischen Firma Valkee Oy. Und es wird tatsächlich zur Behandlung des „Winter Blues“ verkauft. Unter anderem heißt es: „HumanCharger® can be used to increase energy levels, improve mood, increase mental alertness, reduce the effects of jet lag and keep winter blues at bay.“
Lichttherapie: Augen auf und durch
Nun ist die Studienlage zur Lichttherapie bei den so genannten seasonal affective disorders (kurz SAD) so gut, dass die Behandlung mit Licht bei der vor allem in der dunklen Jahreszeit auftretenden Depression als wirksam gilt. Dabei soll eine Beleuchtungsstärke von 10.000 Lux über eine halbe Stunde bzw. 2.500 Lux über zwei Stunden angewendet werden. Wichtig ist, dass das Licht auf die Netzhaut fällt (Sonnenbrille geht also nicht!) und dass man 50 bis 80 cm von der Lichtquelle entfernt sitzt.
Was Valkee nun will, ist folgendes: Nicht über die Netzhaut soll der Lichtreiz ins Gehirn transportiert werden, sondern über den Gehörgang. Gut, das ist nur der Weg, den das Licht nimmt. Beleuchtet werden sollen aber Proteine, von denen man weiß, dass sie lichtempfindlich sind und im Gehirn vorkommen. Zielort des aus den Ohrstöpseln austretenden Lichts ist also das Gehirn selbst. Laut Argumentation ist die Schädeldecke im Gehörgang sehr dünn und deshalb können die als Encephalopsin bezeichneten Proteine direkt angeleuchtet werden.
Studienleiter mit Firmennähe
Als „Wirksamkeitsnachweis“ werden Studien genannt, die ebenfalls in Finnland durchgeführt wurden. Einige Studien weisen allerdings erhebliche Mängel auf, die im Wiki von Psiram dargestellt werden: keine Kontrollgruppen, nicht placebokontrolliert, nicht doppelblind. Auf der Seite von Valkee sind mittlerweile mehrere Studien aufgeführt. Dabei scheint eine Verflechtung der Studienleiter mit der Firma zu bestehen:
„5. CONFLICTS OF INTEREST
Some of the authors have conflicts of interests with a company, Valkee Ltd., that develops and sells devices for bright light stimulation via ear-canal. Authors’ connections with Valkee Ltd. are: Nissilä and Aunio are company founders. Nissilä, Aunio, Takala and Timonen are share-holders (varying from major to minor). Nissilä, Aunio and live-in partner of Starck are employed by Valkee Ltd. Valkee Ltd. did not have a role in the decision to submit the paper for publication.“
Die Angaben beziehen sich auf diese Studie.
Und was sagt die unabhängige Untersuchung?
Eine unabhängige Untersuchung aus Bern hat das Gerät daraufhin im Jahre 2013 unter die Lupe genommen und untersucht, ob Einflüsse auf den circadianen Rhythmus feststellbar sind. Messparameter waren der Melatoninspiegel im Blut, eine subjetiv empfundene Schläfrigkeit und die Steigerung der Leistungsfähigkeit. Während bei einer Kontrollgruppe, die sich einer 12-minütigen Lichtexposition über die Augen aussetzte, alle drei Parameter reagierten, tat sich bei den Ohrbeleuchteten nichts.
Über einen antidepressiven Effekt gibt die Studie keinen Aufschluss.
Nachdem der vermutete Wirkmechanismus der traditionellen Lichttherapie aber gerade auf einer Reduktion der Melatoninproduktion beruht, ist unwahrscheinlich, dass ohne diese Hemmung der Melatoninerzeugung ein antidepressiver Effekt eintreten kann. Das in der Lichttherapie für die verminderte Bildung von Melatonin verantwortliche Photopigment Melanopsin findet sich auf unserer Netzhaut.
Ein Nachweis fehlt – wie erhellend
Was die im Gehirn befindlichen oben erwähnten Opsine angeht, so weiß man fast nichts über sie, außer dass sie auch im Hoden, der Leber, der Niere und anderen Stellen im menschlichen Körper vorkommen. Die Idee, man könne sie durch Anleuchten über die Ohren irgendwie im Sinne einer antidepressiven Wirkung aktivieren, ist eine reine Spekulation ohne Beleg beim Menschen.
Valkee kostet derzeit bei Amazon so um die 140 Euro. Ein Placeboeffekt ist sicher vorhanden, das bestätigte mir auch meine Patientin. Den darf man bei dem Preis aber schließlich auch erwarten.
Aus meiner Sicht ist auch das ein cleveres Geschäftsmodell, das ohne bislang erbrachten Wirknachweis vor allem eines erhellt: Die Miene des Herstellers beim Blick auf sein Bankkonto.
Peter Teuschel