Ein Rundschreiben der Barmer Ersatzkasse sorgt derzeit unter Fachärzten für Aufsehen: Es geht um die kostspieligen neuen Hormontherapien des kastrationsresistenten Prostatakarzinoms. Und die Frage: Was darf onkologische Therapie kosten?
In den letzten Jahren haben neuartige Therapiemöglichkeiten die Überlebenschancen von Patienten mit kastrationsresistentem Prostatakarzinom (CRPC) deutlich verbessert.
Neben der bisher verfügbaren Chemotherapie kamen zwei Medikamente auf den Markt. Erstens: der partielle Androgenrezeptor-Antagonist und selektive Inhibitor des Enzyms Steroid-17a-Hydroxylase (CYP17A1) Abirateron. Es katalysiert Schritte in der Testosteron-Biosynthese und senkt dadurch die Hormonproduktion in Hoden, Nebenniere und Prostata. Zweitens: der Inhibitor des Androgenrezeptor-Signalwegs Enzalutamid, welches den Androgenreptor blockiert und die Translokation des Androgenrezeptor-Komplexes in den Zellkern hemmt.
Initial nur für die Second-Line-Therapie zugelassen, also nach einer Docetaxel-Chemotherapie, kommen beide Präparate mittlerweile auch in der First-Line-Therapie zum Einsatz. Während Enzalutamid als Monotherapie neben der fortgesetzten Androgendeprivation (mit einem LHRH-Analogon) zum Einsatz kommt, wird Abirateron mit Prednison/Prednisolon kombiniert, um der ebenfalls auftretenden Hemmung der Mineralokortikoid-Synthese entgegen zu wirken. Beide Therapien werden in den Leitlinien der Fachgesellschaften (DGU, EAU) ausdrücklich empfohlen.
Zwei Präparate, gleiche Wirkung?
Beide Präparate haben eine vergleichbare Wirkung, wobei die Hersteller gerne die Vorzüge ihres Medikaments unterstreichen, welche jedoch klinisch kaum eine Rolle spielen dürften. Es scheint aber so zu sein, dass eine Resistenzentwicklung, die bei Enzalutamid beobachtet wird, bei Abirateron nicht auftritt, obwohl auch dieser Wirkstoff nur eine zeitlich begrenzte Wirkung hat. Die Verträglichkeit und das Nebenwirkungsprofil sind durchaus vergleichbar. Beide verursachen nicht unerhebliche Therapiekosten, welche bei Abirateron in Deutschland bei über 4.000 Euro liegen und bei Enzalutamid bei rund 3.600 Euro.
In letzter Zeit hat nun die Barmer Ersatzkasse durch ein Schreiben (die Kopie eines solchen Briefes liegt dem Autor vor) auf sich aufmerksam gemacht, in dem sie verordnenden Ärzten nahe legt, doch zu überdenken, bevorzugt das kostengünstigere Präparat zu verschreiben, zumal keine zusätzliche Kortisongabe erforderlich sei, welche zusätzliche Kosten verursache. Dabei wird betont, dass man natürlich nicht in die selbstverständlich gegebene Therapiefreiheit eingreifen möchte, da beide Medikamente für diese Indikation zugelassen seien. Ob der Hintergrund Rabattverträge mit dem Hersteller von Enzalutamid sind, bleibt unausgesprochen.
Honi soit qui mal y pense – Ein Schelm, wer Böses dabei denkt
Leider gibt es bisher keine Head-To-Head-Studie, die beide Wirkstoffe direkt miteinander vergleicht, so dass unklar ist, ob der frühzeitige Einsatz des einen oder anderen – auch im Hinblick auf eine Therapiesequenz – Vor- oder Nachteile mit sich bringt. Hier wären die Wissenschaft oder die Pharmaindustrie gefordert.
Tatsache ist jedoch, dass dies ein mehr oder weniger unverhohlener, versuchter Eingriff in die Therapiefreiheit des Arztes darstellt, der höchst fragwürdig ist. Was kommt als Nächstes? Andere Kassen werden wahrscheinlich nachziehen. Eine operative Kastration ist erheblich kostengünstiger als eine medikamentöse. Vielleicht sollte der Urologe auch diesen Faktor zukünftig bedenken.
Abirateron: Neue Studien vielversprechend
Parallel zu dieser Aktion wurden auf dem diesjährigen ASCO-Kongress in Chicago zwei hochkarätige Studien vorgestellt, die einen hoch signifikanten Überlebensvorteil zeigen, wenn Patienten mit metastasiertem kastrationssensitivem Prostatakarzinom (mCSPC) parallel zur Standard-Androgendeprivationstherapie Abirateron erhalten (CHAARTED und LATITUDE-Studie), also bereits zu einem viel früheren Zeitpunkt als bisher.
Auch wenn dies momentan noch ein Off-Label-Use ist, dürfte es in Anbetracht der überwältigenden Datenlage nur eine Frage der Zeit sein, bis das Präparat hierfür die Zulassung bekommt. Und wahrscheinlich dürfte eine vergleichbare Studie zu Enzalutamid zu einem ähnlichen Ergebnis kommen. Die sich daraus ergebende Kostenexplosion dürfte bei den Krankenkassen bereits jetzt graue Haare verursachen.
Es stellt sich somit die Frage, was moderne onkologische Therapie kosten darf. Sollte sie allgemein zugänglich sein? Bislang ist das so und sollte in einem reichen Land wie Deutschland meiner Meinung nach auch so bleiben. Aber wie viel ist uns das Gesundheitssystem eigentlich wert?
Es lohnt sich, darüber nachzudenken.
Nachtrag vom 17.07.2017:
Aus einer Mitteilung von Cilag-Janssen: „[...] Die erneuten Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband zum Erstattungsbetrag für ZYTIGA (Abirateronacetat)wurden erfolgreich abgeschlossen. Daher wird der Apothekenverkaufspreis (AVP) ab dem 15. Juli 2017 gesenkt. [Somit] sind die Tagestherapiekosten von ZYTIGA beim mCRPCdamit günstiger als die von Enzalutamid.”
Quellen:
Abiraterone for Prostate Cancer Not Previously Treated with Hormone Therapy N.D. James et al.; New Engl J Med, doi: 10.1056/NEJMoa1702900; 2017
Abiraterone plus Prednisone in Metastastic, Castration-Sensitive Prostate Cancer. K. Fizazi et al.; New Engl J Med; doi: 10.1056/NEJMoa1704174; 2017