Für Globuli-Anhänger ist der Fall ganz klar: Wir haben es bei der Homöopathie mit einem Phänomen zu tun. Und das Unerklärliche kann man eben nicht erklären. Empirisch belegen kann das keiner. Aber das ist bei Wundern nun mal so.
„Wir sehen ein Phänomen …“
… sagt Frau Cornelia Bajic, 1. Vorsitzende des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte immer wieder (z. B. hier), wenn sie über die Homöopathie spricht. Damit meint sie wohl, dass sich unter homöopathischer Behandlung etwas besonderes zeige, das man sich zwar nicht erklären könne, das aber durchaus faszinierend und auch augenscheinlich sei („Homöopathie wirkt, wir sehen doch, dass es Patienten damit besser geht, selbst wenn wir noch nicht erklären können warum“). Wahrscheinlich möchte Frau Bajic mit diesem Begriff das Einleuchtende, Augenscheinliche ihrer Beobachtung unterstreichen, vielleicht auch den Aspekt von etwas Außergewöhnlichem. Ok, doch was bedeutet denn „Phänomen“ eigentlich?
Der Begriff stammt aus der griechischen Philosophie. Platon bezeichnet alles sinnlich Erfasste und Gegebene als phainomenon. Wobei der Begriff nur die reine Wahrnehmung meint, den Sinneseindruck, das „Das“, nicht das „Warum“. In seiner Ideenlehre vertritt er die Auffassung, dass das Wissen von empirisch gegebenen Gegenständen, Ereignissen oder Naturerscheinungen (phainomena) gegenüber dem Wissen von den Ideen, den Gründen und Ursachen, die nur dem Verstand zugänglich sind (noumena) bloßer Schein ist. Die neuere Erkenntnistheorie schließt sich dem an, indem sie Phänomene als „begriffsfreie Grundbausteine der Erkenntnis“ bezeichnet.
Ich habe es früher ganz ähnlich formuliert wie Frau Bajic: „Ich sehe ja jeden Tag, dass die Homöopathie funktioniert, da brauche ich nicht zu wissen, wie sie das tut“. Sicherlich würden auch viele Patienten diesem Satz zustimmen. Doch warum können Kritiker es nicht dabei belassen, warum meckern sie an solchen Aussagen herum?
Wo ist der Beweis?
Die eigentliche Fragestellung sollte – gerade in der Medizin und auch in der heutigen Zeit – deutlich über das reine „Sehen“ eines Phänomens hinausgehen: Was sehen wir eigentlich, was erleben wir mit der Homöopathie und wie erklären wir uns das? Mit der Standardfrage der Skeptiker ausgedrückt: Wo ist der Beweis?
Viele Beschwerden kommen und gehen, Symptome verändern sich, Kopfschmerzen nehmen zu (manchmal sehr plötzlich wie bei Migräne), dann wieder ab, manche Krankheiten bleiben lange, andere ganz kurz. Es gibt viele Krankheiten (wohl die Mehrzahl), bei denen schafft es unser Körper mit seinen Selbstheilungskräften und mit Hilfe unseres Immunsystems sehr gut, sie zu bewältigen (z. B. Schnupfen, leichte Infekte viraler Art).
Bei anderen schafft er das nur mit Mühe (z. B. Darminfektionen, Lungenentzündung), bei wieder anderen nur sehr selten (z. B. Krebs, akuter Herzinfarkt). Und dann gibt es eine ganze Reihe von Beschwerden, da wissen wir eigentlich gar nicht so genau, was die Ursache ist. Manche davon sind psychosomatischer Natur, andere müssen erst noch verstanden werden. Ein buntes Bild.
Das Leben ist nicht statisch
Nehmen wir nun bei irgendwelchen Beschwerden Homöopathika oder verordnen wir sie als Homöopathen einem Patienten, so werden wir mit Sicherheit beobachten, dass sich etwas verändert. Das liegt in der Natur der Sache. Das Leben ist nicht statisch, Dinge verändern sich. Ständig. Genau das ist das Phänomen, das Frau Bajic beobachtet. Was aber überhaupt nichts über Ursache und Wirkung aussagt.
Deshalb müssen wir überlegen, wie wir über die reine Beobachtung des Phänomens hinaus der wirklichen Ursache der Veränderung auf die Spur kommen. Wir können untersuchen, wie es einer Gruppe von Patienten mit Homöopathie ergeht und wie einer ähnlich zusammengestellten Gruppe ohne die Globuli. Das ist bei der Homöopathie oft so gemacht worden – und immer sieht man in beiden Gruppen Veränderungen.
Phänomene der Verbesserung tauchen immer in beiden Gruppen auf, gerade auch dann, wenn die Patienten nicht wissen, zu welcher Gruppe sie gehören (was eigentlich Voraussetzung für diese Art von Untersuchungen ist). Was man aber eben nicht sehen kann, ist, dass das Phänomen der Veränderung in der Homöopathie Gruppe signifikant häufiger auftritt. Dafür gibt es überwältigend viele Belege. Eine solche Vorgehensweise entspricht einer medizinwissenschaftlichen, klinischen Studie.
Man sieht, dass sich etwas tut. Nur was?
Doch warum interessieren diese Tatsachen die Homöopathen nicht (mich früher auch nicht)? Man sieht sich selbst und man sieht seine Patienten – und bei denen verändert sich ja in der Tat etwas. Manchmal sogar ganz drastisch. Oder ganz plötzlich nach einem langen Leidensweg. Das macht Eindruck, das schreibt sich fest. Auch mich hat es lange Zeit glauben lassen, dass diese Veränderungen bzw. Verbesserungen ganz ursächlich mit den gegebenen Globuli zusammenhängen.
Aber: Diese Wahrnehmung ist eindimensional, sie ist eben nur das „Phänomen“. Der Homöopath betrachtet keine standardisierten Gruppen, bei denen andere Einflüsse entweder ausgeschlossen sind oder bei allen Gruppenmitgliedern gleichermaßen auftreten. Er zieht seine Schlüsse allein aus dem Phänomen, was, wie wir gesehen haben, für die Frage der Ursache ein unzulässiges Verfahren ist. Eigentlich einleuchtend, aber mir selbst ist nur langsam und mühsam klar geworden, dass diese Phänomene auch bei anderen Menschen auftreten – nur werden sie dort nicht auf die Homöopathie zurückgeführt.
Was sehen wir also in homöopathischer Behandlung, wie deuten wir das „Phänomen“, dass sich etwas verändert?
Gründe, warum es besser wird
Die Erklärungen sind ganz banal und doch komplex: die vergangene Zeit, Selbstheilung, Regression zur Mitte (extreme Zustände haben die Neigung, sich auf ein Mittelmaß einzuspielen). Unterstützen mögen hier Placebo- und Kontexteffekte, die besondere Arzt-Patienten Beziehung, Konditionierung („Das Mittel hat mir schon öfter geholfen“), Suggestionen („Das wird mir helfen, gesund zu werden“), das therapeutische Gesamtsetting oder auch der Glaube, der bekanntlich Berge versetzt. Doch genau das tritt auch in der Gruppe auf, die nur ein Scheinmedikament (z. B. Rohglobuli) bekommt. Was die Erklärung für all die Studienergebnisse ist, die der Homöopathie keine Überlegenheit „über Placebo“ (eigentlich über die Summe der genannten Phänomene) hinaus zusprechen.
Das Phänomen, das Frau Bajic sieht, ist aus unserer Kritikersicht also ziemlich gut, wenn auch nicht ganz eindimensional zu erklären – vor allem aber kommt es ohne Übernatürliches („Energie“, „Potenzierung“) aus. Doch Homöopathen möchten es nicht so „einfach“ haben. Sie möchten gerne an das Wunder Homöopathie glauben, möchten die Hoffnung nicht aufgeben, dass da doch „mehr dran“ sei. An sich verständlich, schließlich hängt eine Existenz oder zumindest ein Selbstbild davon ab. Trotzdem ist nicht zu rechtfertigen, wenn so ein Verhalten innerhalb der Medizin stattfindet. Denn innerhalb der Medizin sind wir längst dazu übergegangen, uns auf diejenigen Mittel und Therapien zu verlassen, die bei Studien ihre Überlegenheit gegenüber der Gruppe belegt haben, die nur auf die Kombination der oben genannten Punkte angewiesen war.
Da die Homöopathie das eben nicht tut und wir das Phänomen „Es verändert sich etwas unter Homöopathie“ gut erklären können, brauchen wir auch nicht mehr nach einem Wirkmechanismus oder einer anderen Erklärung zu suchen. Wie im Beispielbild der Nordlichter, können wir heute eine schlüssige Erklärung des Phänomens geben – zumal wir bei der Homöopathie wissen, dass die Erklärung, die Hahnemann sich vor 200 Jahren ausgedacht ist, unplausibel und überholt ist. Sie ist schlicht nicht vereinbar mit gesichertem Wissen, das sich auch in Zukunft nicht mehr ändern wird. Dies wissen wir, obwohl die Wissenschaft natürlich nicht alles weiß – sie weiß aber sehr gut, was nicht möglich ist und nie möglich sein wird. Es ist obsolet, davon zu reden, die Wissenschaft könne eine spezifische Wirkung „noch“ nicht erklären. Ich würde Homöopathen bitten, das endlich und tapfer einzusehen.
Dass es Patienten oder uns selbst nach Beschwerden besser geht, ist toll. Dass wir wissen, warum das so ist, auch. Jetzt müssen wir einfach ehrlich bleiben.
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