Vor 18 Monaten wurde die elektronische Gesundheitskarte (eGK) für Flüchtlinge flächendeckend eingeführt. Wie hat sich die Versorgung seitdem verändert? Eine Einzelbetrachtung einer Facharztpraxis.
Bis Dezember 2015 konnten Flüchtlinge nur unsere Praxis aufsuchen, wenn sie sich bei der zuständigen Behörde einen Behandlungsschein organisiert hatten. Wegen des damaligen hohen Flüchtlingaufkommens war dieser Ablauf vor allem für die Behörden nicht mehr durchführbar. Auch unsere Praxis tat sich schwer, denn der Aufwand einer formellen Aufnahme war hoch.
Einführung der eGK für Flüchtlinge
Mittlerweile können die Betroffenen eine eGK vorlegen. Die Einspeisung der Daten in die Praxis-Software ist einfach. Da die Termine in unserer Praxis telefonisch oder persönlich vergeben werden, helfen bei fehlenden Deutschkenntnissen Dolmetscher. Diese rekrutieren sich aus Familienmitgliedern, Bekannten, aber auch aus einem Pool von ehrenamtlichen Helfern einiger lokaler Hilfsorganisationen zur Verbesserung der Aufnahme bis hin zur Integration. Der administrative Aufwand konnte also deutlich verbessert werden.
Großes Schweigen in den Medien
Ich habe in den Medien, Foren und Veröffentlichungen wenig über die Behandlung der Flüchtlinge in den Praxen gefunden. Offensichtlich sind viele bemüht, kein Aufsehen mit einer Zustandsbeschreibung zu erregen. Nur die Notaufnahmen der Krankenhäuser haben sich gemeldet, die wohl einen starken Ansturm an Patienten verzeichneten; vor allem, wenn die Krankenhäuser in der Nähe der provisorischen Unterkünften waren.
Strenge Vorschriften zur ärztlichen Behandlung
Man mag es eigentlich kaum glauben, aber den Ärzten wird vorgeschrieben, wie eine Behandlung zu erfolgen hat. So bestimmt § 70 Absatz 1 Satz 2 SGB V für alle Leistungserbringer: „Die Versorgung der Versicherten muss ausreichend und zweckmäßig sein, darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten und muss in der fachlich gebotenen Qualität sowie wirtschaftlich erbracht werden.“
Für Flüchtlinge gilt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz: „Zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen Leistungen zu gewähren.“
Wie passt das mit meinen ethischen Pflichten zusammen?
Die Diskrepanz zwischen diesen Vorgaben und der ärztlichen ethischen Pflicht zur Behandlung von Patienten zeigt sich somit in der Honorierung der ärztlichen Leistung. Kurz gesagt: Verhaltet Euch gefälligst wie anständige Ärzte, aber stellt den Krankenkassen und zuständigen Behörden, wie beispielsweise Sozialämtern, keine entsprechenden Rechnungen aus. Die Versorgung der Versicherten darf nicht „ausreichend“ (Schulnote 4!) überschreiten, bei den Flüchtlingen nur bei Schmerzen und akuten Erkrankungen. Eine Mehrleistung wird nicht bezahlt und könnte dann ggf. im Rahmen eines Regresses rückerstattungspflichtig sein.
Ärzte sind derartige Knebelungen ja schon gewohnt. Man stelle sich diese Denkweise bei anderen Dienstleistern vor. Gebt Kost und Logis, aber nur gerade ausreichend. Mehr wird nicht bezahlt.
Fazit: Alles halb so wild
Haben sich bisher Befürchtungen der Ärzte bestätigt? Aus meiner Sicht nicht. Aber meine Erfahrungen sind erstens nicht repräsentativ und zweitens könnten Regressforderungen noch Jahre später folgen. Im Fall der Versorgung von Flüchtlingen kann ich mir das jedoch nicht vorstellen.
Kurzum: Ich mache eine adäquate Medizin, die den Menschen berücksichtigt und nicht seine Herkunft. Bezahlt wird meine Leistung in letzter Konsequenz eigentlich nicht. Es sind zusätzliche Patienten für mich. Und ich bekam schon vorher etwa 25 Prozent meiner Leistung nicht bezahlt. Überschreitung meines Budgets. Jetzt sind es eben noch ein Prozent mehr. Meine Praxis bleibt die letzten drei Wochen des Quartals trotzdem offen. Für alle.
Kontakt zu den Patienten
Im Verlauf habe ich neben den meist unauffälligen Zeitgenossen auch wenige kennengelernt, die heraustechen. Junge Menschen, die nach einem Jahr schon erstaunliche Deutschkenntnisse hatten und keinen Dolmetscher mehr benötigten. Beste Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
Und ... ach, ja: Da war ein älteren Herr, dem ich bescheinigen sollte, dass er an den Deutschkursen nicht teilnehmen kann wegen seiner mittelgradigen Schwerhörigkeit. Schwerhörigkeit: chronisch, aber schmerzlos! Streng genommen dürfte ich ihm also nicht helfen? Ich habe ihm trotzdem ein Hörgerät verordnet. Die letzte Instanz der Zustimmung hierfür ist dann die Krankenkasse.