„Schreib doch mal einen Blog!“, sagten sie. „Du bist immer so lustig!“ Das kann doch nicht so schwer sein, dachte ich mir und hatte keine Ahnung, auf was ich mich da einließ. Vor allem aber stieß ich auf den „neuen Patienten“ in seiner natürlichen Umgebung und begann, ihn zu verstehen.
„Warum eigentlich nicht?“, dachte ich noch so vor eineinhalb Jahren. Zu dem Zeitpunkt wusste ich ehrlicherweise gar nicht, was ein Blog ist und ich hatte auch noch nie einen gelesen. Da ich Facebook ein Jahr zuvor für mich entdeckt hatte und es recht schnell verstanden hatte, sollte so ein Blog keine größere Schwierigkeit darstellen … dachte ich.
Nachdem ich die ersten Hürden gemeistert hatte, wie „wähle ein Theme, das auch an einem anderen Endgerät als meinem Uraltrechner lesbar ist“, löste ich einen Dominoeffekt aus, der mich viele nächtliche Stunden kostete: nicht jede Schriftfarbe ist dem Auge genehm, einige brennen sich quasi in die Netzhaut, auch wenn sie noch so jung und stylisch wirken. Bildbeiträge müssen so gewählt werden, dass die Ladegeschwindigkeit es dem geneigten Leser dennoch ermöglicht, sie im selben Jahrhundert der Veröffentlichung zu lesen.
Danke an Pharmama
Ich hatte die technischen Probleme einigermaßen im Griff, als mir bewusst wurde, dass all der Aufwand nichts nutzt, wenn niemand in den unendlichen Weiten des Internets von mir erfährt. Genau in dem Moment war mir das Glück recht hold. Das Glück in Form von Frau Pharmama, die eine Leseempfehlung für meinen Blog aussprach. Von drei bis vier Lesern im Monat schnellte die Statistik auf über Tausend pro Tag hoch. Ab dem Moment begann ich, mich mit Social Media auseinanderzusetzen.
Ich eröffnete bei allen wichtigen Plattformen einen Account, hatte tausendundfünf Passwörter, die ich regelmäßig vergaß und wieder ändern musste. Ich legte mir einen Spickzettel zu den unterschiedlichen Redearten im jeweiligen Medium an. Einige Medien schieden allerdings recht schnell aus, da sich mir der Sinn nicht erschloss, bei anderen blieb ich hängen. Meine Lernkurve war steil und bald mutierte ich zum Social-Media-Nerd, der seine Mahlzeiten auf Instagram mit Unbekannten teilte.
Der neue Patient
Ich erforschte eine mir bis dahin unbekannte Parallelwelt und entdeckte recht schnell, dass hier der Geburtsort des „neuen Patienten“ sein musste. Er, der geübt im Umgang mit Smartphones und Apps ist.
Er, der sich bei Dr. Google über seine Symptome informiert und sich mittels Wikipedia einen Therapieplan erstellt. Er, der seine Facebookgruppe fragt, welche Beschwerden er beim Arzt angeben muss, um die umfassendste Labordiagnostik zu bekommen.
Er, der bei Twitter in Echtzeit seinen Rettungswageneinsatz twittert, nachdem er vorher abstimmen ließ, ob er wirklich ein Notfall wäre.
Ich erhielt Einblick in eine Gedankenwelt, die mir bisher verborgen war und die manchmal wie eine Mauer zwischen mir und dem neuen Patienten stand. Ich wusste vorher nicht, wie es dazu kommen konnte, wenn jemand mit einem Ordner ausgedruckter Internetseiten kam und mir Diagnose und Wunschtherapie wie ein großes Big Mac-Menü auf den Tisch präsentierte.
Im Internet findet man jede Form von Wunderheilern, Verschwörungstheoretikern und Hobbyärzten. Man findet auch Elternblogger, die an sich oder ihren Kindern erfolgreich Arzneien getetest haben und dies mit einem recht großen Publikum teilen wollen, im Gegenzug für die von der Pharmafirma gesponserte Südseereise.
Der unzufriedene Patient
Mir wurde klar, dass die Generation Patient, die regelmäßig in die Sprechstunde kam und mit dem Arzt entweder zufrieden oder unzufrieden war und nichts von dem verstand, was da in fremder Sprache und unleserlicher Schrift über sie entschieden wurde, von meiner Generation abgelöst wurde.
Meiner Generation mit dem neuen Patienten, der Interesse an Medizin hat, mitbestimmen möchte und informiert ist. Der Kunde, dessen Gesundheit und Krankheit eine Ware war, über die er nüchtern und abwägend mitentscheiden möchte. Bei dieser Generation bleiben all jene auf der Strecke, die nicht ausreichend vorgebildet sind, um mit den technischen Möglichkeiten richtig umzugehen, um aus der Flut an Informationen die richtigen auszusuchen und daraus letztendlich die richtigen Schlüsse ziehen zu können. Bleibt also wieder ein unzufriedener Patient und eine hohe Mauer, durch die beide nicht zueinander finden.
Auf die kommende Generation war ich damals aber überhaupt nicht vorbereitet. Die jungen Erwachsenen, die sich nicht mittels der mir bekannten Medien informieren. Junge Erwachsene, die einem Blogger, Podcaster oder YouTuber ihres Vertrauens folgen: Jemand, der allumfassend ihre Meinung bildet und ihnen sagt, dass diese Saison rote Schuhe, eine gelbe Handtasche, Trump böse, Mutter Merkel ganz okay und Methadon der letzte Shit ist, um jede Form von Krebs zu heilen. Einzig die böse Pharmamafia und die Ärzte würden dies unter Verschluss halten, da mit Kranken mehr Geld als mit Gesunden zu machen wäre. Medizin to go. Schneller, vorselektierter Konsum auf dem Smartphone für unterwegs.
Fake News
Warum gelten harte Fakten so viel weniger als eine gefühlte Wahrheit? Der Umgang mit Krankheit und Gesundheit ist emotional gesteuert. Die größten Emotionen werden durch Angst oder Freude ausgelöst. Angst ist ein Gefühl, auf das sich Wunderheiler und Verschwörungstheoretiker wunderbar verstehen. Angst hat aber nichts in einer trockenen Studie mit n = x verloren.
Bleibt uns die menschliche Seite der ärztlichen Versorgung. Das Internet bietet viele informative Seiten für Patienten, die eins gemeinsam haben: Sie sind entweder auf eine Krankheit beschränkt oder der emotionale Aspekt wird nicht beachtet.
Es bräuchte also einen Blog oder YouTube-Kanal oder einen Podcast. Einen Zusammenschluss von Ärzten, Pflegekräften, Physiotherapeuten und vielen mehr, die die Informationsflut vorselektieren, persönlich und emphatisch diese Lücke füllen, die andere im Internet längst für sich entdeckt haben und mittels ihrer Angst die Gedanken derer zu lenken versuchen, die wir auf dem Weg der zunehmenden Digitalisierung verloren haben.
Um diese Idee mit Leben zu füllen, hat sich zu meiner großen Freude eine Gemeinschaft gebildet, die mit dem Blog www.die-medici.info einen kleinen Teil dazu beitragen möchte, für eine menschlichere Medizin, die offenbar einen Weg beschreitet, den wir alle noch nicht absehen können.
Dieser Beitrag erschien erstmals auf meinem Blog kindundkittel