Wenn man als Mitarbeiter in der Psychosomatik arbeitet und es weitere Fachabteilungen im Haus gibt, wird man früher oder später darauf angesprochen, dass die eigenen Patienten häufiger als andere Patienten quengeln und sich unfreundlich und übermäßig fordernd verhalten können. Sie können echte Nervensägen sein. Besonders wenn Sie auf gestresste Mitarbeiter stoßen.
Nun haben sie dazu ja auch erstmal jede Berechtigung, schließlich sind viele der Patienten aufgrund von chronischen Wahrnehmungs- und Verhaltensproblemen bei uns. Häufig liegen langfristig eingebrannte negative Schemata oder Schutzmechanismen vor. Diese haben sich gerade durch negative zwischenmenschliche Erfahrungen entwickelt. Viele von ihnen fühlten und fühlen sich bei der Arbeit oder aber von den Ärzten und der Gesellschaft (hier speziell Bundesagentur für Arbeit, Rentenversicherung und Medizinischer Dienst der Krankenversicherungen) abgewertet und sind nicht selten ganz und gar nicht freiwillig bei uns.
Das gibt ihnen sicher nicht das Recht, sich wie die Axt im Walde zu benehmen. Gerade in der vergangenen Woche haben wir bei uns in der Klinik neue Spiele für die Patienten angeschafft. Keine 24 Stunden später waren diese Anschaffungen schon zerstört, da vermutlich ein oder zwei der Anwesenden ihren Frust daran ausließen und „aus Spaß“ Karten zerrissen. Und die Anspruchshaltung und auch die persönlichen Anfeindungen von Patienten muss man sich nicht immer ohne Widerspruch gefallen lassen. Da kann einem als Hausdame, Krankenschwester oder Chefarzt schon mal der Hut hochgehen. Aber hilft das dann auch?
Genervtheit steckt an
In den ersten Tagen meiner neuen Tätigkeit in einer Rehaklinik ist mir aufgefallen, dass wir Mitarbeiter uns fast reflexhaft genervt zeigen, sobald wir auf genervte Patienten stoßen. Und umgekehrt. Die Augen rollen, der Blick verändert sich, der Tonfall klingt genervt. Man ist heilfroh, wenn dieser Quälgeist aus dem Zimmer raus ist. Leider sind aber längst nicht alle Mitarbeiter darin geschult, mit diesen Mustern umzugehen.
Sicher ist ein Mitarbeiter an der Rezeption oder im Speisesaal nicht in Selbsterfahrungskursen gewesen, ist aber häufig erster Anlaufpunkt unserer Patienten. Und diese Mitarbeiter und alle weiteren Erstkontakte in einer Klinik oder Praxis haben genauso ihre wunden Stellen. Das erklärt, warum sie dann mal heftig und unfreundlich reagieren. Die ersten Minuten im Kontakt zum Patienten können hier wirklich entscheidend sein.
Auch Empathie sollte geschult werden
Gestern in meiner Begrüßungsvisite der Neuanreisen habe ich zum Beispiel gemerkt, dass eine Patientin genau das Gegenteil von dem verstanden hat, was ich gesagt habe. Sie fühlte sich – trotz von der anwesenden Sozialarbeiterin bezeugter hoher Anteilnahme und Zuwendung im Visitengespräch – von mir abgelehnt und falsch in der Klinik. Weil Sie nur das hören konnte, was ihr altes Muster von Ablehnung sie hören ließ. Letztlich wohl auch, weil ich offenbar nonverbal die falsche Botschaft gesendet habe.
Scheinbar ist man davon überzeugt, dass hohe Empathie und Patientenorientierung jedem Pfleger und jeder Krankenschwester per Geburt zufällt. Und sie sich dann im Gesundheitssystem bis zur Empathieerschöpfung im Drei-Schicht-System morgens, nachmittags in der Nacht, sieben Tage die Woche freundlichst lächelnd als gute Samariter zeigen. Wäre ja schön. Aber gerade in diesem Bereich wären Fortbildungen und ein entsprechendes Arbeitsklima mindestens so wichtig, wie eine Veranstaltung zur Händedesinfektion, Reanimation oder Brandschutz. Psychohygiene und Freundlichkeit schützt die Gesundheit und rettet Leben.
Gute Kommunikation verbessert Therapieerfolg
Dabei wissen wir, dass gute Kommunikationsfähigkeiten des Arztes die Wahrscheinlichkeit verdoppelt, dass ein Patient auch die Behandlungsempfehlungen und Anweisungen des Arztes befolgt. Und normalerweise achte ich natürlich auch besonders auf die Kommunikation und versuche, den neuen Patienten über eine individuelle Begrüßung und einen gemeinsamen Orientierungsvortrag die ersten Schritte in der Reha zu erleichtern.
Glücklicherweise war es nun in dem eben beschriebenen Fall so, dass die Patientin ihr psychologisches Aufnahmegespräch erst nach meiner Begrüßung hatte. Der Psychologe konnte also die „Krise“ aufnehmen und damit gleich in ein wesentliches Thema der Reha einsteigen.
Für mich war dieses Erlebnis aber noch einmal Anlass, über besondere Freundlichkeit als Mittel der Therapie nachzudenken. Wie gelingt es uns, wieder den „Menschen“ in unserem Patienten zu sehen? Und können wir eine menschliche, eine „artgerechte“ innere Haltung in die Therapie mit einfließen lassen? Dazu gibt es durchaus Fachliteratur unter Stichworten wie „intelligent kindness“. Laut einer Untersuchung hat Freundlichkeit im Sinne einer bewussten Therapiestrategie einen größeren Therapieeffekt in der Vermeidung von Herzattacken, als die Gabe von Acetylsalicylsäure und Raucherentwöhnung bezüglich der Sterblichkeit von Männern.
Freundlichkeit als Mittel der Mitarbeiterführung
Freundlichkeit bzw. positive Kommunikation und Patientenorientierung würde sich somit sogar in der Chirurgie rentieren. Wenn ein Narkosearzt prä- und postoperativ solche Strategien bewusst anwendet, reduziert sich die notwendige Menge von Narkotika und Schmerzmitteln um die Hälfte. Was wiederum bei kürzerer Verweildauer bares Geld für die Verwaltung bedeuten würde. Eine freundliche Zuwendung des medizinischen Personals reduziert den (diastolischen) Blutdruck in Stressphasen. Quasi die Umkehrung des bekannten Weißkitteleffektes, der den Blutdruck beim unfreundlichen Arzt in der Sprechstunde in die Höhe treibt.
Mir geht es dabei ganz und gar nicht darum, nur die Patienten zufriedenzustellen. Ich denke hier eigentlich eher an meine eigene Psychohygiene und Burnout-Prophylaxe der Kollegen. Deeskalation und Stressvermeidung, also Aspekte der positiven Psychologie, erscheinen mir weitaus sinnvoller, als sich jeweils fünf bis sechs Wochen Reha-Zeit mit missmutigen und genervten Klienten herumzuärgern.
Stress-Resilienz positive Arbeitsatmosphäre
Bewusste Freundlichkeit und eine positive Arbeitsatmosphären im Gesundheitssystem würden engagiertere und weniger ausgebrannte Mitarbeiter bedeuten. Und zufriedenere Patienten. Wenn ich sehe, wie wir in den Kliniken auf der Suche nach Ärzten, guten Schwestern und Pflegern sind, sollte hier jeder Cent und jede Minute positiven Handelns mehr als rentabel investiert sein.
Wenn wir Freundlichkeit und positives Miteinander in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen (würden), hätten wir eine erhöhte Stress-Resilienz mit entsprechenden positiven Auswirkungen auf das Immunsystem, auf Verspannungen im Wirbelsäulenbereich. Spannungskopfschmerzen und Migräne und nicht zuletzt weniger längerfristige Krankschreibenden aufgrund von Erschöpfung, Schlafstörungen, Burnout und Depressionen.
Worauf warten wir noch?
Kliniken bzw. Organisationen, die eine solche Kommunikationskultur entwickeln und fördern, gewinnen dadurch nicht nur ein erhöhtes Engagement der Mitarbeiter bei der Arbeit mit den Patienten, sie reduzieren auch die Krankschreibungen. Und letztlich ganz sicher auch die Fluktuation von unzufriedenen Mitarbeitern. Tja, Anlass, dies mal als QM-Maßnahmen in den Plan für 2018 zu schreiben. Aber warum eigentlich bis dahin warten? Wir sollten sofort damit anfangen!
Welche Strategien und Veränderungen haben sich bei Ihnen hinsichtlich Freundlichkeit und gezielter positiver Patientenkommunikation und Mittarbeiterförderung bewährt?