Im Endeffekt entscheidet der Chef aller Chefs, was passiert. Eine vorangehende Absprache wäre trotzdem nett, zumindest wenn es um personelle Angelegenheiten geht. Im Umgang mit dem Personal kommen mir Führungskräfte allerdings oft ziemlich laienhaft vor.
Im Leben gibt es immer wieder Beispiele für Dinge, die man eigentlich nicht tun sollte, obwohl sie streng genommen nicht verboten sind. So ein Ereignis trug sich in einem Krankenhaus in meiner Nähe zu. Ich habe die Konstellation deutlich abgewandelt, weil ich die Protagonisten nicht bloßstellen möchte.
Alles wie immer
Der erste Arbeitstag des Quartals fiel auf einen Mittwoch. Am Nachmittag sollte die regelmäßige Sitzung über die Vergabe der OP-Kapazitäten stattfinden. Jeder leitende Arzt hatte diesen wichtigen Termin vor Augen und sich mit den aktuellen Zahlen versorgt, damit man auf Vorwürfe reagieren konnte. Die chirurgisch tätigen Abteilungen standen miteinander in einem Wettbewerb um die knappe Ressource OP. Es ging vor allem um zu lange Wartezeiten auf einen Operateur, also darum, eine effiziente Auslastung der teuren OP-Zeit zu schaffen.
Mit bester Laune über die guten eigenen Zahlen des letzten Quartals wollte ich mich demnächst auf den Weg zur Sitzung machen. Da ich meist der einzige Oberarzt unter den Chefärzten war, wollte ich keinen Anstoß zur Kritik an meiner Person geben und pünktlich sein. Ein letzter Abgleich bei meinem Chef, sein üblicher verbaler aufmunternder Klapps auf die Schulter und sein Augenzwinkern.
Der neue Kollege
Aber ich fand meinen ansonsten so herzlichen Chef in einer vollkommen unüblichen Gemütslage wieder. Sein Kopf war hochrot, er versuchte an zwei Apparaten gleichzeitig zu telefonieren, zischte energisch seine Sekretärin an und blickte immer wieder streng auf eine Person im Anzug vor seinem Schreibtisch. Diese sah sich fragend und hilflos um.
„Weißt du, wer das ist?“, fragte mich mein Chef und vergaß offensichtlich aufgrund der Ereignisse seine ansonsten tadellosen Umgangsformen.
„Äh, nein. Guten Tag. Mein Name ist Dr. 5-Foram …“, sagte ich zu dem Unbekannten, aber wurde dann unterbrochen.
„Das ist ein plastischer Chirurg, der in unsere Abteilung kommen soll!“
Natürlich wissen Sie nicht, verehrte Leser, dass mein Chef nicht nur selbst die Zusatzbezeichnung „plastische Chirurgie“ im Bereich der 5-Löcher-Heilkunde besitzt, sondern auch ein ausgesprochen gutes Händchen auf diesem Gebiet hat und ich seine Operationsergebnisse stets bewundert habe.
„In unsere Abteilung? Wie …?“
„Ich versuche schon seit Stunden, den Direktor zu erreichen, aber er lässt sich immer wieder verleugnen.“
„Aber wir machen doch selbst plastische Operationen. Warum?“ Ich kann es nicht fassen.
„Er wird mir als Abteilungsleiter gleichgestellt und bekommt das umgebaute Oberarztzimmer nebenan.“
„Mein Zimmer? Aber …“
Den Rest dieses Gesprächs überlasse ich eurer Fantasie.
Er kann und darf, aber warum macht er sowas?
Und ja, Herr Superwirt, unser geschäftsführender Direktor, hatte ohne auch nur die leiseste Vorwarnung einen Kollegen eingestellt und mitten in unsere Abteilungsspitze gepflanzt. Und mein schönes Arztzimmer gegeben.
Darf der das? Klar, das darf der. Er ist der geschäftsführende Direktor. Rechenschaft ist er nur seinen Vorgesetzten in der Firmenzentrale schuldig. Aber geht man so mit seinen Untergebenen um? Kommt man nicht besser und schneller voran, wenn man das Team mit konstruktiven Absprachen für sich und die Sache gewinnt?
Es geht auch anders
Ich denke oft an meine Zeit bei der Bundeswehr zurück. Eine vergleichbare Situation ist mir dort nie unterkommen.
Einige Jahre habe ich als Truppenarzt gearbeitet, vergleichbar mit einem Hausarzt für die Kaserne. Ich persönlich war dem Kommandeur unterstellt, mein Personal der ersten Kompanie. Wenn die erste Kompanie beispielsweise noch einen Soldaten zur Aufsicht beim Schützen auf der Schießbahn brauchte, dann durfte und konnte der Kompaniechef seinen Soldaten aus meinem Sanitätsbereich abziehen. Aber er hätte es nie ohne Rücksprache getan. Das ist kein Zufall, sondern ein Teil der Ausbildung bei den Lehrgängen der Bundeswehr.
Warum gibt es keine Ausbildung für Führungspersonal?
Offensichtlich fehlt einigen Direktoren aus dem Bereich der Betriebswirtschaftslehre an der Spitze eines Krankenhauses nicht nur das Feingefühl dafür, wie man mit dem Personal umgeht, sondern auch eine entsprechende Ausbildung. Ein gutes Zeugnis über den Umgang mit Zahlen und Kalkulationen qualifiziert einen nicht automatisch für eine Führungsposition. Insbesondere, weil es sich in einem Krankenhaus nicht nur um eine Produktion von Gegenständen handelt, sondern um die Versorgung von Patienten. Und die Leistungserbringer im Gesundheitswesen sollte man nicht wie automatisierte Roboter behandeln. Oder Namen in einer Excel-Tabelle.