Am SGLT-2-Hemmer Empagliflozin scheiden sich die Geister. Diabetologen sprechen von einem Wirkstoff, der sogar Metformin ablösen könnte. Forscher sehen in einer industriefinanzierten Empagliflozin-Studie methodische Schwächen. Welche Rolle spielen Interessenkonflikte?
Die Zahl an Patienten mit Typ 2-Diabetes steigt – und Antidiabetika gelten schon lange als veritabler Markt für pharmazeutischer Hersteller. Umso kritischer hinterfragen sie jede Entscheidung zur Nutzenbewertung. Bei Empagliflozin (Jardiance®) und Empagliflozin plus Metformin (Synjardy®) von Boehringer Ingelheim sah der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) keinen Mehrwert gegenüber zweckmäßigen Vergleichstherapien.
Bundesweit relevante Ebenen und Instrumente der Erstattungseinschränkungen für Antidiabetika. Stand: 4/2016. Quelle: IMS Health / Screenshot: DocCheck Als Monotherapeutikum soll Empagliflozin zum Einsatz kommen, falls es nicht gelingt, den Blutzucker mit Diäten und Bewegung ausreichend zu kontrollieren. Im Fokus stehen Patienten, die Metformin nicht vertragen. Hier zogen Versorgungsforscher die Sulfonylharnstoffe Glibenclamid oder Glimepirid als Vergleichstherapien heran. Weitere Gruppen waren Empagliflozin plus Metformin versus Sulfonylharnstoffe plus Metformin; Empagliflozin plus andere blutzuckersenkende orale Pharmaka versus Sulfonylharnstoffe plus Metformin oder Empagliflozin plus Humaninsulin versus Metformin plus Humaninsulin. Der Zusatznutzen sei „nicht belegt“, hieß es Anfang 2015. Damit folgte der G-BA Einschätzungen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG).
Boehringer Ingelheim gab sich als pharmazeutischer Hersteller damit nicht zufrieden. Neue Erkenntnisse kamen aus der industriefinanzierten EMPA-REG-OUTCOME-Studie mit 7.020 Diabetikern. Alle Patienten hatten ein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Als Endpunkte definierten Wissenschaftler einen plötzlichen Herztod beziehungsweise die Entwicklung und Verschlechterung einer Herzinsuffizienz. Unter Empagliflozin verringerte sich der Anteil solcher Ereignisse von 4,1 auf 2,7 Prozent. der Anteil wurde also relativ um minus 35 Prozent gesenkt. Bei tödlichen Schlaganfällen oder Herzinfarkten sank die Rate von 5,9 auf 3,7 Prozent um relativ minus 38 Prozent. Die „Number Needed to Treat“ (NNT) lag bei 39 über einen Zeitraum von drei Jahren: ein Nutzen, der sich mit Statinen oder ACE-Hemmern vergleichen lässt. Auch die Gesamtsterblichkeit ging von 8,3 auf 5,7 Prozent (um relativ 32 Prozent) zurück. Vor Veröffentlichung der Resultate war es nur gelungen, bei Metformin protektive Effekte nachzuweisen. Doch zurück zu Empagliflozin. Das IQWiG ließ sich erneut nicht überzeugen. Beide Dossiers, sowohl für die Monotherapie als auch für die Kombinationstherapie mit Metformin, enthielten „keine für die Fragestellungen relevanten oder geeigneten Daten“. Auch die Studie EMPA-REG-Outcome sei „für eine Bewertung des Zusatznutzens in Deutschland nicht geeignet“. Kritikpunkte waren unter anderem die unzureichende antidiabetische beziehungsweise hypertensive Therapie. Regionale Unterschiede kamen mit hinzu. Das Institut resümierte: „Daher ist ein Zusatznutzen von Empagliflozin allein oder in Kombination mit Metformin gegenüber den zweckmäßigen Vergleichstherapien weiterhin nicht belegt.“
Alle Beurteilungen sind Teil der frühen Nutzenbewertung gemäß Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG). Letztlich führt der G-BA sein Stellungnahmeverfahren durch und fasst Beschlüsse über das Ausmaß eines Zusatznutzens. Er muss sich nicht an Empfehlungen des IQWiG orientieren. Genau das ist jetzt passiert: In der zweiten Runde zu Empagliflozin haben sich Experten am G-BA über die Dossierbewertungen hinweggesetzt. Sie bescheinigen dem Pharmakon bei mehreren Patientengruppen einen Mehrwert. Dazu gehören Menschen mit Herzinfarkt oder Schlaganfall in der Vorgeschichte, mit Angina Pectoris respektive verengten Herzkranzgefäßen oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit. Betroffene nehmen in der Regel Antihypertonika, Lipidsenker oder Antikoagulantien ein. Professor Dr. Baptist Gallwitz. Quelle: DDG „Wir sind sehr froh, dass der G-BA damit die Erkenntnisse wichtiger Studien berücksichtigt“, erklärte Professor Dr. Baptist Gallwitz, Präsident der Deutschen Diabetesgesellschaft (DDG). Es geht aber noch um deutlich mehr als nur um den Wirkstoff. Erstmals wurde einem SGLT-2-Hemmer bei uns der Zusatznutzen bescheinigt. „Diese Substanzklasse senkt nicht nur den Blutzucker, sondern verhindert auch gefährliche Unterzuckerungen und eine Zunahme des Körpergewichts“, schreiben DDG-Experten.
Die DDG, einst stärkste Kritikerin der ablehnenden Haltung von IQWiG-Experten, jubelt. Geht es wirklich nur um das Wohl von Patienten? Dazu ein Blick auf mögliche Interessenskonflikte. Beispielsweise hat DDG-Chef Baptist Gallwitz Vortragshonorare von Abbott, AstraZeneca, BMS, Boehringer Ingelheim, Lilly, Menarini/Berlin Chemie, Roche, MSD, Novo, Novartis, Sanofi und Takeda erhalten. Hinzu kamen Gelder zur Forschungsunterstützung von AstraZeneca, Boehringer Ingelheim, Lilly, Novartis, Novo. Der DDG-Präsident ist bzw. war außerdem in Beraterpanels von AstraZeneca, BMS, Boehringer Ingelheim, Lilly, Roche, Janssen, MSD, Novo und Novartis. Methodische Schwächen lassen sich bei der EMPA-REG-OUTCOME-Studie kaum leugnen. Das neutrale arznei-telegramm schreibt: „Auch auf Seiten der FDA bestehen Zweifel, dass stumme Herzinfarkte von Anfang an nicht vom primären Endpunkt ausgeschlossen waren und dies nicht vielmehr eine spätere Protokolländerung darstellt.“ Unter Einschluss von stummen Infarkten könne man keine Überlegenheit des SGLT-2-Hemmers gegenüber Placebo mehr nachweisen. Außerdem ließ sich bei 40 Prozent aller vermeintlich kardiovaskulären Todesfälle die Ursache nicht genau bestimmen. Einflüsse auf den primären Endpunkt sind zumindest denkbar. Ob Empagliflozin tatsächlich – wie von den Studienautoren betont – das Fortschreiten von Nierenerkrankungen hinauszögert, bedarf ebenfalls der weiteren Überprüfung. Bleibt als Fazit im arznei-telegramm: „Die günstigen Ergebnisse der EMPA-REG-OUTCOME-Studie müssen unseres Erachtens bestätigt werden, bevor daraus Empfehlungen für die Praxis abzuleiten sind.“