Auguste ist dement. Im Alter von 51 Jahren. Alois, Oberarzt einer psychiatrischen Klinik, ist fasziniert von der Frau, die immer wieder erzählt, sie habe sich selbst verloren. Er protokolliert gemeinsame Gespräche. Wie bedeutend seine Notizen einmal sein werden, ahnt er noch nicht.
Zum Demenz-Tag möchte ich hier über Auguste und Alois schreiben. Das Schicksal führte beide an einem Tag zusammen und seither sind die beiden Namen unzertrennbar miteinander verknüpft. Alois trifft Auguste in Frankfurt an einem nebeligen Novembertag, genauer am 26.11.1901. Auguste ist eine mit einem Eisenbahnkanzlisten verheiratete Frau. Bis vor einem Jahr scheint alles in Ordnung, dann beginnt sich Auguste zu verändern. Sie bekommt Eifersuchtsanfälle und vermutet ein Liebesverhältnis zwischen ihrem Ehemann und einer Nachbarin. Sie glaubt wahnhaft, dass der Milchmann unsterblich in sie verliebt sei. Täglich läuft sie durch die Moersfelder Straße und klingelt an diversen Türen Sturm.
Sie ist jung und wirkt im Gespräch sehr verwirrt
Sie wird vergesslich und ist bald nicht mehr in der Lage den Haushalt zu führen. Ihr Ehemann ist letztendlich verzweifelt und weiß sich keinen anderen Rat, als seine Ehefrau in die Städtische Anstalt für Irre und Epileptische nach Frankfurt zu bringen. Dort wird sie am 25.11.1901 aufgenommen. Auguste ist zu diesem Zeitpunkt 51 Jahre alt. Ihr Verhalten gibt den Ärzten Rätsel auf. Sie ist jung und wirkt im Gespräch sehr verwirrt. Aus diesem Grund erweckt sie das Interesse von Alois, der zu diesem Zeitpunkt Assistenzarzt in der Klinik ist. Er protokolliert mehrere Gespräche mit Auguste z.B. ein Gespräch beim Mittagsessen. Es gibt Blumenkohl und Schweinefleisch.
„Was essen Sie?“
„Spinat.“ (Sie kaut das Fleisch)
„Was essen Sie jetzt?“
„Ich esse erst Kartoffeln und dann Kren.“
Ein weiteres Gespräch verläuft wie folgt.
„Wie heißen Sie?“
„Auguste.“
„Familienname?“
„Wie heißt Ihr Mann?“ – Auguste Deter zögert, antwortet schließlich:
„Ich glaube … Auguste.“
„Ihr Mann?“
„Ach so.“
„Wie alt sind Sie?“
„51.“
„Wo wohnen Sie?“
„Ach, Sie waren doch schon bei uns.“
„Sind Sie verheiratet?“
„Ach, ich bin doch so verwirrt.“
„Wo sind Sie hier?“
„Hier und überall, hier und jetzt, Sie dürfen mir nichts übel nehmen.“
„Da werden wir noch wohnen.“
„Wo ist Ihr Bett?“
„Wo soll es sein?“
Auguste vergisst er nie
Alois ist fasziniert von der Patientin, denn eine so junge Frau mit solch schwerwiegenden Symptomen hat er bisher nicht getroffen. Die meisten Patienten mit starker Vergesslichkeit und Verwirrtheit waren 70 Jahre und älter; Auguste nun gerade 51 Jahre. Er unterhält sich in den nächsten Tagen öfter mit ihr. Augustes Stimmung schwankt zwischen Angst, Unruhe, Misstrauen, Ratlosigkeit und Traurigkeit. Sie kann sich an Orte und Zeiten nicht erinnern und antwortet auf Fragen ausweichend und ohne Bezug. Alois protokolliert alle Auffälligkeiten genau. Immer wieder fällt der Satz: „Ich habe mich sozusagen verloren.“
Im darauffolgenden Jahr verlässt Alois Frankfurt. Sein Weg führt ihn über Heidelberg nach München. In den nächsten Jahren arbeitet er als Oberarzt in der Psychiatrischen Klinik unter Emil Kraepelin und forscht an histologischen Schnitten des Gehirns. Seine Patientin Auguste vergisst er allerdings nie. Er erkundigt sich häufig nach ihr und verhindert eine Verlegung aus Kostengründen in eine andere Klinik. Am 8.04.1906 stirbt Auguste mit gerade mal 56 Jahren.
Diagnose: Präsenile Demenz
In den 5 Jahren zuvor hatte sich der Geisteszustand weiter verschlechtert, so dass sie zuletzt bettlägerig gewesen ist. Eine Wundinfektion war dazugekommen, an der sie letztendlich verstarb. Alois erfährt am darauffolgendem Tag von ihrem Tod und bespricht mit dem Direktor der Klinik in Frankfurt, dass er gern ein Hirnpräparat untersuchen möchte. Er vermutet, dass Veränderungen im Gehirn, die jugendliche Demenz ausgelöst haben könnten. Tatsächlich findet er im Schnittpräparat von Auguste Amyloidplaques und Neurofibrillen, also Veränderungen, die er bisher nur bei deutlich älteren Patienten gesehen hat. Er nennt diese Demenz: präsenile Demenz.
Am 3.11.1906 stellt er diese neue Art der Demenz auf einem Kongress in Tübingen vor. Die Tragweite der Erkenntnisse wird von den 88 anwesenden Wissenschaftlern jedoch zum damaligen Zeitpunkt nicht erkannt. Erst Jahre später werden die Thesen und histologischen Daten von Alois in einem Psychiatriebuch seines Chefs (Emil Kraepelin) erwähnt und somit wissenschaftlich anerkannt. Sie beschreiben sehr genau die heute häufigste Demenzform, die seither Alois Namen trägt. Bei Alois und Auguste handelt es sich um: Alois Alzheimer und Auguste Deter. Einen Arzt und seine Patientin, deren schicksalhaftes Zusammentreffen beide Personen für immer miteinander verknüpft und den Blick auf die Demenzen für immer verändert hat.