Selbstinformierte Patienten haben zu hohe Erwartungen und erschweren den Behandlungsprozess – so die bisherige Annahme. Eine neue Studie sieht informierte Patienten jedoch als Chance, um individuelle und bestmögliche Therapien gemeinsam mit dem Arzt entwickeln zu können.
Immer mehr Patienten informieren sich selbständig durch das Internet zu ihrer Erkrankung. Zum Arzt kommen daher informierte Patienten, was einen großen Einfluss auf die Arzt-Patienten-Beziehung und die Einstellung der Beteiligten zueinander hat. Die Bertelsmann Stiftung ist diesem Thema zusammen mit der Barmer Gmünder Ersatzkasse (BARMER GEK) nachgegangen und befragte Ende 2015 über 800 ambulant tätige Ärzte in einer Online-Umfrage zu ihrer Haltung gegenüber „selbstinformierten Patienten“. Das Ergebnis: Fast alle befragten Ärzte bestätigten, dass sich ihre Patienten stärker informieren als noch vor fünf Jahren.
Etwa ein Viertel gab an, sich an einem normalen Arbeitstag mit mehr als 30 Prozent der Patienten über solche Informationen auszutauschen. Das begrüßt etwas mehr als die Hälfte der Ärzte, die andere bewertet diesen „Trend“ negativ. Professor Debus, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO), bemerkt: „Immerhin etwas mehr als ein Drittel der Befragten gab an, dass informierte Patienten sich leichter an Entscheidungen für ihre Gesundheit beteiligen können. Das ist genau der Punkt, an dem wir ansetzen: Wer Grundsätzliches über Krebstherapien weiß – sei es Operation, Chemo- oder Strahlentherapie, kann zusammen mit dem behandelnden Arzt die für ihn beste Therapieentscheidung treffen und diese auch mittragen.“ Professor Dr. med. Stephanie E. Combs erläutert die Wichtigkeit von Vorabinformationen am Beispiel des Prostatakarzinoms, an dem in Deutschland jedes Jahr 64.500 Männer neu erkranken.
„Für die Behandlung des Prostatakrebses stehen verschiedene Alternativen zur Verfügung. Die Strahlentherapie wird beispielsweise seit langem als schonende Alternative zur Operation angeboten. Mit modernen Bestrahlungstechniken treten sehr geringe Nebenwirkungen auf, wie beispielsweise Harninkontinenz oder Potenzstörungen. Daher müssen Therapiealternativen sowie die Risiken und Nebenwirkungen gemeinsam besprochen und gegeneinander abgewogen werden.“ Aber das erführen längst nicht alle betroffenen Patienten, wenn sie die Diagnose erhalten, so die Expertin. Dabei gehe es nicht darum, eine Therapie gegen die andere auszuspielen, sondern die für den Patienten am besten geeignete auszuwählen. „Das geht nur in einem persönlichen Gespräch. Das Alter und die persönliche Definition von Lebensqualität sind unter anderem wichtige Entscheidungsparameter. Der vorinformierte Patient kann eigene Kriterien einbringen und wir können auf Augenhöhe miteinander sprechen“, so Professor Combs, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Strahlentherapie und Radiologische Onkologie am Klinikum rechts der Isar in München.
Wenn ein Patient Krankheit, Behandlungsansätze und mögliche Folgen kennt, kann es ihm auch helfen, mit der Erkrankung besser zurechtzukommen. Debus: „Der Arzt ist und bleibt der Experte – das steht nicht infrage. Dennoch darf der Patient eine Therapieempfehlung hinterfragen und sollte dies vor allem dann tun, wenn er nicht hinter der Therapieentscheidung steht.“ Patienten, die Zweifel an der Einschätzung des Arztes haben, empfiehlt der Radioonkologe, eine zweite Meinung einzuholen. „Und kommt der Patient dann wieder zurück, behandle ich ihn natürlich genauso gern und engagiert wie zuvor auch.“ Den ärztlichen Kollegen rät Combs, informierte Patienten als Chance zu begreifen. „Mitunter finden sich sachlich nicht richtige Informationen im Web. Da ist es unsere Aufgabe, unseren Patienten gutes Infomaterial an die Hand zu geben – uns also vorab gegebenenfalls selbst zu informieren, welche Internetseiten oder auch Broschüren gut und seriös sind. Originalquelle: Ärzte sehen informierte Patienten kritisch Bertelsmann Stiftung; 2016