Glioblastome zählen zu den aggressivsten Tumoren und haben eine äußerst schlechte Prognose. Forscher haben nun einen Test entwickelt, mit dessen Hilfe sich identifizieren lässt, welche Patienten von der Standardtherapie profitieren und welche nicht.
Das Glioblastom ist der häufigste bösartige Hirntumor bei Erwachsenen. Nach wie vor gilt es als nicht heilbar. Die derzeitige Standardtherapie zielt deshalb darauf ab, das Fortschreiten der Erkrankung zu verzögern: Zuerst wird das Tumorgewebe operativ so weit wie möglich entfernt. Um weitere Krebszellen im umliegenden gesunden Gehirngewebe zu vernichten, folgt eine Radiochemotherapie, der sich eine Erhaltungs-Chemotherapie anschließt. Obwohl das Glioblastom bei nahezu allen Patienten unausweichlich wieder auftritt, unterscheidet sich ihre verbleibende Lebenszeit jedoch beträchtlich. Bislang sind nur wenige prognostische Faktoren bekannt, die darüber Auskunft geben könnten, wie gut ein Patient auf die Standardtherapie anspricht: Im klinischen Alltag prüfen Ärzte insbesondere den MGMT-Status der Tumorzellen. Ist die Promotor-Region des MGMT-Gens methyliert, zeigen Chemotherapeutika wie Temozolomid meist eine länger anhaltende Wirkung. Nun hat ein Forscherteam des Helmholtz Zentrums München und des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) ein Verfahren entwickelt, mit dessen Hilfe Ärzte besser als bisher voraussagen könnten, welche Patienten gut auf die Standardtherapie ansprechen werden und welche nicht. Wie die Wissenschaftler um Kristian Unger und Maximilian Niyazi in einem Artikel im Fachmagazin Oncotarget berichten, geben vier mikroRNAs den entscheidenden Hinweis auf den weiteren Krankheitsverlauf von Glioblastom-Patienten nach einer Standardtherapie. Diese kleinen Moleküle bestehen aus einer kurzen Kette von 21 bis 23 Nukleotid-Bausteinen und spielen eine wichtige Rolle im komplexen Netzwerk der Genregulation.
Den mikroRNAs kam das Team um Unger und Niyazi auf die Spur, als sie im Rahmen einer retrospektiven Studie Hirntumorproben von 36 Glioblastom-Patienten untersuchten, die alle eine Standardtherapie erhalten hatten und deren weiterer Krankheitsverlauf gut dokumentiert worden war. In diesen Proben bestimmten die Forscher die Konzentration von rund 1.200 mikroRNAs. Dabei stellten sie fest, dass die Konzentration von vier dieser mikroRNAs mit der Überlebenszeit der Patienten korrelierte. Kamen die mikroRNAs hsa-let-7a-5p, hsa-let-7b-5p und hsa-miR-125a-5p in den Proben seltener und die mikroRNA hsa-miR-615-5p häufiger vor, so überlebten die Patienten im Durchschnitt 13,5 Monate, war das Konzentrationsverhältnis der vier mikroRNAs genau umgekehrt, so überlebten die Patienten im Durchschnitt 18,4 Monate. Mikroskopaufnahme eines gefärbten Gewebeschnittes, die den Übergang von Tumorgewebe (unten) zu normalem Gewebe (oben) im Gehirn zeigt © LMU München Der Unterschied in der Überlebenszeit von 4,9 Monaten zwischen den Patienten mit hohem Risiko und den Patienten mit niedrigem Risiko war statisch signifikant und unabhängig von Alter, Geschlecht und MGTM-Status. „Es ist ein multivariabler Ansatz, da eine mikroRNA nicht ausreicht, um eine sichere Aussage zu treffen“, sagt Unger, stellvertretender Leiter der Abteilung Strahlenzytogenetik am Helmholtz Zentrum München. „Mit Hilfe des Expressionsmusters aller vier mikroRNAs lässt sich ein Risikoscore berechnen. Je höher er ausfällt, desto höher ist das Risiko, frühzeitig zu sterben.“ Zur Bestätigung ihrer Ergebnisse untersuchte das Team um Unger und Niyazi Proben von weiteren 58 Glioblastom-Patienten. Auch hier stellten die Forscher fest, dass die Aussicht auf ein längeres Ansprechen der Therapie umso geringer war, je höher der Risikoscore ausfiel.
Die Frage, ob die mikroRNAs selbst im Gehirngewebe zum Wachstum des Glioblastoms beitragen oder lediglich indirekte Biomarker sind, ist noch nicht geklärt. Erste Analysen weisen darauf hin, dass eine der mikroRNAs als Tumorsuppressor fungieren könnte. Im Reagenzglas und im Tiermodell untersuchen die Forscher momentan die Effekte, die auftreten, wenn die Funktion der jeweiligen mikroRNA gezielt in den Tumorzellen ausgeschaltet wird. „Wenn wir die molekularen Mechanismen im Detail verstehen, die durch die mikroRNAs gesteuert werden, könnten wir versuchen, gezielt mit Antikörpern in diese Signalwege einzugreifen und Patienten mit hohem Risiko neue Perspektiven zu eröffnen“, findet Niyazi, Oberarzt am Klinikum der Universität München.
Sein Kollege Unger geht davon aus, dass die Bestimmung des neuen Risikoscores zukünftig dabei helfen könnte, diejenigen Glioblastom-Patienten ausfindig zu machen, die nur wenig von einer Standardtherapie profitieren und für die deshalb intensivierte beziehungsweise zusätzliche Behandlungen wünschenswert wären. Da das Tumorgewebe in der Regel sofort entfernt werde, so der Forscher, ließe sich eine entsprechende Analyse relativ einfach und ohne großen Mehraufwand erstellen. Zurzeit gibt es laut Unger kein anderes Verfahren zur Prognose des Krankheitsverlaufs von Glioblastom-Patienten nach einer Standardtherapie, weder auf Basis der mikroRNA-Expression noch auf Basis von DNA- oder Protein-Expression, das sich in ähnlich weit fortgeschrittener Entwicklung befindet.
Doch bevor Ärzte auf Grundlage des Expressionsmusters der vier mikroRNAs darüber entscheiden, ob Patienten eine intensivere Therapie erhalten sollten, möchten Unger und Niyazi den Test in einer prospektiven Studie nochmals überprüfen. Dafür sollen im Verlauf der nächsten drei Jahren Patienten mit einem frisch diagnostizierten Glioblastom in die Studie aufgenommen und nach Bestimmung des Risikoscores der weitere Krankheitsverlauf beobachtet werden. Erst wenn die Ergebnisse der Studie vorliegen und die bisherigen bestätigen, könnte nach Ansicht von Unger bei der Gruppe der Hoch-Risiko-Patienten die Dosierung von Bestrahlung und Chemotherapie erhöht werden. „Was aber auf jeden Fall jetzt schon gehen würde, ist, dass Ärzte Glioblastom-Patienten mit hohem Risiko engmaschiger auf Rezidive kontrollieren“, findet Niyazi. „Denn eine frühzeitige Rezidivtherapie sichert ein längeres Überleben bei relativ guter Lebensqualität.“ Aber auch der umgekehrte Fall, so Niyazi, sei möglich: „Gerade bei der Gruppe der älteren Hoch-Risiko-Patienten wäre auch eine Deeskalierung denkbar, so dass man auf eine weitere Therapie-Intensivierung verzichtet und nur noch palliativ behandelt.“