Rheuma: Was ist das eigentlich? Im Studium war Rheuma für mich ein Mysterium, ein weites, unergründliches Feld – the final frontier.
Noch heute muss ich sagen: Es ist in der Tat ein sehr weites und sehr umfängliches Feld. Als Orthopäde hat man damit teilweise nur am Rande zu tun. Zu erwähnen ist da natürlich der Morbus Bechterew – ich würde sagen, die rheumatologische Erkrankung der orthopädischen Praxis. Damit kenne ich mich wohl immerhin ganz gut aus.
Ich möchte heute einen kurzen Überblick zum Thema Rheuma liefern, der aber keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Rheuma ist ein großer Überbegriff für viele verschiedene Erkrankungen, insgesamt wohl mehr als 100, die sich durch die typischen entzündlichen Veränderungen des Stütz- und Bewegungsapparates auszeichnen. Aktuell gibt es eine umfassende Einteilung in axiale und periphere Spondylarthritiden, auf die ich hier aber nicht genauer eingehen möchte, das Thema ist wie gesagt einfach per se komplex.
Meist ist die primär chronische Polyarthritis gemeint
Wenn die Patienten von Rheuma sprechen, meinen sie meist die primär chronische Polyarthritis/rheumatiode Arthritis (pcP bzw. RA). Sie gehört zu den häufigsten entzündlichen Rheumaformen. Deswegen soll sie hier exemplarisch auch vorgestellt werden.
Zu den weniger häufigen Unterformen gehören Kollagenosen (Fehlregulation des Immunsystems gegen Bestandteile des eigenen Bindegewebes) wie der systemische Lupus erythematodes (SLE) und das Sjögren-Syndrom oder Skleodermie. Hinzu kommen unter anderem das Felty-Syndrom und die juvenile rheumatoide Arthritis, die Kinder betrifft.
Weiterhin Morbus Bechterew (Spondylitis ankylosans), die Psoriasis-Arthritis, reaktive Arthritiden, die alle HLA-B27 assoziiert sind. Dies ist ein Marker, der im Blut der Erkrankten nachgewiesen werden kann, während er – und das ist ganz wichtig zu wissen – auch in einem geringen Prozentsatz bei gesunden Patienten vorkommen kann. Es ist ein am roten Blutkörperchen nachweisbares Immunphänomen.
Noch seltener sind die Vaskulitiden, die sich ebenfalls durch entzündliche Veränderungen äußern, die das komplette Gefäßsystem betreffen: Panarteriitis nodosa, Wegener-Granulomatose, Arteriitis temporalis und einige andere. Diese sind so selten, dass mir in vielen, vielen Jahren orthopädischer Praxis in der Klinik und als niedergelassener Arzt nur ungefähr eine Handvoll Patienten mit diesen Erkrankungen begegnet ist und keine davon habe ich selber diagnostiziert, meist lag ich mit meinen Verdachtsdiagnosen nämlich daneben.
Symptome und Ursachen
Keine rheumatische Erkrankung verläuft gleich, viele halten sich nicht ans Lehrbuch, manche sind im Blut nachweisbar, manche nicht. Ihnen eigen sind aber eine meist erhebliche Einschränkung der Lebensqualität und ein fortschreitender Verlust der Gelenkbeweglichkeit und Selbstversorgefähigkeit der Patienten. Sie entwickeln sich langsam bis schleichend mit oft auftretenden Schüben, die zu einer nachhaltigen Verschlechterung führen können, aber auch nicht müssen.
Auf kleinster Zellebene handelt es sich um eine Immunreaktion, bei der es zu einer Antigen-Antikörperreaktion kommt, die zu einer Zellvermehrung in der Gelenkflüssigkeit und einer chronischen Entzündung in diesem Bereich führt. Diese kann das Gelenk und die Gelenkinnenhaut angreifen und zu deren fortschreitender Zerstörung führen. In erster Linie aber bringt die Entzündung Schmerzen, Schwellung und Bewegungseinschränkung mit sich. Betroffen sind meist zunächst die kleinen Gelenke der Finger/Hände und Füße. Die weitere Immunantwort des Körpers auf diese Entzündung führt im Verlauf zu Abbau des Knorpels und der Knochen.
Kriterien zur Diagnose
Das American College of Rheumatology (ACR) hat 1988 Kritieren aufgestellt, die für alle rheumatischen Erkrankungen gelten. Sie müssen für mindestens sechs Wochen bestehen, bevor eine rheumatologische Erkrankung diagnostiziert werden sollte:
Eine rheumatoide Arthritis kann bei Vorhandensein von mindestens vier Kriterien recht sicher angenommen werden.
Zusätzlich können bei einer Vielzahl der Patienten allgemeine Symptome wie Leistungsknick, Fieber, Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Schmerzen und Schwäche beobachtet werden.
Verlauf der primären chronischen Polyarthritis
PcP verläuft meist in Schüben, allerdings recht zügig, erste Knochenarrosionen (im Röntgen sichtbarer Abbau von Knochensubstanz) zeigen sich bei den Patienten oft schon nach einem Jahr. Meist fängt es eher harmlos an, Entzündungen im Bereich der Schleimbeutel und Sehnenscheiden, Schmerzen und Schwellungen der kleinen Gelenke an Hand und Fuß einhergehend mit Instabilität, im späteren Verlauf Schlottergelenk genannt. Mit Voranschreiten der Krankheit kommen die großen Gelenke wie Knie, Hüfte, Schulter hinzu und es kommt zu Fehlstellungen der Gelenke.
Auch hierbei sind vor allem die Finger betroffen (Knopflochdeformität, Schwanenhals genannt), im Kniebereich kann sich ein X-Bein entwickeln. Bei PcP gibt es auch einen gewissen Anteil an Patienten, bei denen die Halswirbelsäule befallen ist. Generell sollte auf die HWS bei Rheumatikern ein besonders hohes Augenmerk gelegt werden, weil es dort zu vielen Einschränkungen kommen kann, die auch die Lebensqualität entscheidend beeinflussen.
Wie kann das Labor helfen?
Im Labor finden sich klassischerweise bei 80 Prozent der Patienten Rheumafaktoren (Immunglobuline der Klasse M gegen die der Klasse G), Anti-Nukleäre Antikörper (gegen Zellkernbestandteile) bei den Kollagenosen und HLA-B27 bei den axialen Spondylarthritiden wie M. Bechterew.
Achtung: Diese Faktoren sind auch bei 5 Prozent der gesunden Bevölkerung, bzw. 50 Prozent bei nichterkrankten Verwandten, zu finden. Das bedeutet auf einen Erkrankten kommen 20 gesunden Menschen, die das Merkmal auch tragen, man kann wahrscheinlich von einer recht hohen Anzahl an falsch diagnostizierten Erkrankungen nur aufgrund eines positiven HLA-B27 ausgehen. Weitere Kriterien sind ein erhöhtes CRP und ein oft erniedrigtes Eisen.
Von der Diagnose zur Therapie
Zur Diagnosefindung gehören neben Anamnese, Untersuchung und Labor, die Kriterien des ACR (s.o.) und weitere Diagnostik. Gegebenenfalls kann eine Gelenkpunktion notwendig werden. Man versucht aber dies wegen der bestehenden Risiken wie Infektionen zu vermeiden. Des Weiteren helfen MRT bzw. Röntgen bei der Diagnosefindung sowie Ultraschall der Organe bei den Kollagenosen.
Auch die Therapie des Rheuma, hier exemplarisch der PcP, ist wiederum ein weites Feld, das sich fast monatlich weiter entwickelt. Allein Rheumatologen behalten hier den Überblick. Die Therapie kann medikamentös über die sogenannten Basismedikamente/DMARD (disease modyfying antirheumatic drugs) erfolgen: MTX, vor allen anderen auch heute noch das Basismedikament der Wahl, Chloroquin, Gold-Präparate, D-Penicillamin, Azathioprin, Sulfasalazin.
Häufiger kommen nun immunmodulierende Medikamente wie TNF-alpha-Hemmer (z. B. Etanercept oder Infliximab oder Adalimunab) zum Einsatz. Leider gehen diese mit einem höheren Nebenwirkungsrisiko einher, so steigt beispielsweise das Infektionsrisiko nach OPs deutlich an.
Ergänzend dazu bekommen einige Patienten noch oral Cortisonpräparate, allerdings kommt man aufgrund der Nebenwirkungen zunehmend davon ab oder versucht es zumindest. Trotzdem sind die Glucocorticoide ein sehr starkes und wirksames Medikament.
Des Weiteren können NSAR helfen (Ibuprofen, Voltaren etc), die durchaus auch am Anfang der Erkrankung gute Wirksamkeit zeigen können. Obacht: Hier besteht die Möglichkeit eines Schubs bei SLE.
Die Patienten sollten im Laufe der Therapie engmaschig überwacht werden, um die Möglichkeit zu haben, schnell auf Schübe oder Auffälligkeiten, reagieren zu können.
Nichtmedikamentöse Therapie: Radiosynoviorthese und OP
Neben medikamentösen Therapien kommen Radiosynoviorthese, die Zerstörung der entzündeten Gelenkinnenhaut durch Röntgenstrahlen, oder Operationen in Frage. Das Problem ist allerdings, dass die PcP nicht ein Gelenk alleine befällt, sondern oft ganz viele, die Erkrankung betrifft den ganzen Körper. Wo also anfangen, wo aufhören?
Die Gelenke sind oft ganz erheblich zerstört, deformiert und häufig ist auch die Knochensubstanz und -festigkeit angegriffen. Jede Operation muss also wohl überlegt sein. Zu den möglichen Operationen gehören die arthroskopische Entfernung der Gelenkinnenhaut, die Versteifung oder der Ersatz durch eine Endoprothese, zum Beispiel im Bereich des Knies/Hüfte (Mittel der Wahl). Wichtige Therapiebausteine sind zudem Physio und Sport, Ergotherapie und die richtige Ernährung.