Gibt es genetische Varianten, anhand derer klinische Verläufe nach dem Auftreten einer Sepsis prognostiziert werden können? In zwei groß angelegten Studien gingen Forscher dieser Frage nach und zeigten, dass proteinverändernde Genvarianten dabei von Bedeutung sind.
Wird die Sepsis nicht schnell erkannt und behandelt, endet sie oft tödlich. Zahlreiche Komponenten haben einen Einfluss auf den Verlauf der Erkrankung, und es ist schon seit längerem bekannt, dass auch die genetische Grundausstattung des Patienten eine wesentliche Rolle spielt. Forscher des Center for Sepsis Control and Care (CSCC) am Universitätsklinikum Jena, des Leibniz-Instituts für Alternsforschung (FLI) in Jena, der Uni Ulm und des Universitätsklinikums Leipzig analysierten sowohl seltene als auch häufige genetische Varianten des menschlichen Genoms. Ziel ihrer beiden Studien war die Suche nach genetischen Varianten, anhand derer unterschiedliche klinische Verläufe nach dem Auftreten einer Sepsis prognostiziert werden können.
Die erste Studie untersuchte Sepsisfälle, die durch extrem unterschiedliche Verläufe auffielen. Zum einen waren dies Patienten, die trotz offenbar ungünstiger Voraussetzungen, wie hohes Alter, mehrerer Vorerkrankungen, Behandlung mit nicht geeigneten Antibiotika, die Sepsis überlebten; zum anderen Patienten, die eher jünger waren und zeitnah eine adäquate Therapie erhielten, bei denen die Sepsis aber trotzdem sehr schwer verlief. Aus mehr als 4.000 Patienten wurden diese beiden Extremgruppen zusammengestellt. Bei der Genanalyse der ausgewählten 74 Patienten konzentrierten sich die Wissenschaftler auf seltene, proteinverändernde Genvarianten. „Entgegen unserer Erwartung fanden wir im Vergleich der beiden Extremgruppen, dass sich bei den Patienten mit günstigen Sepsisverläufen mehr solche Genvarianten fanden“, so PD Dr. Platzer vom Jenaer Leibniz-Institut für Alternsforschung.
Die in diesen Gensequenzen verschlüsselten Proteine sind an Signalprozessen in der Zelle, bei der Erkennung des Krankheitserregers und des angeborenen Immunsystems beteiligt. „Diese konnten wir durch eine neu entwickelte semantische Informationsfusion identifizieren“ ergänzt Professor Hans Kestler, Professor an der Universität Ulm. Studienleiter Matthias Platzer: „Wir nehmen an, dass die veränderten Proteine die sonst im Fall einer Sepsis zu beobachtende Überreaktion des Körpers auf die Infektion abmildern. Wahrscheinlich ist zudem, dass dieser eher protektive Effekt erst aufgrund der Kombination mehrerer Varianten entsteht.“ Zudem könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Wirkung der Varianten unter anderen Umständen schädlich ist.
Die zweite Studie sah sich nicht nur die Stellen im Genom an, die für Proteine kodieren, sondern häufige genetische Varianten des gesamten menschlichen Genoms. Sie analysierte die Daten von 740 Sepsispatienten in einer genomweiten Assoziationsstudie. „Dabei identifizierten wir 14 Genregionen, die mit einer erhöhten Sterblichkeit nach Sepsis zusammenhingen. Eine Validierung anhand der Daten von weiteren 3.470 Patienten rückte speziell drei Genregionen in den Fokus“, so Studienautor Professor André Scherag. Darunter sind auch Abschnitte des Gens CRISPLD2, die keine Eiweiße verschlüsseln. Für dieses Gen konnte in anderen Studien ein Zusammenhang mit Procalcitonin nachgewiesen werden, einer Hormonvorstufe, die als einer der validesten Biomarker bei der Verlaufskontrolle von Sepsisverläufen gilt.
„Wir sind noch weit davon entfernt, Markergene für einen schweren Sepsisverlauf zu kennen“, ordnet der Studienleiter André Scherag kritisch die Ergebnisse für die Praxis ein. „Aber diese Arbeiten liefern neue komplementäre Einsichten in biologische Prozesse, die entscheidend für den Verlauf einer Sepsis sein könnten.“ Beide Studien konzentrieren nun den Blick der Forscher auf Bereiche des menschlichen Genoms, deren weitere Untersuchung das Verständnis molekularer Prozesse bei Sepsis verbessern und damit den Weg zu neuen Behandlungsmöglichkeiten aufzeigen könnte. Originalpublikationen: Genetic factors of the disease course after sepsis: a genome-wide study for 28 day mortality S. Taudien et al.; EBioMedicine, doi: 10.1016/j.ebiom.2016.08.037; 2016 Genetic factors of the disease course after sepsis: Rare deleterious variants are predictive A. Scherag et al.; EBioMedicine, doi: 10.1016/j.ebiom.2016.08.043; 2016