Seiner Aufklärungspflicht muss der Arzt auch dann nachkommen, wenn der Patient nicht mitwirkt. Denn schnell kann es durch kleinste Versäumnisse passieren, dass dem Arzt ein Behandlungsfehler vorgeworfen wird. Daher ist es wichtig, etwa Befundeingänge täglich zu prüfen.
Eigentlich weiß es jede Ärztin, jeder Pfleger und jede Krankenschwester: Doch manchmal gerät es im Berufsalltag in Vergessenheit: Jede medizinische Handlung am Patienten stellt eine Körperverletzung dar. Die Rechtswidrigkeit dieser Körperverletzung entfällt nur, wenn Patienten mit der Handlung einverstanden sind, also vorab einwilligen. Damit Patienten wirksam in eine medizinische Handlung (Diagnostik oder Behandlung) einwilligen können, müssen sie richtig aufgeklärt werden. Das bedeutet folgendes: Der Patient muss verstehen, welche • Maßnahmen warum erforderlich sind, • Alternativen es gegebenenfalls gibt, • Risiken mit welcher Handlung verbunden sind, • Folgen es haben kann, wenn er diese medizinische Handlung jetzt (noch) nicht will. Der Arzt hat daher eine Aufklärungspflicht; schon vor dem Patientenrechtegesetz entsprach es der ständigen Rechtsprechung, seither ist diese ärztliche Pflicht gesetzlich normiert. Eine unterbliebene oder unzureichende Aufklärung kann einen Behandlungsfehler darstellen.
Der Umfang seiner Aufklärungspflichten ist vermutlich nicht jedem Arzt bekannt, insbesondere wenn Patienten nicht oder nur schlecht mitarbeiten, indem sie z. B. vereinbarte Behandlungstermine nicht wahrnehmen. Über den Umfang der Aufklärungspflichten des behandelnden Arztes sind in den letzten Jahren mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen. Interessant ist dabei ein aktuelles Urteil des saarländischen Oberlandesgerichts Saarbrücken (OLG Saarbrücken, 06.07.2016, Az: 1 U 87/14). Geklagt hatte die Witwe eines Mannes, der in Folge eines Ösophaguskarzinoms verstarb. Nachdem der Ehemann der Klägerin schon Jahre über Schluckbeschwerden klagte, suchte er im Juli 2009 eine HNO-Abteilung auf. Der Patient wurde wiederholt einbestellt. Schließlich ergab eine Ultraschalluntersuchung den Verdacht auf ein Ösophaguskarzinom, ein CT bestätigte den Verdacht. Eine Panendoskopie, bei der Gewebeproben zur Sicherung der Diagnose entnommen werden sollten, wurde vom Patienten abgesagt. Diese Panendoskopie folgte erst zehn Monate später, als bereits eine Stimmbandlähmung infolge der Krebserkrankung eingetreten war.
Nachdem der Patient 2011 an den Folgen der Erkrankung verstarb, verklagte dessen Witwe den Leiter der HNO-Abteilung. Die Klägerin warf dem Arzt vor, ihr Mann sei nie über den Verdacht einer Krebserkrankung aufgeklärt worden. Das Ergebnis der CT-Untersuchung im November 2009 sei nicht mitgeteilt worden. Hätte ihr Mann von dem Verdacht gewusst, hätte er die Panendoskopie sofort durchführen lassen. Die Krebserkrankung wäre früher erkannt und damit auch früher behandelt worden. Der Krebs wäre noch heilbar gewesen. Der Beklagte verteidigte sich u.a. damit, dass er den schriftlichen Befund der CT-Untersuchung erst anforderte, als der Patient im Sommer 2010 wieder vorstellig wurde. Hätte der Patient sofort alle vereinbarten Termine wahrgenommen, wäre das Fehlen des CT-Befundes früher bemerkt worden. Außerdem habe sich durch das CT die Diagnoselage des Patienten nicht geändert, denn schließlich habe bereits nach der Ultraschalluntersuchung der Verdacht auf die Krebserkrankung bestanden. Natürlich habe er das Ergebnis und die Verdachtsdiagnose mit dem Patienten besprochen. Eine Dokumentation dieses Aufklärungsgesprächs findet sich jedoch nicht in den ärztlichen Unterlagen. In diesem konkreten Fall wies das OLG schließlich den Anspruch der Witwe auf Schadensersatz wegen eines Behandlungsfehlers ab (auch weil die Erkrankung bereits 2009 nicht mehr heilbar gewesen sei). Folgende wichtige Punkte werden in dem Urteil angesprochen.
Der Beklagte erklärte, die Ultraschalluntersuchung habe bereits den Verdacht auf Krebs ergeben und natürlich habe er den Patienten hierüber aufgeklärt. In der Krankenakte befand sich jedoch kein Vermerk über dieses Aufklärungsgespräch. Wegen der gesetzlichen Vermutung, dass nicht dokumentierte Maßnahmen nicht stattfanden, kehrt sich die Beweislage um. Der Arzt muss nun beweisen, dass er das Aufklärungsgespräch führte. Das OLG sieht hier diesen Gegenbeweis als erbracht. Der Beklagte habe schlüssig und widerspruchsfrei dargelegt, dass er den Patienten über das Ergebnis der Untersuchung aufklärte. Dies folge aus dem langjährigen Arzt-Patienten-Verhältnis und aus den Erläuterungen, warum weitere Untersuchungen veranlasst wurden. Es entspräche ärztlichem Vorgehen, dass wenn umfangreiche und auch mit Gewebeentnahme verbundene Untersuchungen veranlasst würden, dem Patienten erklärt werde, warum dies erfolgt. Auch habe er schlüssig dargelegt, dass er den Patienten darüber informierte, was es bedeutet, wenn die Untersuchung nicht komplett durchgeführt wird. Praxistipp: Dokumentieren Sie in der Krankenakte Zeitpunkt und Inhalt jedes erfolgten Aufklärungsgesprächs.
Der Arzt kann sich nicht darauf berufen, er hätte nach dem Befund geforscht, wenn der Patient alle Termine wahrgenommen hätte. Der Arzt hätte auch so aktiv nach dem CT-Befund forschen müssen. Wenn Termine von Patienten abgesagt werden, darf der Arzt nicht untätig bleiben. Wenn von einer mehrstufigen Untersuchung lediglich ein Teil durchgeführt wurde und sich hieraus eine geänderte Verdachtslage ergibt, muss der Arzt aktiv werden. Der Arzt darf sich auch nicht darauf berufen, der die Untersuchung durchführende Kollege spreche bereits mit dem Patienten über das Ergebnis. Der Veranlasser der Untersuchung hat sich selbst mit dem Befund zu befassen und zu einem eigenen Urteil zu kommen. Ihm obliegt die Pflicht des aufklärenden Gesprächs. Das Gericht führt in diesem Urteil aus: „Der Arzt hat durch eine geeignete Büroorganisation sicherzustellen, dass die Zusammenarbeit mit hinzugezogenen Ärzten nicht beeinträchtigt wird, etwa Befunde verloren gehen oder verspätet übermittelt werden .... Er hat etwa eine Rücklaufkontrolle bezüglich zu erwartender Befunde vorzuhalten.“ Dass dem Arzt im vorliegenden Fall dennoch kein Behandlungsfehler vorgeworfen wird, liegt daran, dass nach der Überzeugung des Gerichts, das Ergebnis des CTs die Diagnoselage lediglich bestätigte, aber nicht zum Nachteil des Patienten änderte. Deshalb habe das CT-Ergebnis keine erneute Aufklärung erfordert – der Arzt hatte schlichtweg Glück. Praxistipp: Prüfen Sie in Ihrer Praxis regelmäßig, welche erwarteten Befunde fehlen!
An dieser Stelle sei ein Exkurs auf einen anderen Fall gestattet, der bis zum Bundesgerichtshof gelangte (BGH, Urteil vom 02.07.2013, Az: VI ZR 110/13): Ein Hausarzt betreute einen Patienten mit diabetischem Fußsyndrom und nahm wegen einer Entzündung einen Wundabstrich. Donnerstags versorgte er die Wunde, das Laborergebnis lag noch nicht vor. Freitagsnachmittags ging der Befund ein. Er ergab einen massiven Befall mit Staphylococcus aureus. Der Befund wurde in der Praxis nicht beachtet, dem Arzt wurde er nicht vorgelegt. Samstags erfolgte die notfallmäßige stationäre Aufnahme des Patienten mit Schüttelfrost und Fieber. In der medizinischen Hochschulklinik wurde er – weil der Laborbefund nicht bekannt war – zunächst mit Penicillin und erst später mit Clindamycin behandelt. Es stellte sich heraus, dass sich das Knochenmark nach einem Ermüdungsbruch entzündet hatte, eine Gelenkversteifung wurde erforderlich. Der Hausarzt wurde wegen eines Behandlungsfehlers verklagt. In diesem Fall waren sich die Gerichte durch alle Instanzen hindurch einig: Der Arzt hätte sich den Laborbefund zeitnah zeigen lassen und noch freitags Maßnahmen ergreifen müssen. Das Versäumnis des Hausarztes, sich den Laborbefund nicht vorlegen zu lassen, wird als Befunderhebungsfehler bewertet. „Der Beklagte hätte dafür Sorge tragen müssen, dass der Befund noch am selben Tag zur Kenntnis genommen und der Kläger umgehend und zeitnah über das Ergebnis der Laboruntersuchung in Kenntnis gesetzt wird.“ Praxistipp: Lassen Sie sich eingehende Befunde zeitnah vorgelegen, um rechtzeitig reagieren zu können.
Dem Patienten kann die Nichtbefolgung ärztlicher Anweisungen nur dann als Mitverschulden angelastet werden, wenn er diese Anweisungen auch verstanden hat. Die Weigerung des Patienten, eine Untersuchung vornehmen zu lassen, ist rechtlich nur dann beachtlich, wenn der Arzt den Patienten auf die Notwendigkeit und Dringlichkeit der Untersuchung hingewiesen hat und ihm eindringlich vor Augen geführt hat, welche Folgen mit der Nichtuntersuchung verbunden sein können. Das OLG führt aus: Wo ein Patient wichtige Maßnahmen verweigert, muss der Arzt alles Gebotene unternehmen, damit der Patient die Weigerung aufgibt. Er muss klare und deutliche Worte finden und sogar ein Streitgespräch führen, um dem Patienten erhebliche und schwere Gefahren deutlich zu machen. Auf die unterlassene Mitwirkung des Patienten darf sich der Arzt nur berufen, wenn der Patient über das Risiko der Nichtbehandlung ausreichend aufgeklärt wurde. Praxistipp: Führen Sie klare Gespräche mit Ihren Patienten. Erneuter Exkurs zum Diabetes-Fall: Der Hausarzt hatte sich mit der Einlassung gewehrt, der Kläger habe sich trotz zunehmender Beschwerden nicht in seiner Praxis gemeldet. Wäre er erschienen, dann wäre der Laborbefund gesehen und bei gegebenem klinischen Befund die erforderliche Behandlung begonnen worden. Auch hierzu sagt der BGH: „Eine mangelnde Mitwirkung des Patienten bei einer medizinisch gebotenen Behandlung schließt einen Behandlungsfehler nicht aus, wenn der Patient über das Risiko der Nichtbehandlung nicht ausreichend aufgeklärt ist.“ Praxis-Tipp: Verlassen Sie sich nicht auf angemessenes Verhalten Ihrer Patienten. Sichten Sie Befunde zeitnah und benachrichtigen Sie umgehend Ihre Patienten über geänderte Diagnoselagen.