Der Philipp will einfach nicht still am Tisch sitzen und essen. Er wackelt so lange mit dem Stuhl, bis er das Tischtuch und alles, was auf dem Tisch steht, zu Boden reißt. Dieser Philipp ist bis heute Vorbild für alle Kinder, die unter einem ADHS Syndrom leiden, denn sie können ebenfalls nicht still sitzen. Als der Arzt Heinrich Hoffmann die Geschichte 1845 in sein Buch „Der Struwwelpeter“ aufnahm, konnte er nicht ahnen, dass der zappelnde und wackelnde Philipp ein Fall für die moderne Medizin werden würde.
Pädagogisch wertvoll?
Als Heinrich Hoffmann seine Geschichten textete und zeichnete, galt ein autoritärer Erziehungsstil als normal. In den Schulen durften die Lehrer ihre Schüler noch körperlich züchtigen und Kinder, die es wagten, ihren Eltern zu widersprechen, mussten mit den Konsequenzen leben. Der Arzt und Psychiater Hoffmann sah in seinem „Struwwelpeter“ einen pädagogischen Ansatz, auch wenn das heute angesichts der sehr drastischen Strafen kaum nachvollziehbar ist. Von allen Geschichten hat sich nur der Zappel-Philipp in die Gegenwart gerettet, denn er steht heute für das hyperaktive Kind, das unter einer funktionellen psychischen Störung, unter ADHS leidet. Warum der Philipp sich beim Mittagessen so verhält, ob er vielleicht nur die Eltern ärgern möchte – diese Frage wird bei Hoffmann nicht beantwortet. Genauso verhält es sich mit ADHS, denn auch hier ist bis heute nicht vollständig geklärt, wo die Ursachen liegen.
Doppelt schwer
Eltern mit Kindern, die unter ADHS leiden, haben es doppelt schwer. Je nachdem, wie ausgeprägt die Krankheit ihres Kindes ist, leidet die ganze Familie mit. Dazu kommt noch die meist despektierliche Haltung der Mitmenschen. Von einer „ordentlichen Tracht Prügel“ ist da gerne die Rede, die die Eltern ihren Sorgenkindern verpassen sollten, um sie wieder in „die Spur zu bekommen“. Den Eltern wird vorgeworfen, dass sie bei der Erziehung völlig versagt haben und die Kinder ihnen dafür heute auf der Nase herumtanzen. Wieder andere sind der Meinung, dass es die Krankheit ADHS überhaupt nicht gibt, sondern das Ganze nur eine Erfindung der Pharmaindustrie ist, um noch mehr Geld zu verdienen.
Wann gelten Kinder als verhaltensauffällig?
Viele Eltern wehren sich gegen die Diagnose ADHS, vor allem dann, wenn in der Familie Zweifel laut werden. Woran können Eltern überhaupt erkennen, dass es möglicherweise ein Aufmerksamkeitssyndrom ist, unter dem ihr Kind leidet? Kinder, die sich nur sehr schwer konzentrieren können, die schnell das Interesse an einem Spielzeug verlieren und oft gereizt reagieren, haben Symptome einer ADHS Erkrankung. Diese Kinder vermitteln den Eindruck, dass nie richtig zuhören, ihnen fehlt der Sinn für die Details und sie lassen sich sehr schnell ablenken. ADHS-Kinder sind seelisch instabil, sie neigen zu impulsiven Handlungen und sie neigen zu sogenannten Übersprunghandlungen. Eltern, die diese Symptome bei ihren Kindern beobachten, sollten einen Arzt aufsuchen, denn je eher die Behandlung beginnt, umso erfolgversprechender ist sie.
Ist ADHS heilbar?
Ist ADHS heilbar? Dieses Thema ist in der Medizin ebenso strittig wie auch die Frage nach der richtigen Therapie. Komplett heilbar ist das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom wahrscheinlich nicht, aber die Symptome können gemildert werden. In der Regel ist eine Kombination aus einer medikamentösen Therapie und einer Psychotherapie erfolgreich. Viele Eltern lehnen Medikamente ab, vor allem das umstrittene Ritalin. Ritalin ist weitläufig mit Amphetamin verwandt und hat Einfluss auf das Verhalten der betroffenen Kinder. Ob Ritalin oder ein anderes Medikamente infrage kommt, muss der Arzt bestimmen. Eltern, die sich nicht sicher sind, sollten sich auf jeden Fall eine zweite Meinung einholen.
ADHS ist eine psychische Störung, die behandelt werden muss. Es gibt keinen Grund, sich für ein Kind zu schämen, das an dieser Störung leidet. Die betroffenen Eltern sind gut beraten, nicht auf die „wohlwollenden“ Ratschläge aus der Familie und dem Bekanntenkreis zu hören.