Laut Gesetzlicher Krankenversicherungen nehmen durchschnittlich 50 Prozent der Frauen die Möglichkeit zur Krebsfrüherkennung wahr, bei den Männern sind es ernüchternde 20 Prozent. Warum sind Männer solche Gesundheitsmuffel? Eine Ursachenforschung.
Man kann sich manchmal nicht des Eindrucks erwehren, dass Prävention im deutschen Gesundheitswesen eine nachgeordnete Rolle spielt. Nichtsdestotrotz übernehmen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für eine ganze Reihe von Vorsorgemaßnahmen: diverse Krebsfrüherkennungen, Check-ups, Zahnvorsorgeuntersuchungen, Kinder- und Jugenduntersuchungen und Schutz- und teilweise sogar Reiseimpfungen.
Inanspruchnahme hält sich in Grenzen
Leider ist die Zahl derer, die solche Untersuchungen in Anspruch nehmen, ernüchternd niedrig: Nur gut 50 Prozent aller Frauen gehen regelmäßig zur Krebsfrüherkennung, bei den anspruchsberechtigten Männern sind es noch nicht einmal 20 Prozent. Die Möglichkeit zur Gesundheitsuntersuchung, einem „Check-up“ alle zwei Jahre ab dem 35. Lebensjahr, nutzen sogar nur 17 Prozent aller Frauen und Männer (Zahlen aus 2002). Dabei sind auch Männer mittlerweile zwar recht gut darüber informiert. Nach eigenen Angaben der Patienten nehmen übrigens nur 40% der Männer und 67% der Frauen die Krebsfrüherkennung wahr. Auch groß angelegte Werbekampagnen wie für die Darmkrebsvorsorge haben daran wenig geändert. Woran liegt dies?
Die üblichen Ausreden
An einer Online-Umfrage von The Harris Poll im Auftrag von Orlando Health beteiligten sich im Befragungszeitraum vom 19. bis 21. April 2016 insgesamt 2.042 volljährige US-Bürger, davon knapp 1.000 Männer. Die Frage lautete: Aus welchem der folgenden Gründe würden Sie vermeiden, einen jährlichen Termin mit ihrem Hausarzt zu vereinbaren?
Folgende Antworten konnten angekreuzt werden:
Ich bin zu beschäftigt (22 % der Männer)
Angst herauszufinden, was nicht stimmen könnte (21 %)
unangenehme Untersuchungen (18 %)
auf die Waage stellen müssen (7 %)
man muss sich ausziehen (7 %)
persönliche Fragen, die der Arzt stellen könnte (8 %)
Kälte im Untersuchungszimmer (4 %)
Andere Gründe (9 %)
Keine (52 %)
Keine Zeit für den Arzt, ansonsten flexibel
Vor allem Männer zwischen 18 und 44 stimmten der Aussage zu, sie seien zu beschäftigt. Viele äußerten auch Angst vor einer schlimmen Diagnose und wollten keine unangenehmen Untersuchungen, etwa an der Prostata, über sich ergehen lassen. Vor allem die Keine-Zeit-Ausrede sei „unentschuldbar“, erklärte hierzu der US-Urologe Jamin Brahmbhatt. Viele Männer könnten immerhin mehrere Stunden pro Woche mit Sportübertragungen im Fernsehen verbringen, da müssten sie auch für eine ärztliche Untersuchung Zeit aufbringen können, findet er.
„Es ist immer wieder zu beobachten, dass manche Patienten und insbesondere auch Männer nicht zum Arzt gehen, weil sie schlichtweg Sorge vor der Diagnose haben”, erklärte der Sprecher des Deutschen Hausärzteverbands, Vincent Jörres. Wichtig sei ein „langjähriges Vertrauensverhältnis" zum Arzt. Dann falle es Patienten leichter, bestimmte Beschwerden anzusprechen.
Gut belegt sei für Deutschland jedoch, dass gerade die Wartezeit beim Arzt Männer abschrecke, erklärte Theodor Klotz, Vorstand der Stiftung Männergesundheit. Sie wollten es vermeiden, lange mit Menschen zusammenzusitzen, die über Krankheiten sprechen. Erfolgreiche Vorsorgepraxen böten deshalb Terminsprechstunden an.
Auch hätten Männer ein anderes Körpergefühl als Frauen: Der Körper werde eher als Werkzeug betrachtet, sagte Klotz. Männer gehen, da sind sich Experten einig, vergleichsweise spät zum Arzt: Wenn etwas sehr weh tut und es unbedingt sein muss.
In der Mehrzahl der Fälle seien es dann die Frauen, die ihre Männer in die Sprechstunde schicken, sagte Gerd Thomas von der Deutschen Gesellschaft für Mann und Gesundheit. Seinen Worten nach schwankt die Selbsteinschätzung enorm je nach Geschlecht.
Viagra-Effekt?
Im Männergesundheitsbericht 2014 kommen Experten des Robert Koch-Instituts zu der Schlussfolgerung, dass Männer ihre Gesundheit häufiger als gut oder sogar sehr gut einschätzen. Eine mögliche Erklärung hierfür könnte sein, dass Männer körperliche Symptome weniger wahrnehmen oder weniger darüber reden.
Es bestehen aber auch Generationsunterschiede: Während bei den Über-70-Jährigen noch ein traditionelles Verständnis vorherrsche, habe sich das bei den gesundheitsbewussten 40- bis 60-Jährigen in den vergangenen 10 bis 15 Jahren gewandelt: Der Besuch beim Männerarzt oder Urologen sei inzwischen enttabuisiert, bestätigte Klotz.
Dieser Wandel hat für Klotz eine Ursache: Er spricht vom „Viagra-Effekt“. Die Einführung der blauen Pille in den 90er Jahren sei ein Türöffner gewesen, so dass sich vermehrt Männer mit Erektionsstörungen in ärztliche Behandlung begaben und Ursachen wie Depression oder Übergewicht erkannt wurden. „Vorher musste der Mann funktionieren“, so Klotz. Impotente seien zum Psychiater geschickt worden.
Gefährliche Folgen für Gesundheitsmuffel
Der Umgang mit der eigenen Gesundheit kostet die Männer Lebenszeit. Wie viel dies ausmacht, ist unklar. Statistisch gesehen leben Frauen im Durchschnitt jedoch etwa fünf Jahre länger als Männer. Das hat aber auch viel mit den spezifischen Lebensumständen zu tun, weil Männer häufig beruflich wie privat riskanter leben.
Im Rahmen einer Studie zur Lebenserwartung von Mönchen und Nonnen im Kloster lebten Frauen nur ein Jahr länger, berichtete Klotz. Seiner Ansicht nach holen die Männer auch im normalen Leben auf.
Dass sich die Geschlechter am Ende nicht so erheblich unterscheiden, zeigt die US-Umfrage: Zwischen Frauen und Männern herrschte weitgehende Einigkeit über die Gründe, den Arzt nicht zu konsultieren.
Es wird schon nichts Schlimmes sein …
Auch heutzutage treffen wir in unserer Klinik immer wieder auf Patienten unterschiedlicher Altersklassen, die beispielsweise wegen therapieresistenter Rückenschmerzen in der Orthopädie aufgenommen werden, und bei denen im Rahmen der Abklärung sich dann herausstellt, dass sie ein primär metastasiertes Prostatakarzinom mit einem PSA-Wert von über 1.000 ng/ml als Ursache der Beschwerden haben, und die nie vorher beim Urologen zur Vorsorge waren.
In so einem Fall ist eine kurative Therapie natürlich nicht mehr möglich, sondern es bleibt nur der Weg einer Androgendeprivation, gegebenenfalls in Kombination mit einer palliativen Strahlentherapie, Chemotherapie oder Abirateron-Behandlung. Hätte ein opportunistisches PSA-Screening stattgefunden, wäre die Erkrankung wahrscheinlich mit einer dann günstigeren Prognose früher aufgefallen.
Eine andere Gruppe, die den Arztbesuch häufiger hinauszögert, sind die – häufig jungen – Patienten mit Hodentumoren. Man wundert sich immer wieder, wie lange ein vergrößerter und/oder knotiger Hoden angeblich nicht aufgefallen ist oder erst einmal in der Hoffnung, es würde schon nichts Schlimmes sein, ignoriert wurde. Glücklicherweise sind die Heilungschancen bei Keimzellkarzinomen auch in fortgeschrittenen Stadien in der Regel sehr gut. Aber der Diagnosezeitpunkt kann natürlich den Unterschied zwischen einer erforderlichen induktiven Chemotherapie und einer alleinigen Tumornachsorge ausmachen.
Jahrelanges Aufschieben kann fatal enden
Genauso wird ein Peniskarzinom nicht selten erst einmal von den Männern so lange bagatellisiert („Wird schon wieder weggehen”) bis ein Organerhalt nicht mehr möglich ist oder im schlimmsten Fall Metastasen aufgetreten sind. In Erinnerung geblieben ist ein Fall, in dem der damals 53-jährige Patient sich erst beim Urologen vorstellte, als sich exulzerierte Lymphknotenmetastasen in der Leiste gebildet hatten und ihn seine Ehefrau aufgrund der Geruchsbelästigung zum Arztbesuch genötigt hatte. Bis dahin hatte er die Erkrankung vor seiner Umwelt verheimlicht. Die Anamnese ergab, dass er die zunächst nur im Bereich des inneren Vorhautblattes aufgetretene Hautveränderung erstmals vor über zwei Jahren bemerkt hatte. Dieser Patient ist an seiner Krebserkrankung verstorben.
Nicht immer muss es eine so bedrohliche Erkrankung sein wie ein Karzinom: Auch eine Phimose wird häufig von den betroffenen Patienten so lange „gepflegt”, bis das Präputium gar nicht mehr retrahierbar ist oder Komplikationen wie eine Balanoposthitis auftreten. Desgleichen führen Kondylome immer wieder erst dann zum Arztbesuch, wenn diese größer geworden sind.
Von daher kann ich nur bestätigen: Männer sind Gesundheitsmuffel.
Quellen:
Darum gehen Männer nicht zum Arzt. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 09.06.2016
Mareike Knoke. Warum Männer den Arzt scheuen. Spektrum.de, 28.09.2017
Kathryn Whitbourne. Why Men Don't Like to Go to the Doctor. HowStuffWorks, 16.06.2016