Die Betreiberin einer Zahnarztpraxis bekam Probleme mit dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Der Grund: Videokameras in Praxisräumen und Behandlungszimmer. Nun wurde darüber entschieden, ob die kameragesteuerte Überwachung rechtmäßig ist.
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hatte darüber zu entscheiden, ob die kameragesteuerte Überwachung von Praxisräumen rechtmäßig ist. Aus dem Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 06.04.2017 – OVG 12 B 7.16:
„Die Klägerin betreibt eine Zahnarztpraxis im ersten Stock eines Gesundheitszentrums. In den Praxisräumen sind zwei Videokameras in Behandlungszimmern und eine im Eingangsbereich oberhalb des Anmeldetresens an einer Säule installiert. Diese ist auf den Flur vor dem Anmeldetresen bis zur Eingangstür, einen großen Teil des Tresens, den Mitarbeiterbereich hinter dem Tresen sowie einige Stühle im Wartezimmer ausgerichtet. Die Eingangstür zu der Praxis ist oben rechts mit dem Schild „Videogesichert“ gekennzeichnet. Ferner weist ein Schild an der Säule auf die Kamera im Eingangsbereich hin. Diese überträgt eine Ansicht des von ihr erfassten Bereichs auf Bildschirme in den Behandlungszimmern. Eine Speicherung der Bilder findet nicht statt. Die von der Klägerin verwendete Netzwerkkamera ist mit Prozessoren ausgestattet, die das aufgenommene Signal digitalisieren und komprimieren und daraus einen digitalen Videostream erzeugen. Dieser kann über das Internet oder andere IP-Netze übertragen und in Videorecordern und Netzwerk-Videorecordern gespeichert werden. Die Kamera kann auch selbst die Videoströme speichern.“
Zunächst einmal sei das Bundesdatenschutzgesetz überhaupt anwendbar. Darüber hinaus stellte das Überwachen der Praxisräume, nach der Überzeugung der Kammer, eine Beeinträchtigung der Betroffenen in ihrem informationellen Selbstbestimmungsrecht und damit ein Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz dar.
„Eingespritzte“ Patienten im Wartebereich
Die Betreiber der Praxis gaben an, die Überwachung zu nutzen, um Straftaten zu vermeiden. Die Kammer kam allerdings zu der Überzeugung, dass verhältnismäßig allein beispielsweise der Einsatz von Personal im Empfangsbereich oder das Nutzen einer Software, die eine Verpixelung sich bewegender Gesichter ermögliche.
Darüber hinaus trug die Klägerin vor, die Videoüberwachung diene auch der Überwachung „eingespritzter“ (?) Patienten im Wartebereich. Die Kammer sah hierin allerdings eine Schutzbehauptung, da in diesem Fall die Kamera ausschließlich auf diese Patienten gerichtet werden müsse und diese abermals der Überwachung einwilligen müssten.
Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht
Amüsant waren die Ausführungen der Kammer über den Charakter des Eingriffs in das informationelle Selbstbestimmungsrecht:
„Da die Patienten die Praxis mit einem persönlichen Anliegen (Zahnbehandlung) – eventuell mit schmerzverzerrtem Gesicht oder geschwollener Backe – betreten, ist die Situation, in der sie gefilmt werden, ferner durch eine gewisse Privatheit gekennzeichnet, auch wenn sie nicht der stärker geschützten Privatsphäre […] zuzurechnen ist.“
Dieser Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Patienten stehe laut Kammer das Interesse gegenüber, Straftaten zu verhindern und den Eingangsbereich zu überwachen.
Dazu schrieb das Gericht:
„Es ist zunächst nicht davon auszugehen, dass eine konkrete Gefahr besteht, dass in der Praxis der Klägerin Straftaten verübt werden. Soweit sie geltend macht, dass in dem Gebäude, in dem sich ihre Praxis befindet, eine Tagesklinik für Psychiatrie untergebracht sei, in der auch Menschen mit krankhaftem Aggressions- und Sexualtrieb behandelt würden, hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass es dadurch nicht vermehrt zu Straftaten im Umfeld der Praxis oder in dem Gebäude gekommen ist. Nach dem von der Klägerin eingereichten, mit Blick auf die Einführung der früheren Praxisgebühr erstellten Info-Blatt der Berliner Polizei ist zwar anzunehmen, dass für Arztpraxen ein größeres Risiko besteht, Ziel von Raubüberfällen sein als für einen privaten Haushalt. Es liegt aber keine Situation vor, die nach der Lebenserfahrung typischerweise gefährlich ist, wie dies etwa für Geschäfte in Gegenden mit bekanntermaßen hoher Kriminalitätsrate oder besonders wertvollen Waren (Juweliere) anzunehmen wäre. Auch das Interesse der Klägerin, den Eintritt eines Schadens „eingespritzter“ Patienten durch die Videoüberwachung abzuwenden, ist als eher niedrig zu bewerten. Sofern bei einem Patienten tatsächlich ein Risiko bestehen sollte, dass lokal wirkende Betäubungsmittel bei ihm einen nicht gewollten gesundheitsgefährdenden Effekt haben, kommt diese Form der Überwachung bereits nicht in Betracht. Das danach allenfalls verbleibende Interesse, der theoretischen Möglichkeit einer nicht ansatzweise einkalkulierbaren gefährlichen Reaktion gerecht zu werden, ist eher von geringem Gewicht.“
Fazit: ein erfreulich lebensnahes Urteil zur Videoüberwachung und zum Datenschutz, mit der Aussage, dass eine grundsätzliche Videoüberwachung in Praxisräumen, wenn auch teilweise nachvollziehbar gewünscht, unrechtmäßig ist.