Stichwort Stress: Welchen Zustand bezeichnet man als gesund und welchen als krank? Um das herauszufinden, hilft es aus psychotherapeutischer Sicht, zu prüfen, ob eine Person situationsangemessen handeln und empfinden kann.
Aus Sicht eines Psychotherapeuten ist das somatische Krankheitsmodell nur begrenzt hilfreich. Vielmehr spielt die Abhängigkeit des Empfindens von Stress bzw. äußeren Ereignissen eine Rolle. Dabei ist man dann gesund, wenn man flexibel und situationsangmessen sich und seine Emotionen regulieren kann. Mir gefallen daher Beschreibungen zu den Begriffen von Gesundheit und Krankheit, die Johannes Drischel mal so ähnlich formulierte:
Gesundheit ist, wenn ich das, was ich jetzt gerade erlebe, ungestört von weiteren Innenwahrnehmungen, quasi automatisch in passende Gefühle umsetze. Gesundheit ist, wenn die Gefühle, die ich erlebe, in ihrer Art und in ihrer Intensität dem aktuellen Moment entsprechen und auch wieder abklingen können. Gesundheit ist, wenn meine Wahrnehmung und meine Gefühle und Empfindungen dauerhaft eine Einheit bilden und sich parallel zueinander verhalten. Gesundheit erkennt man häufig daran, dass man mitlachen oder -gähnen kann, wenn man in Gemeinschaft ist. Ein Zeichen, dass wir emotional mitschwingen.
Leben in einer Zwischenwelt
Gesundheit heißt aber auch, dass man durch Stressbelastungen und emotionalem Lärm um einen herum nicht aus der Form gerät. Dass man flexibel reagieren und sich nach Dienstschluss bis zum nächsten Tag oder nach dem Wochenende wieder erholen kann. Und nicht den emotionalen Sondermüll mit sich herumschleppt, den ich im Kontakt Kollegen fast zwangsläufig aufschnappe oder der mir im Gespräch mit Patienten „übergeben“ wird.
Krankheit ist, wenn ich immer wieder irritiert werde, weil die Wahrnehmung dessen, was in mir und um mich herum passiert, und die Gefühle dazu, nicht zueinander zu passen scheinen. Krankheit ist, wenn es Gefühle gibt, die keine Wahrnehmungen zu haben scheinen und umgekehrt. Krankheit ist, wenn immer wieder Gefühle auftauchen, die derart intensiv sind, dass sie alles, was man im Augenblick wahrnimmt, überschreiben dürfen. Dadurch wird man ein stückweit aus seiner Gegenwart herausgerissen, das raubt kurzzeitig die Konzentration bzw. löst eine kurze Konfusion aus, die eine Neuorientierung bzw. einen Neustart erfordert. Manchmal lebt es sich dann wie in einer „Zwischenwelt“ zwischen der eigenen Wahrnehmung und dem „fast“ realen Gefühlsbild.
Irgendwann ist einfach die Luft raus
Krankheit ist aber eben auch, dass es „Notfallmechanismen“ gibt, um die Leere oder das Überfluten von Wahrnehmungen und Gefühlen zu kanalisieren. Hierbei kann es sich um ursprünglich sehr nützliche, ja überlebenswichtige Strategien handeln, die uns als Kind oder in einer sehr belastenden Situation von einer emotionalen Überforderung schützen sollten.
Krankheit bedeutet also auch, dass man dauerhaft be-eindruckt ist und die eigenen Gefühle eben nicht mehr frei mitschwingen oder regulativ wirken können. Es ist vergleichbar mit einem Ball, der nach Druck von außen seine Form verliert und nicht wieder in seine ursprüngliche Form zurück kommt bzw. ist irgendwann einfach „die Luft raus“. Oder aber es ist wie bei einem Reglerpult, wenn ein Regler blockiert oder ein Knopf sich nicht mehr lösen lässt. Wichtig ist also, dass man nicht „einschnappt“ und bestimmte Gefühle nicht dauerhaft unsere Emotionssteuerung und unser Verhalten bestimmen.