Hierzulande sind wir als Apotheker Heilberufler und Kaufmann zugleich. Deswegen verkaufen wir unseren ahnungslosen Kunden auch ohne Gewissensbisse teuren wirkungslosen Mist, solange die eigenen Taschen gefüllt werden. Ist der Vorwurf berechtigt?
Das Berufsbild des Apothekers trägt hierzulande eine Ambivalenz in sich, die beinahe einzigartig ist. Er ist Kaufmann und Heilkundler in einem. Das ist manchmal schwer zu stemmen und der Argwohn seitens der Politik und der Medien ist groß. Wenn die Umsatzzahlen einbrechen, lockt den Verkäufer dann nicht doch der schnöde Mammon? Fängt dann der vertrauenswürdige Apotheker vielleicht damit an, irgendeinen teuren Mist unter das gutgläubige Käufervolk zu werfen, um das eigene Loch im Konto zu stopfen?
Was uns gleich zur nächsten Frage führt: Was genau ist in diesem Kontext eigentlich Mist? Ist das grundsätzlich alles Esoterische, Homöopathische oder Bachblütige wie so viele wissenschaftlich gebildete Menschen proklamieren? Oder im Gegenteil: Jubelt uns die Pharmaindustrie über ihre willfährigen Mittelsmänner in den Apotheken unwirksame chemische Erkältungsmittel unter, die ausschließlich dem Portemonnaie der Verkäufer dienen wie es der alljährlich aus seinem Kästchen springende Prof.Dr. Glaeske behauptet? Sind es am Ende gar die Nahrungsergänzungsmittel, die vielen Vitaminchen und Mineralstoffpülverchen die niemand wirklich braucht? Oder werden die beleibteren Kunden in den Apotheken dazu überredet, Appetitzügler und Fettmagnete zu kaufen, die nichts bringen? Dass die Medikamente gegen Sodbrennen allesamt entweder Demenz (Omeprazol) oder Knochenkrebs (bei aluminiumhaltigen Medikamenten) verursachen, war uns sowieso schon lange klar, ebenso wie die Nasensprays die uns zu abhängigen Zombies mutieren lassen oder die Magen-Darm-Mittel die laut „Quarks &Co“ unwirksam sind. Von Korallenkalk, Fischölen, diversen Algenextrakten, Tees und anderen Naturheilmitteln will ich gar nicht anfangen. Und was ist mit TCM, Aromatherapie, Entgiftungs- oder Entschlackungskuren? Außerdem sind die Wärmeumschläge diverser Firmen ja nur teuer und unnütz, oder?
Haifischknorpel und Selbstdarstellung
Man sieht deutlich: Die Auslagen der Apotheken wären allesamt recht spärlich bestückt, würde man all das einfach weglassen, was irgendwelche Gruppen als unwirksam oder schädlich anerkennen. Ich empfinde es als überheblich, darüber zu urteilen, welche der Gruppen nun „recht“ hat. In den 90er Jahren gab es einen Apotheker, der immer eines seiner Schaufenter mit dem „Scheiß des Monats“ belegt hat. Dort wurde zum Beispiel ein Präparat mit Haifischknorpel angeprangert, das in seinen Augen einfach nur wertlos und rausgeschmissenens Geld war. Der Apotheker wurde von der Firma verklagt, doch letztendlich nicht dafür bestraft – das Gericht hat nur veranlasst, dass er sich nicht mehr in dieser despektierlichen Weise über das Produkt auslassen darf. Er selbst wollte sich als Anwalt der Verbraucher präsentieren, aber so wie ich das sehe, ging es bei dieser Offensive vor allem um Selbstdarstellung und Werbung für seine Apotheke.
Manch eine Apotheke spezialisiert sich heute im Bereich der Homöopathie und sie beraten auch entsprechend – nicht um gutgläubigen Kunden teure Zuckerkügelchen anzudrehen und sich im Hinterzimmer die Hände zu reiben, sondern weil sie selbst daran glauben. Ist man als Kunde nun eher der Medinait-Typ, nun, was hindert einen daran eine andere Apotheke aufzusuchen, bevor man sich im Internet über die angebliche Beutelschneiderei ereifert? Kein Apotheker ist abhängig von einer einzigen Firma, einem einzigen Konzern oder auch nur einer einzigen Therapierichtung. Er kann aus einer Fülle von Erfahrungen über Wirkstoffe schöpfen, seien es nun empirische Daten, positive wie negative Rückmeldungen von Kunden, das eigene Umfeld oder die vielen Fortbildungen zu allen erdenklichen Themen. Und so lange die Apotheken in Deutschland noch inhabergeführt sind, wird sich daran auch nichts ändern. Ändert sich allerdings der gesetzliche Rahmen und wird es erlaubt, dass sich Ketten bilden, die von Großkonzernen geführt werden, dann würde ich für diese Unabhängigkeit nicht mehr die Hand ins Feuer legen. Noch gibt es in den meisten Ortschaften ja die Wahl. Wenn ich persönlich krank bin, dann gehe ich zu einem Arzt. Andere besuchen einen Heilpraktiker. Wieder andere suchen ein Kräuterweiblein auf. Das ist alles völlig legitim, jeder nach seiner Façon. Die meisten Apotheken haben insofern ein Imageproblem, da sie oftmals nach dem Aufsuchen einer heilkundigen Person angesteuert werden und dann dort auf alle anderen Therapierichtungen trifft. Der Arztbesucher wird ob der sichtbaren Globuli „Scharlatan“ rufen, der vom Heilpraktiker Kommende wird den Pharmazeuten einen Gehilfen der Pharmalobby schimpfen. Man kann es nicht allen gleichzeitig Recht machen.
Überzeugte Kunden bekommen, was sie wollen
Doch nun kommt die Gretchenfrage: Wie halte ich es selbst mit Präparaten, die ich als unsinnig empfinde? Verkaufe ich diese trotzdem an die Kundschaft? Es kommt immer darauf an, wie der Kunde an mich heran tritt. Kommt er mit einem konkreten Produktwunsch, der mir nicht sinnvoll erscheint, so hinterfrage ich diesen Wunsch erst einmal vorsichtig, um festzustellen, wie sicher er sich dabei ist. Ist er tatsächlich überzeugt, so bekommt er was er möchte, wenn es nichts ist, mit dem er sich gesundheitlich schaden würde. Antwortet er etwas wie „Ja … ich weiß auch nicht ob das etwas bringt, aber ich habe die Anzeige in der Bildzeitung gelesen“, dann habe ich den Ansatzpunkt für meinen Hebel gefunden. Was folgt wäre das Eruieren seiner Beschwerden und ein Vorschlag von meiner Seite zum Kauf eines sinnvolleren Produktes. Und das ist es doch, was die Menschen in einer Apotheke an Beratung erwarten – dass wir nicht einfach verkaufen, um des Geldes willen, sondern dass wir das weitergeben, was unsere Kunden tatsächlich weiterbringt. Die Frage ist ja nicht: Verkaufe ich den „Blödsinn“ oder verzichte ich auf den Umsatz, sondern verkaufe ich den Blödsinn oder versuche ich den Kunden auf etwas Sinnvolleres umzustellen. Verdienen kann man bei beidem, sich abends noch in die Augen blicken nur im letzteren Fall.
Apotheken waren lange Zeit die erste Anlaufstelle der Menschen, wenn sie einen gesundheitlichen Rat in weniger schwerwiegenden Fällen gebraucht haben. Inzwischen läuft uns Dr. Google langsam aber sicher den Rang ab, und das ist gefährlich - vor allem für die Verbraucher. Hinter Amazon und Co. steht nämlich nur eines: ein rein wirtschaftliches Interesse. Das sind ausschließlich Verkäufer ohne heilberuflichen Auftrag. Möchte man hier ein Produkt wie CoralCare kaufen, so erfährt man eigentlich nur wo man es gerade am günstigsten bestellen kann. Ob es tatsächlich sinnvoll ist oder eher in den Bereich „Nepper, Schlepper, Bauernfänger“ gehört, das wird uns Amazon, DocMorris oder eBay nicht verraten. Gekaufte Kundenrezensionen, gefälschte Erfahrungsberichte, geschmierte Blogger. Bei Fragen zur Sinnhaftigkeit von Medikamenten oder Nahrungsergänzungsmitteln ist man im World Wide Web nicht gut aufgehoben.
Apotheker haben ein Gewissen
Dem Apotheker wird zurecht vertraut - er muss genau abwägen, was er vor sich verantworten kann, und was nicht. Er hat die Pflicht, nach bestem Wissen und Gewissen aus dem großen Pool an Wirkstoffen zunächst diejenigen herauszufiltern und auszusondern, die Schäden beim Patienten verursachen können. Gemeinsam mit dem Kunden wird dann das ausgesucht, mit dem er sich am wohlsten fühlt. Ich hoffe das wird auch noch lange Zeit so bleiben und nicht irgendwann dem angeblichen Fortschritt geopfert. Der „shareholder value“ kennt nämlich keine Gewissensbisse.