„Mein Leben war wie eine Langspielplatte, die auf Single-Geschwindigkeit abgespielt wurde“, sagte eine Patienten unlängst zu mir. Besonders Menschen, die an ADHS leiden, fällt es schwer, die zu erbringende Leistung an ein gesundes Lebenstempo anzupassen. Methylphenidat kann dabei helfen.
„Mein Leben war wie eine Langspielplatte, die auf Single-Geschwindigkeit abgespielt wurde. Mit 5 mg Methylphenidat ist die Geschwindigkeit viel langsamer – ganz normal.“
Das hat eine meiner Patientinnen letztens hier in der Klinik erkannt. Sie hat in ihrem bisherigen Leben stets „funktioniert“. Gut funktioniert. Übermäßig gut funktioniert. Besonders für andere. Gäbe es eine Geschwindigkeitskontrolle für uns Menschen, die überprüfen würde, wie schnell wir durch unser Leben fahren, so hätte sie die zulässige gesunde Geschwindigkeit weit überschritten. Musste sie ja. Wollte sie ja. Konnte sie ja. Ihre innere Kamera der Selbst- und Fremdwahrnehmung war ganz auf andere gerichtet. Sie hat die Bedürfnisse von anderen Menschen erfüllt. Übererfüllt. Und sich selbst dabei gar nicht mehr wahrnehmen können. Aber auch nicht wahrnehmen wollen. Es funktionierte ja. Sie funktionierte ja.
Funktionieren heißt nicht, dass es funktioniert
Letztlich ist es keine Kunst, sich selber zu überfordern. Das können die meisten meiner Patienten perfekt. Funktionieren können und funktionieren müssen, ist häufig eben keine ganz freie Entscheidung.
Das Dilemma besteht darin, dass Menschen aus dem ADHS-Spektrum die eigenen Grenzen nicht wahrnehmen und gleichzeitig die Fähigkeit besitzen, immer wieder neu über diese – nicht sichtbare oder nicht spürbare – Grenze zu gehen.
Wenn wir beim Bild des Plattenspielers bleiben, so heißt das: Die eigene Geschwindigkeit wird immer weiter erhöht. Nur langsam, nicht wirklich merklich. Aber das System gerät aus der individuellen Wohlfühl-Geschwindigkeit heraus. Und irgendwann befindet man sich dann nur noch in einem Brei von Wahrnehmungen. Die Überforderung mit den Reizen geht mit der Gefahr, dass der innere Motor versagt, einher. Sodass die ursprünglich aufgebrachte Energie nicht mehr aufrecht erhalten werden kann.
ADHS ist auch eine Tempo-Störung
Ich sehe ADHS als eine Regulationsstörung oder -besonderheit. Bleiben wir beim Tempo: Jeder Mensch, auch im ADHS-Spektrum, hat sein individuelles Tempo. Wir sprechen beispielsweise von „sluggish cognitive tempo“ bei Menschen, die etwas langsamer verarbeiten und wahrnehmen. Und dann gibt es die Menschen, denen es gar nicht schnell genug gehen kann.
Verläuft die innere Regulationsdynamik synchron zum Leben, ist das in Ordnung. Gerät sie aus dem Takt, besteht eine ziemlich große Chance, früher oder später Gast in einer Praxis für Psychiatrie oder Psychotherapie zu werden. Oder bei mir in der Klinik an der schönen Ostsee zu landen.
Viele dieser Patienten bringen andere Diagnosen und Erklärungen mit. Teilweise geht es dabei um eigene Erklärungen, teilweise haben sie ein ganzes Bündel an von meist nicht zutreffenden Diagnosen von Ärzten und Psychologen im Schlepptau.
Das eigene Lebens-Tempo finden und anpassen können
Eine Auszeit in der Klinik kann gut sein, um das eigene Lebenstempo zu finden und anschließend zu lernen, sich daran anzupassen.
Methylphenidat kann dabei helfen, in dem es eine Art Brille der Selbstwahrnehmung und Selbststeuerung darstellt. Die Patientin kann jetzt anders wahrnehmen. Sie nimmt wahr, dass sie müde und erschöpft ist. Nun gilt es, Geschwindigkeit etwas rauszunehmen und das Gefühl der richtigen Geschwindkeit zu spüren.
Dieser Beitrag wurde zunächst in meinem Blog bzw. ADHS-Forum bei Steemit.com/ chainbb veröffentlicht.