Pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel sind bei Arthrose-Patienten beliebt. Derzeit stehen Hagebuttenprodukte hoch im Kurs. Die Bestandteile sollen knorpelschützend und schmerzlindernd sein sowie das Fortschreiten der Erkrankung verhindern. Was sagt die Wissenschaft?
Arthrose ist die häufigste aller Gelenkerkrankungen. Dabei wird die Knorpelschicht des Gelenks meist durch langjährige Überbelastung zerstört. Die Folge sind teilweise starke Schmerzen und Bewegungseinschränkungen. In letzter Zeit wird immer häufiger für Nahrungsmittel geworben, die Arthrose-Beschwerden lindern sollen.
Frau L. aus Bremen fragte diesbezüglich: „Aufgrund meiner Kniegelenk-Arthrose bin ich seit über zehn Jahren auf Schmerzmittel angewiesen, operieren lassen möchte ich mich nicht. Ist es sinnvoll, Hagebuttenpulver in mein Müsli zu geben, um damit die Schmerzen zu lindern? Kann damit das Fortschreiten der Arthrose vielleicht verlangsamt werden?“
Hagebutten in der Volksmedizin
Meine Antwort: Botanisch handelt es sich bei den allseits bekannten Hagebutten um sogenannte Sammelnussfrüchte verschiedener Rosen-Arten; im speziellen versteht man darunter die Früchte der Gemeinen Heckenrose/Hundsrose (Rosa canina L.). Der rote Anteil der Hagebutten ist der fleischig gewordene Blütenboden, der die Nüsschen (d. h. die eigentlichen Früchte) umgibt. Der rote Blütenboden (fälschlich meist als „Fruchtfleisch“ bezeichnet) ist reich an Vitamin C, Carotinoiden (v. a. Rubixanthin, Lycopin, β-Carotin), Flavonoiden, Pektin und Fruchtsäuren. Die Samen enthalten Linolsäure und γ-Linolensäure. Charakteristische Mineralstoffe sind Kupfer und Zink.
Hagebuttenextrakte zeigen aufgrund der enthaltenen Polyphenole unter Laborbedingungen antioxidative Wirkungen – was aber genauso für alle vergleichbaren Extrakte anderer Pflanzen zutrifft . In Tiermodellen wurde für Hagebuttenextrakte wiederholt ein entzündungshemmender Effekt nachgewiesen.
Die traditionelle pharmazeutische Droge bestand aus den getrockneten Blütenböden mit den darinliegenden Früchten (Cynosbati fructus cum semine); seltener auch aus den reinen Hagebuttenschalen ohne Samen (Rosae pseudofructus).
Volksmedizinisch angewendet wurden die Hagebutten bei verschiedenen Harnwegsbeschwerden, außerdem zur Rheuma- und Gichttherapie. Zur Behandlung der Arthrose wurden Hagebutten nicht gezielt verwendet. In heute noch verwendeten Arzneitee-Mischungen gelten die ggf. enthaltenden Hagebutten bzw. Hagebuttenschalen wegen der nicht belegten Wirksamkeit nicht als Arzneimittel, sondern lediglich als „sonstiger Bestandteil“, der hauptsächlich zur Geschmacksverbesserung beigemischt wird.
Keine Wirksamkeit nachgewiesen
Die Hagebutten-Monographien der für Phytopharmaka zuständigen Kommission E des Bundesinstituts für Arzeimittel und Medizinprodukte (BfArM) konnte in keiner der Monographien zu Hagebutten, Hagebuttenkernen und Hagebuttenschalen irgendeine Wirksamkeit feststellen; auch als Vitamin-C-Quelle seien getrocknete Hagebutten-Produkten wenig geeignet, da die in frischen Hagebutten reichlich vorhandene Ascorbinsäure (Vitamin C) bei der Trocknung und Lagerung fast vollständig abgebaut wird. Allerdings werden auch keinerlei Risiken durch die Einnahme von Hagebutten beschrieben. Gravierender Nachteil dieser Hagebutten-Monographien ist, dass sie aus dem Jahr 1990 (!) stammen und daher völlig veraltet sind.
Die Kommission der europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA), die aktuelle und frei zugängliche Monographien zur Beurteilung von Phytopharmaka erstellt (HMPC-Monographien), hat sich mit Hagebutten bislang nicht beschäftigt. Ist die Geschichte der Hagebutten damit zuende erzählt? Nicht ganz.
Hagebutten enthalten Galaktolipide
Im Jahr 2003 entdeckte ein dänisches Forscherteam eine bis dahin unbekannte, weitere Gruppe von sekundären Pflanzenstoffen in der Hagebutte – die sogenannten Galaktolipide. Dabei handelt es sich um Verbindungen aus dem Zucker Galaktose und verschiedenen Fettsäuren, die über Glycerin miteinander verbunden sind. Galaktolipide sind thermolabil, weshalb sie bereits bei Temperaturen über 40 °C zerfallen.
Wirksam gegen Arthrose?
In verschiedenen kleineren Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass die entzündungshemmenden Effekte der Hagebutte tatsächlich auf die enthaltenen Galaktolipide zurückzuführen sind; außerdem konnten für diese Galaktolipide auch chondroprotektive (knorpelschützende) Wirkungen nachgewiesen werden, was diese Substanzen besonders für die Anwendung bei Arthrose interessant macht.
Allerdings muss man wissen, dass eben diese Galaktolipide gar keine Besonderheit der Hagebutte sind. Sie finden sich in ähnlich hohen Konzentrationen ebenfalls in zahlreichen anderen pflanzlichen Lebensmitteln, so zum Beispiel in Bohnen, Erbsen, Kohl, Spinat, Spargel, Brokkoli oder Kürbis.
Klinische Studien mit Hagebuttenextrakt
Inzwischen gibt es sogar mehrere randomisiert-kontrollierte Studien, die die Wirksamkeit von Hagebutten bei Arthrose untersucht haben. Dabei muss berücksichtigt werden, dass in allen Studien ein standardisierter Hagebuttenextrakt verwendet wurde. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die getrockneten Schalen bzw. das Hagebuttenpulver ist somit fraglich.
In der ersten randomisiert-kontrollierten doppelblinden Studie an 100 Patienten mit Knie und-/oder Hüftearthrose erhielten die Teilnehmer vier Monate lang entweder 5 g Hagebuttenextrakt oder Placebo pro Tag. Am Ende der Untersuchung hatten die Patienten der Hagebuttenextrakt-Gruppe signifikant weniger Schmerzen als die Patienten der Placebo-Gruppe.
Eine zweite, ebenfalls randomisiert-kontrollierte doppelblinde Studie mit 112 Arthrose-Patienten bestätigte diese Ergebnisse durch – im Vergleich zu Placebo – signifikant reduzierter Schmerzintensität und geringerer Gelenksteifigkeit. So kam es in 66 % der Patienten mit Hagebuttenextrakt zu einer Schmerzreduktion, jedoch nur bei 36 % der Patienten der Placebo-Gruppe. Allerdings weist diese Studie einige methodische Schwächen auf.
Auch eine dritte, ähnlich konzipierte Studie kam zu vergleichbaren Ergebnissen. Dabei konnte außerdem gezeigt werden, dass die Anwendung des Hagebuttenextrakts bei den Arthrose-Patienten zur Reduktion der Schmerzmedikation führte – was aus pharmakotherapeutischer Sicht ein Erfolg ist.
In diesen drei Studien wurden stets identische Dosierungen (5 g Hagebuttenextrakt pro Tag über 3 Monate) verwendet. Nebenwirkungen traten offenbar nicht auf.
Ergebnisse mit Einschränkungen
Keine der Studien liefert neben der - selbstverständlich wünschenswerten - Schmerzreduktion Hinweise auf einen knorpelschützenden Effekt oder auf eine Wirkung, die das Fortschreiten der Arthrose bremsen könnte. Ebenso fehlen Untersuchungen zur optimalen Dosierung sowie Langzeitdaten zur Wirksamkeit und Sicherheit. Vor allem aber gibt es keine Informationen dazu, ob sich die Ergebnisse eines spezifischen Hagebuttenextrakts (in den Studien in Kapselform) auf den Verzehr von getrockneten Hagebuttenschalen oder von Hagebuttenpulver übertragen lassen.
Schmerzreduktion bei Arthrose
Die wenigen Studien an Menschen, die zudem einige methodische Mängel aufweisen, deuten darauf hin, dass Hagebuttenextrakt in der verwendeten Dosierung einen schmerzreduzierenden und antientzündlichen Effekt bei Arthrose haben könnte. Die Evidenz der entsprechenden Anwendung ist wegen der mäßigen Studienqualität nur gering.
Diese Einschätzung wird auch von den Autoren eines neueren Cochrane-Reviews geteilt, in dem die Studienlage für verschiedene Phytopharmaka zur Anwendung bei Arthrose umfassend dargestellt und bewertet wird. Die beste Evidenz für eine zumindest geringfügige Schmerzreduktion bei Arthrose sehen die Autoren übrigens für Weihrauch-Extrakt (Boswellia serrata), gefolgt von mäßiger Evidenz für eine Zubereitung aus Avocado/Sojabohnen.
Das heißt: Es gibt zwar einige Hinweise für die schmerzreduzierende und entzündungshemmende Wirkung von Hagebuttenextrakten bei Arthrose; besser ist die Studienlage aber für Weihrauch-Extrakt und Avocado/Sojabohnen.
Aufgrund der genannten Einschränkungen kann mal also nicht sagen, ob Hagebuttenpulver als Bestandteil von Müsli (oder sonstigen Mahlzeiten) Arthrose-Schmerzen lindert oder gar das Fortschreiten der Arthrose verlangsamt. Angesichts der verfügbaren Daten erscheint der Verzehr entsprechender Produkte aber als unkritisch und es spricht sicher nichts gegen die versuchsweise Anwendung von Hagebutten-Produkten. Selbst wenn damit eine geringfügige Einsparung von Schmerzmitteln erreicht werden kann, ist schon ein therapeutischer Vorteil erzielt. Im Falle von Supplementen wäre die Einnahme von Weihrauch-Kapseln vermutlich sinnvoller.