Seit drei Jahren ist die „Pille danach“ ohne Rezept erhältlich. Gynäkologen kritisieren: Frauen würden in der Apotheke nur unzureichend beraten und deshalb das Medikament falsch einnehmen. Dies führe letztlich zu mehr Schwangerschaftsabbrüchen. Was sagen die Zahlen?
Seit Jahren erhalten Frauen in etlichen europäische Staaten die „Pille danach“ als OTC. Dazu gehören beispielsweise Norwegen und Portugal (rezeptfrei seit 2000), Belgien, Dänemark, Großbritannien und Schweden (2001), Finnland (2002) oder Lettland (2003). Frankreich und Großbritannien gehen sogar noch einen Schritt weiter: Mädchen erhalten die „morning-after pill“ sogar in der Schule. Nur in Deutschland war die Sache nicht so einfach.
Beraten nur Frauenärzte gut?
Der Möglichkeit, die Pille danach hierzulande rezeptfrei zu erhalten, gingen auf politischer Ebene jahrelange Debatten zuvor. Mitte 2013 schickten der Berufsverband der Frauenärzte sowie die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) ein Schreiben an den Gesundheitsausschuss im Bundestag. Im Pamphlet hieß es, beide Fachgesellschaften hielten es für „zwingend notwendig, den Antrag von SPD und DIE LINKE zur Freigabe von Levonorgestrel (LNG) als ‚Pille danach‘ negativ zu bescheiden“. Dabei vermischen sie in gefährlicher Weise medizinisch-pharmazeutische Fakten und Vermutungen. Unbestritten ist:
Danach wird die Sache deutlich fragwürdiger:
Beraten im Minutentakt
Aus ihrem Katalog an Kritikpunkten leitet die DGGG ab, dass eine rezeptfreie Abgabe der Pille für Mädchen und Frauen riskant sei. Auch im Bundestag regte sich Widerstand. Dass es doch noch zum OTC-Switch gekommen ist, hatte politische Gründe: Anfang 2015 entschied die EU-Kommission, ein UPA-haltiges Notfallkontrazeptivum verschreibungsfrei zu stellen. Deutschland beugte sich und entließ LNG ebenfalls aus der Rezeptpflicht. Zeitgleich erschienen Leitlinien der Bundesapothekerkammer. Mittlerweile gibt es eine aktualisierte Version, Stand Februar 2018.
„Missbrauch nicht beobachtet“
Drei Jahre nach dem OTC-Switch zieht Ursula Funke, Präsidentin der Landesapothekerkammer Hessen, folgendes Resümee: „Einen Missbrauch der ‚Pille danach‘, der anfangs immer wieder thematisiert wurde, haben wir nicht beobachtet. Im Gegenteil: Die meisten Frauen gehen sehr verantwortungsbewusst mit dem Thema Verhütung um."
Gynäkologen ließen so leicht aber nicht locker. Sie griffen eine Meldung des Statistischen Bundesamts (DESTATIS) auf. Demnach ist die Zahl an Schwangerschaftsabbrüchen in 2017 um 2,5 Prozent angestiegen, verglichen mit dem Vorjahr. Insgesamt gab es in dem Jahr 101.209 Eingriffe. Wohlgemerkt: Warum sich Frauen für einen Abort entschieden hatten, wurde im Detail nicht abgefragt.
Dr. Christian Albring hat trotzdem keine Zweifel. Es liege nahe, so der Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte, hier einen Zusammenhang mit zwei wichtigen Ereignissen aus dem Jahr 2015 herzustellen:
„Wir haben von Anfang an darauf hingewiesen, dass die Apotheker durch ihre eigene Standesorganisation ungenügend auf diese anspruchsvolle Beratung vorbereitet wurden, und das zu einer Zunahme unerwünschter Schwangerschaften führen könnte“, so Albring weiter. Hätte er nur in Epidemiologie-Vorlesungen besser aufgepasst.
Assoziation nicht gleich Kausalität
Das zugrundeliegende Dilemma kennen Medizin- oder Pharmaziestudierende aus den ersten Semestern. Hier wird allenfalls eine Assoziation sichtbar, aber keine Kausalität. Albring bleibt nicht nur jeden Beweis schuldig, warum Apotheker schlechter als Ärzte beraten. Er erklärt auch nicht im geringsten, wieso der OTC-Switch zu mehr Abtreibungen führen soll.
Ein Blick in die Geschichte führt Albrings vermeintliche Zusammenhänge ohnehin ad absurdum: Laut DESTATIS lag die Zahl an Schwangerschaftsabbrüchen im Jahr 2010 bei 110.431 und damit deutlich über dem aktuellen Wert (2017: 101.209).