Der Ischias ist ein Phänomen. Jeder Patient scheint darüber und davon zu sprechen. Aber tatsächlich versteht jeder etwas anderes darunter und kaum einer der Patienten weiß wirklich, was sich hinter dem Begriff verbirgt.
Ich hab es übrigens schon lange aufgegeben, mit den Patienten zu erklären, was medizinisch denn unter „Ischias“ zu verstehen ist. Erfahrungsgemäß liegt halt einfach kein Segen darauf mit einem schlechtgelaunten älteren Herrn zu diskutieren, der „tierische Rückenschmerzen“ hat. „Ischias eben, Frau Doktor, Sie kennen das doch.“ Ach ja. Gut. Nun denn.
Der Orthopäde versteht unter dem Ischias normalerweise den Nervus ischiadicus, einen gut fingerdicken Nervenstrang, der aus zwei Hauptanteilen besteht, dem Nervus fibularis communis und dem Nervus tibialis. Ich war ja im Präpkurs echt beeindruckt, als ich diesen Nerv das erste Mal gesehen habe.
Er zieht erst als Strang durch den Oberschenkel und trennt sich dann etwas oberhalb der Kniekehle in diese zwei Anteile. Als Nerv ist er für die motorische und sensorische Versorgung des Beines zuständig. Im allgemeinen Sprachgebrauch hat sich als „Ischias“ auch die diesem Nerven zugeordnete Schmerzsymptomatik als Bezeichnung etabliert. Korrekterweise spricht man hier von der Ischialgie.
Innervation: Das Problem lokalisieren
Der Ischiadicus ist den Rückenmarkssegmenten L4–S3 zuzuordnen und somit für die Kniebeugung (außer M. biceps femoris), Fußhebung und Fußsenkung zuständig. Lähmungen von L5 zeigen sich als Fußheber- (oder Goßzehenheber-/Fußaußenrandheberparese) und von S1 als Fußsenkerparese.
Sensibel innerviert er die Dermatome L5, grob gesagt seitlich am Hosenbein entlang, da wo die Naht verläuft und S1, was vereinfachend gesagt dem Verlauf dorsal den Oberschenkel entlang durch die Kniekehle bis zum Fuß/Fußsohle entspricht.
Anhand der Anamnese und der Untersuchung kann man mit diesem kleinen Handwerkszeug recht schnell feststellen, wo das Problem liegen könnte. Wenn der Patient dann noch Nervendehnungszeichen(i. S. einer Neuralgie des Ischiadicus), also einen positiven Lasègue aufweist, kann durchaus auch ein Bandscheibenvorfall vermutet werden. Relevante Differenzialdiagnosen, die eine Nervenwurzelkompression auslösen, wären zum Beispiel Tumoren, Metastasen und metastasenbedingte Wirbelkörperbrüche, Spinalkanalstenose oder eine Neuritis.
Symptome: Was verbirgt sich hinter „Ich habe Ischias“?
Die meisten Patienten, die „Ischias“ beklagen, haben oben genannte Beinschmerzen und/oder sensible Ausfälle. Motorische Ausfälle sind nicht ganz so häufig und je nach Kraftgrad (unter 3/5) als Notfall zu sehen und bedürfen einer direkten wirbelsäulenchirurgischen Vorstellung. Eine Parese von 3/5 muss intensiv mit dem Patienten diskutiert werden, wird aber auch in den meisten Fällen zur Operation führen, würde ich sagen. Bei allen Paresen besteht prinzipiell, je länger die Anamnese dauert, die Gefahr der Persistenz. Auch eine direkt durchgeführte Operation kann nicht die Erholung des Nerven garantieren.
Zugleich besteht bei den meisten Patienten noch eine Lumbalgiekomponente, die allerdings nicht zwingend der Ischiasproblematik zugeordnet werden kann und oft durch eine (ischiatische) Fehlhaltung oder als Koinzidenz auftreten wird. In diesem Fall würde man von einer Lumboischialgie sprechen. Als hilfreich hat es sich erwiesen, wenn man den Hauptschmerz direkt mitbeschreibt, beispielsweise „deutlich beinbetonte Lumboischialgie rechts, mit Ausstrahlung entsprechend L5, ohne sensomotorische Ausfälle“. Damit wird das Wesentliche bereits gesagt.
Cave: Es gibt Beschwerden, die nichts mit dem Ischias zu tun haben, aber vom Patienten sehr ähnlich wahrgenommen werden, diese würde man als pseudoradikuläre Schmerzen abgrenzen. Dazu gehören ISG-Beschwerden oder das Piriformis-Syndrom. Meistens erreicht der Orthopäde die wichtige Abgrenzung dieser Schmerzbilder durch die entsprechenden Funktionstests aber sicher und schnell.
So wird untersucht
Neben der Anamnese, mithilfe derer das Dermatom und die betroffene Nervenwurzel herausgefunden werden soll, gehört die körperliche Untersuchung im Stehen/Gehen zum Verifizieren von Lähmungen (Zehen- und Hackengang), das Überprüfen der Inklination und des Fingerbodenabstands zum Standard. Im Liegen schließt sich eine erneute Prüfung einer möglichen Parese der Fußhebung/Fußsenkung an und natürlich des eventuell vorhandenen Lasègue und Bragard. Außerdem können die Patienten bezüglich Ausdehnung von Gefühlsstörungen befragt werden (zur Dermatomeinordnung) und Reflexverluste verifiziert werden (ASR-Ausfall bei S1-Syndromen).
Apparativ kommt neben dem Nativröntgen zur allgemeinen Befunderhebung der Lendenwirbelsäule das MRT zur Diagnose der oben beschriebenen Erkrankungen zum Einsatz, bei Kontraindikationen das CT.
Konservative Therapie zumeist ausreichend
Die Therapie richtet sich nach der auslösenden Ursache. So werden Tumoren und eine Spondylodiszitis natürlich anders behandelt als ein Bandscheibenvorfall und eine allgemeingültige Aussage kann nicht getroffen werden.
In nicht operativ zu versorgenden Fällen ist lokale Schonung bei moderater Bewegung in der Akutphase, ggf. kombiniert mit Analgetika, das Mittel der Wahl. Unterstützend kann Wärme angewandt werden. Im weiteren Verlauf empfiehlt sich Krankengymnastik und ein rücken- und bauchmuskelstabilisierendes Programm. In der Praxis ist es vor allem wichtig, aus der Information des Patienten („Ich habe Ischias“) die korrekte echte Diagnose herauszufiltern und einer Behandlung zuzuführen.
Die meisten (lumbo)ischialgieformen Beschwerden sind tatsächlich selbstlimitierend und verschwinden nach mehr oder weniger intensiver konservativer Therapie von selber. Mit einer Kombination aus Wärme, Ibuprofen (Magenschutz nicht vergessen, sage ich da grundsätzlich dazu – schlechte Erfahrungen und so), moderater Bewegung und Ernstnehmen der Symptome erweist man den Patienten meist einen guten Dienst. Sie fühlen sich im besten Fall verstanden und nicht abgefertigt und auch wenn die Patienten letztendlich nie erfahren, wie die genaue Definition des Ischias lautet, so wird ihnen zumeist doch gut geholfen.