Es gibt viele Internet-Foren, in denen immer ein Thema dominiert: Die Unzufriedenheit mit den eigenen Arbeitsbedingungen. Warum beschwert man sich lieber als selbst Verantwortung zu übernehmen?
Im Internet gibt es zahlreiche Diskussionsforen für Ärzte und Pflegekräfte. In vielen dominiert ein Thema: Die Unzufriedenheit mit den eigenen Arbeitsbedingungen. Ich frage mich, ob es der Aufrechterhaltung der eigenen Psychohygiene dienen soll, dass man sich fast täglich darüber auslässt, wie unerträglich alles ist? Was soll das?
In einem der Foren stellte ein Mitglied kürzlich diese Frage an die Gemeinde: „Ist es Standard, dass ein Chefarzt den AssiArzt in Anwesenheit des Patienten scharf kritisiert?“ Dem Mitglied konnte mit zahlreichen Antworten geholfen werden. Da schilderten die einen ähnliche Erfahrungen, andere hatten jede Menge Tipps parat.
Ein solches Verhalten sei „an der Tagesordnung bei Visiten“, schrieb da jemand. Vor Patienten und Kollegen käme der Kommentar „Das MÜSSEN Sie wissen!“ Chefärzte bezeichnen Assistenten als „Idioten“ und drohen damit, dass jede Menge Ärzte darauf warten würden, die Stelle gerne zu übernehmen.
Es sei schlechter Führungsstil, so ein Kommentar, aber gute Führung bekämen Chefärzte ja nirgendwo beigebracht. Chefs wollten immer nur ihre Macht demonstrieren und in allem besser sein, in dem sie andere klein machen. Ein pädagogisch schlechter Führungsstil sei in Krankenhäusern weit verbreitet.
Analysiert man typische Antworten zu den vielen Diskussionsbeiträgen unzufriedener Kollegen, lassen sich die Kommentatoren in fünf Gruppen einteilen:
Die Empörten
„Was für ein Schwein“, war noch das freundlichste, was diese Kommentatoren über den Chefarzt schreiben. Empörung auf ganzer Linie. Dieser Menschenschinder. Dass so jemand auch noch Chef wird, das ist mal wieder typisch!
Die Hobby-Juristen
Da wird der Paragraph 1 des Grundgesetztes zitiert: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das gelte im Krankenhaus wohl nicht. Gleich einen Anwalt aufsuchen, denn so etwas könne man sich auf keinen Fall bieten lassen! Den Chefarzt sollte man sofort verklagen und durch alle Instanzen gehen!
Die Formal-Korrekten
Es ist doch ganz einfach: Es gibt nämlich eine Musterberufsordnung und die besagt unter §29(4), dass in Gegenwart von Patienten oder anderen Personen Beanstandungen der ärztlichen Tätigkeit und zurechtweisende Belehrungen zu unterlassen sind. Das gilt auch im Verhältnis von Vorgesetzten und Mitarbeitern. Die solle man dem Chefarzt mal anonym zukommen lassen. Das werde ihn bestimmt schwer beeindrucken! Wird es das wirklich?
Die Chef-Versteher
„Die Assistenten werden aber auch immer dümmer. Da muss man schon Verständnis haben, wenn der Chef, umgeben von soviel Inkompetenz, auch mal deutlich die Meinung sagt. Was soll er denn sonst tun? Das kann man schon nachvollziehen!“
Und die fünfte Gruppe?
Die Mitglieder der fünften Gruppe waren in der Diskussion kaum vertreten. Vermutlich deswegen, weil sie ihre Zeit nicht damit verbringen, in Diskussionsforen ihr Leid zu klagen, sondern lieber handeln und selbst Verantwortung übernehmen.
Aber wofür kann man in einer solchen Situation Verantwortung übernehmen? Für die Tatsache, dass man sich jeden Tag aufs Neue dafür entscheidet, unter diesen Bedingungen zur Arbeit zu gehen, statt häufiger den Mittelfinger zu zeigen, wie es Lieschen Müller vorschlägt.
Also kündigen.
„Aber ich kann doch nicht kündigen ...“
Verantwortung übernehmen
Verantwortung übernehmen heißt in diesem Fall, sich klar zu machen, warum man es vorzieht, die Situation zu erdulden, statt zu gehen. Schließlich sind die Zeiten vorbei, in denen man in Bewerbungsgesprächen um den Job bangte und dem Chef jeden Tag die Füße küssen musste, weil man überhaupt eine Stelle hatte.
Menschen, die Verantwortung übernehmen klagen nicht ständig über die Arbeitsbedingungen. Sie stellen sich stattdessen regelmäßig zwei Fragen:
Bin ich in der Position, an den Arbeitsbedingungen etwas grundlegend zu verändern? Wenn ja: Dann hören Sie auf, diesen Artikel zu lesen und fangen Sie an! Wenn nicht, dann verändert auch das Jammern in Foren und im Freundeskreis nichts an der Situation.
Größeres Unheil vermeiden
Die zweite Frage lautet: Warum gehe ich trotzdem jeden Tag zur Arbeit? Wir tun im Leben immer nur Dinge, mit denen wir unsere Bedürfnisse befriedigen. Wenn wir angenehme Dinge tun, bedienen wir damit das eigene Belohnungssystem. Wenn wir unangenehme Dinge tun, wollen wir entweder damit ein langfristiges, positives Ziel erreichen, oder wir vermeiden damit noch größeres Unheil. Zum Beispiel:
So wägen wir ab und treffen Entscheidungen. Und wir übernehmen Verantwortung für diese Entscheidungen. Was also hält uns in einer Arbeitsumgebung, die wir zum Teil als unerträglich erleben?
Auch ich muss jeden Tag Dinge tun, die ich eigentlich nicht gerne mache. Ich muss beispielsweise Anfragen des Medizinischen Diensts der Krankenversicherung (MDK) bearbeiten. Ich hasse MDK-Anfragen. Aber ich bearbeite sie trotzdem. In solchen Situationen stelle ich mir die Frage, warum es sich lohnt, die Aufgaben trotzdem zu übernehmen.
Solange ich auf diese Frage immer eine gute Antwort finde, bin ich an meiner jetzigen Klinik und in meiner jetzigen Position goldrichtig!
Der Tag, an dem ich diese Fragen nicht mehr sinnvoll beantworten kann, sollte der Tag sein, an dem ich beginne, endlich häufiger "NEIN" zu sagen oder sogar die Kündigung einzureichen, wie es die "Notaufnahmeschwester" getan hat. Das ist allemal sinnvoller, als tagtäglich mein Leid in einem Forum zu verbreiten und mich am nächsten Tag wieder zur Arbeit zu schleppen.
So übernimmt man Verantwortung für sich selbst.
Stellen Sie sich jedes Mal, wenn Sie unangenehme Tätigkeiten machen müssen die eine Frage: Warum lohnt es sich für mich, diese Tätigkeit zu machen? Welches Bedürfnis erfülle ich mir, in dem ich auch Aufgaben übernehme, die mir manchmal keine Freude machen.
Immer wenn Sie auf diese Frage eine gute Antwort finden, verändert es Ihre Sichtweise auf die unangenehme Aufgabe. Sobald Sie die Frage nicht mehr sinnvoll beantworten können, sollten Sie nicht auf Facebook posten, sondern die richtigen Konsequenzen ziehen.
Und welche sind das bei Ihnen?