Das Ressort des Gesundheitsministeriums ist spannend wie selten vorher. Der neue Minister gilt als ambitioniert, ehrgeizig. Viele sehen ihn als eine wichtige zukünftige Führungsperson in seiner Partei. Aber nun sitzt er zwischen vielen Stühlen und kann Großes schaffen oder sich die Finger verbrennen. Ein offener Brief.
Sehr geehrter Herr Spahn,
nun sind die Hürden genommen und Sie sind unser neuer Gesundheitsminister. Ich möchte nicht darüber spekulieren, ob dieses Ressort zum jetzigen Zeitpunkt für Sie persönlich eine Chance oder ein Risiko darstellt. Es wird sich in den kommenden Jahren zeigen, ob die Regierung mit Ihnen als Minister die multiplen und divergierenden Interessen und Aufgaben erkennen und lösen kann.
Ich frage mich, wird es weiterhin nur neue Flicken im Teppich des deutschen Gesundheitssystems geben oder gewinnt womöglich sogar die einflussreichste Lobby?
Zu Beginn und am Ende aller Fragen in diesem Bereich sollte stets der Patient stehen. Seine Gesundheit zu erhalten und wiederherzustellen, ist die Aufgabe der Leistungserbringer – finanziert durch Beiträge und Steuern. Die Politik muss steuern und regulieren. Klingt einfach, ist über die Jahre aber immer komplizierter geworden. Sie sitzen zwischen vielen Stühlen.
Die Bevölkerung: Wie begegnen wir der alternden Bevölkerung?
Über den angeblich steigenden Anspruch der Menschen in Bezug auf die Bereitstellung medizinischer Versorgung möchte ich an dieser Stelle nicht sprechen. Auch wenn man sich schon fragen kann, warum es in Deutschland derart viele Arztbesuche pro Person und Jahr im Vergleich zu anderen Industriestaaten gibt.
Viel wichtiger finde ich es aber, einen Blick auf die derzeitige und vor allem zukünftige Versorgung unter Beachtung unserer Alterspyramide zu werfen. Laut statistischem Bundesamt liegt der Anteil der Bevölkerung über 65 Jahre im Jahre 2018 bei 22 Prozent. Im Jahr 2030 werden die sogenannten Babyboomer aus der Arbeitswelt ausscheiden, der „Pillenknick“ wird übernehmen und schon einen Anteil von 28 Prozent über 65-Jährigen finanzieren und medizinisch versorgen müssen.
2050 werden es 32 Prozent sein. Es ist allgemein bekannt, dass die die Kosten für die Versorgung im Alter zunehmen: mehr Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte, behandlungsbedürftige Krankheiten, Medikamente, Alten- und Gesundheitspflege.
Wir benötigen also nicht nur mehr Arbeitskräfte im Gesundheitssystem, sondern auch mehr Geld für Personalkosten, Einrichtungen und Behandlungen, Krankentransporte etc.
Ärzte und Pflegekräfte: Schaffen Sie attraktive Arbeitsbedingungen
Wenn sich dieses Land auf motivierte und gut ausgebildete Ärzte und Pfleger verlassen möchte, sollte wir nach den Ursachen der derzeitigen Unzufriedenheit suchen. Schaffen Sie, Herr Spahn, Bedingungen, damit junge Menschen diesen Beruf gerne erlernen und auch ausüben wollen. Dazu gehört Geld, aber auch eine gute Qualifikation, angenehme Arbeitsumfelder, weniger Bürokratie, mehr Personal und vor allem eine Würdigung dieser ganz besonderen Art der Arbeit am Menschen. Wir brauchen die Besten.
Apotheken und Industrie: Wo geht die Reise hin?
Überlassen wir nicht den anderen Länder zu forschen und zu erfinden. Lassen wir es nicht zu, dass dann unter zweifelhaften Bedingungen und kritischer Qualität irgendwo in der Welt produziert wird. Das wäre billig, nicht preiswert. In Deutschland sollte weiter pharmakologisch geforscht und auf weltweit höchstem Standard produziert werden. Aber schaffen wir Transparenz und verhindern wir unangemessen Einfluss der Industrie auf die Ämter und Politik. Das gilt nicht nur für die Pharmaindustrie, sondern auch für die Produzenten entsprechender Medizingeräte.
Außerdem ist da die Frage, die vielen unter den Nägeln brennt: Welche Rolle kann die Apotheke vor Ort in der Zukunft spielen? Sie ist mehr als eine Verteilstation für Medikamente und sollte diese Rolle auch wahrnehmen. Welche Vorteile bietet sie gegenüber der Versandapotheke?
Versicherungen: Bezahlung nach erbrachter Leistung
Die Lobby der Krankenkassen ist in Deutschland sehr aktiv. Medial präsentiert sie sich professionell, sie haben großen Einfluss in Berlin. Brauchen wir einen Wettbewerb zwischen den vielen Krankenkassen zur Kostenreduktion im Verwaltungsbereich? Brauchen wir sinnlose Therapien und Bonusprogramme zur Kundengewinnung?
Als Gesundheitsminister sollten Sie eine gerechte Honorierung der Leistung schaffen. Egal, ob gesetzlich oder privat versichert. Ich bin gespannt, ob Sie bei den Budgets und Quartalspauschalen der gesetzlich Versicherten bleiben oder ob bald gerecht und tatsächlich nach erbrachter Leistung bezahlt wird?
Digitalisierung: Wo stehen wir und wo wollen wir hin?
Der Begriff der Digitalisierung wird inflationär verwendet. Aber welche Rolle kann die Digitalisierung in der Medizin wirklich einnehmen? Wie können wir dabei sicherstellen, dass Datenschutz und Qualität nicht vernachlässigt werden?
Die Telematikinfrastruktur, die derzeit durch die Praxen geistert, produziert bisher nur Verwirrung und Kosten, die am Ende nicht wie geplant ausschließlich von den Krankenkassen, sondern wieder einmal auch von den Praxen bezahlt werden. Der einzige Gewinner ist bisher die Industrie, die mit einem Gesetz im Rücken höchst lukrative Verträge vergibt.
Politik und Medien: Wir brauchen eine saubere Berichterstattung
Herr Spahn, lassen Sie sich von denjenigen vor den Karren spannen, die mit unangemessener Kritik am System und Sozialneid aus rein parteipolitischen Kalkül Stimmung machen! Sind Sie in der Lage diese hervorragende wahrscheinlich weltbeste medizinische Versorgung in Deutschland zukunftssicher zu machen?
Können Sie es mit den Medien zusammen schaffen, auf wirkliche Probleme in Deutschland hinzuweisen, auch im Gesundheitswesen? Oder liefern sich die Medien weiterhin einen erbitterten Kampf, wenn es darum geht, wer die schlechteste Stimmung verbreiten kann? Vielen Medien geht es nur darum, Auflagen, Klicks oder Einschaltquoten zu erzielen, viele Politiker versuchen durch das Schüren von Ängsten Stimmen für die nächste Wahl zu gewinnen. Das muss sich ändern!
Auf gehts, an die Arbeit!
Trauen Sie sich! Trauen Sie sich, ein Diener des Volkes zu sein! Das Richtige zu machen und nicht das Lukrativste. Trauen Sie sich, langfristig zu denken, nicht nur bis zur nächsten Wahl! Trauen Sie sich, sich von der lautstarken Lobby informieren, aber nicht beeinflussen zu lassen!
Wenn Ihnen dieser Spagat gelingt, gewinnen Sie mit Sicherheit einige Gegner mehr, aber auch die Menschen in Deutschland. Vielleicht schaffen Sie es sogar, das Vertrauen in die Politik, das nicht nur nach dieser Regierungsbildung arg ramponiert ist, wiederherzustellen.
Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr 5- Foraminologe