Pharmazeuten sprechen gern von evidenzbasierten Therapien und von der bestmöglichen Versorgung nach wissenschaftlichen Standards? Weit gefehlt! Der neueste Ausrutscher ist in Baden-Württemberg passiert. Spitzenvertreter des Berufsstands machten ihren Kotau vor alternativmedizinischen Herstellern.
Der Sozialausschuss des Landtags Baden-Württtemberg wollte mehr über Komplementärmedizin und Naturheilverfahren erfahren. Deshalb hatten Politiker verschiedene Experten geladen, unter anderem Fritz Becker, Präsident des Landesapothekerverbands. Er ist auch Präsident des Bundesapothekerverbands, was nicht ganz ohne Beigeschmack ist. Becker zufolge bestehe der OTC-Markt zu 70 Prozent aus synthetischen Wirkstoffen, zu 20 Prozent aus Phytopharmaka und zu 10 Prozent aus Homöopathika nach Umsatz. Beim Absatz nennt er 80 versus 12,7 versus 8 Prozent. „Diese Produkte sind für uns ein wichtiger Faktor; 30 Prozent des Umsatzes machen wir damit, und jede fünfte Packung kommt aus diesem Bereich“, ergänzte der Apotheker. „Die Beratung spielt eine ganz große Rolle.“
Apotheker und Industrie – gemeinsam stark?
Die Apothekenpflicht sei entscheidend, so Becker weiter. „Dafür kämpfen wir.“ Er scheut sich nicht, vor Firmen den Hut zu ziehen: „An dieser Stelle vielen Dank für die Mithilfe der pharmazeutischen Industrie Seite an Seite (...)“. Dies sei ein „aktiver Bestandteil des Verbraucherschutzes“. Auch das grüne Rezept erfreut sich bei Apothekern großer Beliebtheit. Sie haben keine Hemmungen, im Web Listen zu veröffentlichen, die zeigen, welche Krankenkassen Globuli und Co. erstatten.
Beim Meeting standen Peter Braun von der Deutschen Homöopathie-Union (DHU) und Florian Stintzing von der WALA GmbH ebenfalls Rede und Antwort. Sie verteidigten homöopathische bzw. anthroposophische Verfahren.
Einzig und allein Dr. Thomas Rösel vom MDK (Medizinischer Dienst der Krankenversicherung) schlug kritischere Töne an. „Freiwillige Satzungsleistungen erlauben Krankenkassen, alternative Therapien mit aufzunehmen“, berichtet der Experte. Er moniert, wesentliche Elemente der Homöopathie und der Anthroposophie befänden sich „außerhalb des klassischen naturwissenschaftlichen Verständnisses“. Beispielsweise lasse sich die Verdünnung respektive Potenzierung von Wirkstoffen nicht mit anerkannten Dosis-Wirkungs-Beziehungen in Einklang bringen.
Kritische Töne: Mangelware bei Apothekern
Solche Argumente hätte man sich von Apothekern gewünscht. Bei Landespolitikern bleibt als Gesamteindruck: Industrie und Pharmazie sind sich einig, dass Alternativtherapien trotz fehlender Evidenz wirtschaftlich wichtig sind. Nur der MDK-Vertreter ging auf Schwächen ein. Apotheker haben kein gutes Bild abgegeben.
Im Gegensatz dazu positionierte sich die ABDA in der Vergangenheit im Perspektivpapier „Apotheke 2030“ noch deutlich. Apotheken übernehmen „pharmazeutische Verantwortung für die Optimierung und Sicherheit der Arzneimitteltherapie“. Ziel sei eine „wirksame und patientenorientierte Arzneimittelversorgung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten“. Das Dokument rückt Medikationsanalyse und Medikationsmanagement als Instrumente in den Mittelpunkt. Es bleibt die Frage, was von diesen Ansichten übrig geblieben ist, nachdem Spitzenvertreter sich nun so tief vor alternativmedizinischen Herstellern verbeugen.