Onkologische Fälle sind bei uns keine Seltenheit. Vom LungenCA über Leukämie haben wir alles. Und trotzdem schockiert es mich immer wieder, was Krebs mit Menschen und deren Angehörigen anstellt.
Vor kurzem hatten wir wieder so einen Fall. Die Dame, gute 80, völlig orientiert, zuhause noch selbstständig, kam mit einem metastasierenden LungenCA zu uns. Sie war geschwächt, wirkte jedoch nicht allzu beunruhigt, da sie wie sie mir erzählte, schon seit jungen Jahren mit „Mr. K“, wie sie ihren Krebs nannte, zu kämpfen hatte. Ihr größtes Problem waren der durch die Chemo bedingte Diarrhoe und ihre Schwäche, die sie dazu nötigte, uns zur Hilfe zu rufen, wenn sie ihre Notdurft verrichten musste. Sie war eine Kämpfernatur, aß trotz Appetitlosigkeit, machte soviel es ging selbst.
Sie erholte sich soweit, dass sie mit onkologischer Betreuung nach Hause entlassen werden konnte. Was für eine Freude, ihr diesen Wunsch zu erfüllen und sie am Rollator die Station verlassen zu sehen.
Ein Schatten kehrt zurück
Kaum 3 Wochen später war sie wieder da. Ich konnte kaum glauben, dass es dieselbe Frau war. Sie war eingefallen und abgemagert, hatte starke Schmerzen, war auf kontinuierlichen, hochdosierten Sauerstoff angewiesen, Essen musste ihr eingegeben werden, da sie so schwach war. Es ging rapide bergab mit ihr, so rapide, dass sich unsere Ärzte auf eine Palliativtherapie einigten. Sie bekam Morphium in die Infusion. Sie bekam Dormicum iv. und Buscopan iv.
Als klar wurde, dass sie terminal war, bauten wir ihr mit dem Bettbogen und Tüchern ein Zelt, stellten Becher mit Tupfern ins Zimmer, die mit wohlriechenden ätherischen Ölen getränkt waren, betteten sie auf eine Wechseldruckmatratze um, lasen ihr Geschichten vor. Auch dann noch, als sie nicht mehr bei Bewusstsein war. Die Angehörigen wechselten sich ab, waren praktisch 24h an ihrer Seite. So konnte sie im Beisein ihres Sohnes loslassen und gehen. Sie sah so friedlich aus, als hätte es all den Schmerz der letzten Monate nicht gegeben, der Sohn traurig aber erleichtert, dass seine Mutter nun nicht mehr leiden musste und in Würde gehen konnte.
Was bleibt, ist eine Hülle
Trotzdem: Krebs ist ein Arschloch. Er macht aus Menschen voller Leben atmende Skelette. Raubt Frauen und Männern das Selbstbewusstsein, wenn sie durch die Chemo ihre Haare verlieren. Er schürt Hoffnungen, nur um sie dann wieder zunichte zu machen, raubt Angehörigen den letzten Nerv. Er löscht nach und nach alles, was diesen Menschen ausgemacht hat und lässt eine schmerzgepeinte Hülle, aus der das Leben so schnell hinausfließt, dass man als Pflegende, Arzt und Angehörige nur hilflos daneben steht.