Ich muss zugeben, dass ich bisher noch nicht oft auf ein wissenschaftliches Paper gestoßen bin, das ich mit Begeisterung gelesen habe. Dass es mit diesem Paper anders sein könnte, habe ich schon gewittert, als ich auf Titel und Abstract dieses kleinen Schmuckstücks gestoßen bin.
„Medical Students’ Exposure to the Humanities Correlates with Positive Personal Qualities and Reduced Burnout: A Multi-Institutional U.S. Survey“. Sinngemäß also „Medizinstudenten, die sich mit geisteswissenschaftlichen Themen beschäftigen, zeigen positive Persönlichkeitsqualitäten und haben ein niedrigeres Risiko, an einem Burnout-Syndrom zu erkranken“.
Mein Herz hüpft. Was eigentlich logisch erscheint und uns von so manchem Dozenten auch mit auf den Weg gegeben wird, wurde erhoben und steht hier nun schwarz auf weiß: Wer seine Zeit (egal ob aktiv oder passiv) mit visueller Kunst, Gesang, einem Instrument, Musik, Tanz, Schreiben, Lesen, Theater, Museums- oder Konzertbesuchen verbringt, verfügt über so manche Eigenschaften, die im Beruf des Arztes durchaus erwünscht sind. Dazu gehören: mehr Weisheit, Empathie und eine eine stärkere Ausprägung von Selbstwirksamkeit, also dem Vertrauen, mit Problemen umgehen zu können. Das stärkt die Resilienz und schützt somit vorm Burnout. Wer sich mit Kulturgut umgibt, kann seine eigenen Gefühle besser verstehen und verarbeiten und sich besser in andere hineinversetzen. Ist toleranter. Und weniger anfällig, dem stressigen Alltag irgendwann nicht mehr gewachsen zu sein.
Mehr Philosophie im Curriculum?
Ich freue mich über diese Ergebnisse. Und bin gespannt, ob die zukünftigen Generationen der Medizinstudenten Philosophie- oder Literaturkurse im Wahlfach finden werden (ein, zwei gibt es auch heute schon an meiner Uni, aber breit kann man das Angebot dennoch nicht nennen).
Für die Untersuchung wurden gut 3.000 amerikanische Medizinstudenten von fünf verschiedenen Universitäten befragt. Und obwohl die Rücklaufquote bei nur knapp 24 Prozent lag, sind die Ergebnisse statistisch repräsentativ. Und in allen erhobenen Persönlichkeitsqualitäten wurden signifikante Unterschiede gegenüber der Vergleichsgruppe festgestellt.
Von nun an dient der Gang ins Unikino, der Griff zum neuen Roman, ja selbst das Bloggen nicht mehr nur der Entspannung, dem Abschalten oder Verarbeiten. Sondern tatsächlich sind diese Freizeitaktivitäten auch eine ideale Vorbereitung auf meine zukünftige Rolle in der Patientenversorgung. Natürlich sollte gerade dieser Zweckgedanke nicht in den Mittelpunkt rücken. Denn vermutlich ist dieser Punkt ganz entscheidend: Der Blick nach rechts und links ist erlaubt, ohne zu erwarten, dass dabei etwas „rumkommt“. Vielmehr geht es um das ziellose Streifen durch die Kulturlandschaft um des Denkvergnügens willen.
Den Weisen von gestern lauschen
Interessante Ideen werfen die Autoren auch im Diskussionsteil ihrer Arbeit auf. Passend zum Thema handelt es sich hier offensichtlich genau um die Spezies Mediziner, die sich gern auch mal in die Geisteswissenschaften vorwagen.
Sie führen an, dass es eigentlich nur logisch ist, dass diejenigen, die sich mit Kultur beschäftigen, nebenbei ein bisschen weiser werden, denn sie hören den „Weisen von gestern“ zu. Die Forscher finden es außerdem bedauernswert, dass es heutzutage anders als noch vor 100 Jahren nicht mehr selbstverständlich zum Berufsethos des Mediziners dazugehört, kultiviert zu sein.
Und schließlich die erleichternde Überlegung für all diejenigen unter euch, die eventuell mehr für Sport, Meditation, für ein Ehrenamt oder Politik brennen: Vielleicht geht es auch nicht unbedingt primär nur um Kultur, sondern darum, sich seine Neugier zu bewahren.
Ich finde, das sind schöne Neuigkeiten. Und empfehle wärmstens einen Blick in die primäre Quelle, die ihr hier findet – wie es in der Wissenschaft so üblich ist.
Zum Blog geht es hier.