Ein junger Patient braucht eine Notfalloperation, aber das hat ihm wohl noch keiner gesagt. Eine unangenehme Situation für mich – und dann ist doch alles ganz anders, als gedacht.
Der junge Mann, der vor mir im Bett sitzt, sieht eigentlich gar nicht krank aus, doch das täuscht. Die chirurgische Dienstärztin hat ihn mir zur Notfalloperation angemeldet, weil er ein Loch im Magen hat. Mit seinen 19 Jahren ist er eigentlich für meinen Geschmack etwas zu jung für ein Loch im Verdauungstrakt. Aber er hat über einen längeren Zeitraum Ibuprofen ohne Magenschutz eingenommen. Und darunter hat sich ein Magengeschwür gebildet.
„Guten Tag, mein Name ist Gramsel, ich bin Narkoseärztin. Ich bin hier, um mit Ihnen über die Narkose für die Operation am Bauch zu reden.“
Er schaut mich erstaunt an. Von einer Operation wisse er nichts. Wann die denn sein sollw? Was operiert werde? Und warum? Und ob das denn wirklich sein müsse?
Warum war die Stationsärztin noch nicht da?
Ich ärgere mich. Es ist nicht besonders angenehm, so mit der Tür ins Haus zu fallen und eigentlich werde ich erst gerufen, wenn die Chirurgen schon beim Patienten gewesen sind. Schließlich kann und soll ich all diese Fragen nicht beantworten. Aber was soll ich machen?
Ich setze einen kurzen Anruf an den diensthabenden Oberarzt ab, der mir versichert, dass der Operateur gleich kommt. Er sagt mir aber auch, die Stationsärztin sei bestimmt bereits da gewesen und habe mit dem Patienten geredet.
Offensichtlich war keiner bei dem Patienten, denn der er sagt nach wie vor, er wisse von nichts. Ich vertröste ihn auf gleich und kläre ihn trotzdem für eine Vollnarkose auf.
Anschließend berichte ich meiner Oberärztin von dem Patienten, damit sie weiß, was sie vorbereiten muss. Auch ihr erzähle ich, dass der Patient noch gar nicht chirurgisch aufgeklärt ist und auch sie stört sich daran. Das entspricht einfach nicht die Abmachung. Punkt. Typisch Chirurgen, etwas 'super Dringendes' anzumelden und dann selber noch nicht da gewesen zu sein.
Warum sollte der Patient mich anlügen?
Ich besuche noch kurz das Stationszimmer und spreche mit der Stationsärztin darüber. Sie schüttelt den Kopf. „Das kann nicht sein. Mein Oberarzt ist vor 20 Minuten aus dieser Tür raus, um zu dem Patienten zu gehen. Das glaube ich einfach nicht.“
Ich zucke mit den Schultern. Warum sollte der Patient mich anlügen? Naja. Passiert ist passiert.
Eine gute Stunde später treffe ich zufällig meine Oberärztin auf der Aufwachstation. Sie grinst mich an. „Hast du schon gehört von deinem Patienten? Das war ja was.“
„Was denn?“
„Na, wir haben abgemacht, dass der zu uns zur Schleuse gebracht wird und der Operateur ihn dort noch kurz aufklärt. Als die Pflege ihn bringt, sagt er zu uns: Ich will jetzt nicht operiert werden, ich bekomme heute noch Besuch. Und ausserdem war von der Narkose gar niemand bei mir. Ich will keine Narkose.“
Ich ärgere mich über mich selbst
Der Patient hat also doch geflunkert. Zuerst mir gegenüber und dann hat er es noch bei meiner Oberärztin und dem Chirurgen versucht. Ich hab keine Ahnung, wieso er das gemacht hat oder was er damit erreichen wollte. Damit durchgekommen ist er jedenfalls nicht. Auf dem Aufklärungsprotokoll, auf dem ich handschriftlich die für ihn spezifischen Narkoserisiken notiert habe, prangt seine Unterschrift direkt über meiner. Ich hab den schriftlichen Beweis.
Geärgert habe ich mich deswegen auch nicht unbedingt über den Patienten, sondern über mich selbst. Ist mir eigentlich Wurscht, warum der Mist erzählt. Aber ich hab mich manipulieren lassen, habe mich völlig zu Unrecht über die Chirurgen aufgeregt, ihnen Absicht unterstellt. „Ist ja mal wieder typisch“, hab ich gedacht. „Da stressen die so rum von wegen ‚der muss schnell in der OP‘ und kümmern sich dann selbst nicht um ihre Aufgaben“.
Solche verenzelt vorkommenden Patienten sind dann auch der Grund, warum ich allen anderen auch nichts mehr glaube.