Zytostatika wurden in griechischen Kliniken gestohlen und illegal verkauft – auch in Deutschland. Zum Teil wurde die Ware angeblich auf einem Fischmarkt zwischengelagert. Was ist passiert? Und was haben 270 Rubine damit zu tun? Was man bisher weiß.
Kaum ist der Zyto-Skandal über einen Apotheker aus Bottrop, der Krebsmedikamente streckte, aufgearbeitet, geht es Schlag auf Schlag weiter. Erneut geht es um hochpreisige Zytostatika, aber auch um Präparate zur MS-Therapie. Diese sollen laut Berichten des ARD-Magazins „Kontraste“ in griechischen Krankenhäusern gestohlen worden sein: eine kriminelle Handlung, aber noch nicht der eigentliche Skandal.
Zwischengelagert auf dem Fischmarkt
Beim Großteil der Präparate handelt es sich um Krebsmedikamente. Viele der betroffenen Pharmaka wie Adcetris, Avastin, Erbitux, Faslodex, Herceptin, Lucentis, Mabthera, Neulasta, Perjeta, Soliris, Stelara, Vectibix oder Xgeva sind kühlpflichtig. Sie müssen zwischen 2 und 8 °C gelagert werden. In Deutschland zeichnet jede Apotheke Messpunkte ihres Kühlschranks auf. Selbst die Großhandelsfahrzeuge sind mit Messtechnik ausgestattet.
Die Ware aus Griechenland lagerte unter zwielichtigen Bedingungen in Privatwohnungen, angeblich aber auch auf einem Fischmarkt. Per Flugzeug ging es weiter nach Deutschland, wo Lunapharm aus Brandenburg große Mengen aufgekauft hat, die Rede ist von bis zu 14.000 Gebinden. Weiter ging es an 19 Apotheken in neun Bundesländern. Bislang wurden 700 Arzneimittelpackungen zurückgerufen, hieß es bis vor kurzem. Nun wird vermutet, dass es sich um deutlich mehr Packungen handelt, berichtet die Zeitung Potsdamer Neueste Nachrichten.
Räuberpistolen und sonstige Gerüchte
Die Ermittlungen jenseits unserer Grenzen gestalten sich schwierig. Laut Recherchen der Süddeutschen Zeitung soll der mittlerweile 70-jährige Deutsch-Ägypter Mohammed H. zu den Drahtziehern gehören. Neben H. habe man weitere medizinische Angestellte verhaftet. Zumindest eine Ärztin gestand, sie habe aufgrund von Bedrohungen mit einer Waffe Scheinrezepte ausgestellt. Und im Haus eines Pharmaunternehmers sind wohl 270 Rubine aufgetaucht, der Zusammenhang zur möglichen Geldwäsche durch Pharmaverkäufe bleibt vage. Viele Punkte lassen sich kaum überprüfen.
Die Task Force wird’s schon richten …
Doch zurück zu den Fakten. Schon in der Vergangenheit hatte Lunapharm keine weiße Weste. Es gab Hinweise, dass Apotheken nach griechischem Recht keine Medikamente an Großhändler verkaufen dürfen. Gerichte bestätigten das, aber niemand wurde hellhörig: Warum verkaufen Pharmazeuten aus dem EU-Land mit dem marodesten Gesundheitssystem Krebsmedikamente an einen deutschen Importeur?
Das Brandenburger Gesundheitsministerium ist erst nach dem ARD-Bericht aktiv geworden und bemüht sich jetzt um Schadensbegrenzung. Warnungen aus Griechenland seien laut „Kontraste“ ignoriert worden. Jetzt ist von Umstrukturierungen die Rede, und Lunapharm hat seine Betriebserlaubnis verloren. Gleichzeitig laufen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft.
Ob verdorbene Präparate Schäden angerichtet haben, weiß niemand. Derzeit untersuchen Labors verschiedene Rückstellproben der umstrittenen Firma. Bei zwei Packungen mit Alimta und zwei mit Velcade habe man keine Auffälligkeiten bemerkt, schreibt Brandenburgs Gesundheitsministerium. Weitere Ergebnisse liegen nicht vor. Eine Task Force mit Prof. Dr. Wolf-Dieter Ludwig von der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft sowie Prof. Dr. Martin Schulz, von der Arzneimittelkommission der deutschen Apotheker hat ihre Arbeit ausgenommen – nach dem alten deutschen Motto: „Wenn man nicht mehr weiter weiß, gründet man ’nen Arbeitskreis.“ Man wird sehen.
Gier nach mehr
Das Problem betrifft nicht nur Brandenburg. Wie die FAZ herausfand, sind Pharmakonzerne aus ethischen Erwägungen bereit, teure Medikamente vergünstigt an gebeutelte Regionen wie Griechenland abzugeben. Nur ärgerlich: Die Präparate kommen nicht der Bevölkerung zugute, sondern tauchen auf anderen Märkten mit hohem Preisniveau wieder auf. Ob es sich um legale Verkäufe oder um Diebstähle handelt, lässt sich nicht immer nachvollziehen, ändert an der Grundproblematik jedoch nichts.
securPharm schwächelt
Optimisten mögen denken, mit securPharm sei der Spuk vorbei. Ab 9. Februar 2019 müssen nicht nur Apotheken, sondern auch Krankenhäuser jedes Präparat prüfen: Ist der Erstöffnungsschutz intakt, und taucht die Seriennummer in der Herstellerdatenbank auf? Im aktuellen Fall hätte securPharm recht wenig gebracht. Griechenland hat sechs Jahre mehr Zeit als Deutschland, europäische Vorgaben umzusetzen. Das gilt übrigens auch für Italien, einem weiteren Einfallstor von gestohlenen Medikamenten. Alle Packungen, die vor dem Stichtag in den Handel gekommen sind, dürfen abverkauft werden.
Doch wann werden Arzneimittel überhaupt aus der Datenbank gestrichen? Das sollte in jedem Klinikum sofort beim Wareneingang passieren. Angesichts großer Arzneimittelmengen ist fraglich, ob Angestellte wirklich jeden Artikel zeitnah einscannen, vor allem im griechischen Gesundheitssystem mit seinem Mangel an Pesonal.
Außerdem hat securPharm eine entscheidende Schwäche: Das System erfasst bei empfindlichen Pharmaka nicht, ob die Kühlkette unterbrochen worden ist. Im Lebensmittelbereich gibt es etliche Technologien, um dies nachzuweisen, etwa niedrig schmelzende Wachse oder temperaturempfindliche Polymere. Warum pharmazeutische Hersteller bei Präparaten mit mehreren tausend Euro Verkaufspreis diese Tools nicht einsetzen, ist unverständlich.