In einem Züricher Spital erlebte eine Patientin vor Kurzem eine gräßliche Nacht: Nach einer Mandeloperation blutete sie plötzlich aus dem Mund. Sie drückte den Notrufknopf, aber es kam keiner. Schließlich war sie so verzweifelt und verängstigt, dass sie den schweizer Notruf wählte.
Nach Angaben der Patientin wartete sie eine halbe Stunde lang, bevor zum Telefon griff. Die Person, die den Notruf entgegennahm, versuchte, jemanden auf der Station zu erreichen, doch niemand ging ans Telefon, weshalb schließlich irgendjemand anders aus dem Krankehaus zur Patientin geschickt wird. Als die Person eintrifft, ist die Blutung zum Glück bereits von alleine zurückgegangen.
Erstmal: Wow, das muss ein absolutes Horrorerlebnis gewesen sein. Ich hoffe, es geht der Patientin gut und sie hat sich von dem Schreck erholen können. Es hätte durchaus schlimmer enden können. Nachblutungen nach Mandelentfernungen können gelegentlich mal wie Sau bluten. Und: Gut reagiert! Rumlaufen, bis man irgendjemanden findet, ist nachts oft nicht von besonderem Erfolg gekrönt.
Aber da stellt sich doch die Frage: Wie konnte das passieren?
Ein Zwischenfall legt alles lahm
Nun, laut Artikel war die Pflegeperson der Station wegen eines Notfalls gerade in einem anderen Bereich der Klinik. Und da, genau da, liegt der Hase im Pfeffer: Nachts hat man in den meisten Spitälern exakt eine Pflegeperson pro Station, und dazu vielleicht eine Fachangestellte für Gesundheit oder eine Pflegeassistenz. Das bedeutet: Es gibt genau eine diplomierte Person für durchschnittlich 20 Patienten.
Man stelle sich nun vor, es gebe irgendeinen Zwischenfall. Ein Patient stürzt und muss auf die Beine gestellt werden oder eine Reanimation fällt an, vielleicht gibt es auch mal ein Patient, der ausrastet und beruhigt werden muss. Solche Situationen sind nicht alleine zu bewältigen. Das schafft man nicht. Soll man auch nicht. Man schafft es auch nicht zu zweit – je mehr Hände, desto besser. Also sind Pflege und Assistenz von zwei, drei Stationen schnell mal eine Weile beschäftigt und je nach Art des Zwischenfalls nehmen derartige Szenarien sogar häufig mal eine Stunde in Anspruch. Und so lange ist dann die Station unbesetzt.
Ein offensichtlich mangelhaftes System
Deswegen wird der Patientenruf nachts auch auf mehr als nur einer Station angezeigt, meist noch auf den benachbarten Stationen oder sogar auf denen darüber und darunter. Wenn es dann eine Viertelstunde konstant piepst, kann je nach Kapazität vielleicht auch jemand anderes nachschauen, was los ist. Dieses System hat wohl just in der oben beschriebenen Nacht nicht funktioniert, was natürlich maximal ungünstig ist. Aber frei nach Murphy’s Gesetz muss ja auch alles schief gehen, was schief gehen kann.
Wenn das System nun so fragil ist, dass bereits ein einziger Zwischenfall dazu führt, dass eine oder sogar mehrere Stationen verwaist zurückbleiben, warum verbessert man es dann nicht?
Ihr ahnt vielleicht, worauf ich hinaus will. Ist ja schließlich auch immer dasselbe. Fachkräftemangel und Sparmaßnahmen. Es wird nicht mehr Personal eingestellt, weil man es a) nicht hat und es b) etwas kostet. Und Kosten im Gesundheitswesen sind ja grundsätzlich des Teufels.
Und wer entschuldigt sich am Ende?
Das vorhandene Personal, das sind wir. Pflegefachfrauen und -männer, Fachangestelle Gesundheit, Ärzte und so weiter. Darum stößt mir auch der letzte Satz des Artikels ganz schön sauer auf: „Die Ärzte haben sich entschuldigt.“
Bestimmt haben sie das getan. Bestimmt hat sich auch die Pflegeperson entschuldigt, die Nachtdienst hatte und wahrscheinlich sogar die Pflegepersonen der Tagschicht. Aber warum müssen sie das überhaupt?
Wir sind die Sklaven der Politiker und der Sesselfurzer der Teppichetage. Wir sind die ausführende Hand, die Front, wir arbeiten fremdbestimmt in einem System, auf das wir keinen Einfluss haben und müssen die Entscheidungen derer ausbaden, die keine Ahnung haben und nur Geld zählen können.
Das hier ist wahrscheinlich auch nur einer von vielen Vorfällen, die meistens wohl nicht die Öffentlichkeit erreichen. Zum Glück ist dieser Patientin nichts Schlimmeres passiert. Andere Patienten haben vielleicht weniger Glück.