Der Konsum von Grünem Tee soll den Blutdruck senken. Wer das Getränk nicht mag, greift auf Supplemente zurück. Dabei sind die Extrakte alles andere als unbedenklich: Die hohe Konzentration kann nicht nur die Leber schädigen, sondern womöglich sogar den Blutdruck erhöhen.
Das bislang bekannteste Gesundheitsrisiko, das von Grüntee-Extrakt ausgeht, ist die Leberschädigung, die mitunter sogar tödlich verlaufen kann. Eine aktuelle Studie zeigt nun, dass auch ein Blutdruckanstieg als Nebenwirkung von Grüntee-Supplementen auftreten kann. Teeliebhaber können allerdings aufatmen: Für das Heißgetränk scheint dies nicht zu gelten.
Grüner Tee: Viel Forschung, wenig Quintessenz
Dem in Asien seit mindestens 4.000 Jahren konsumierten grünen Tee werden unzählige gesundheitsfördernde Wirkungen nachgesagt, unter anderem Krebsprävention, Stärkung des Immunsystems, Cholesterinsenkung, Diabetestherapie und Gewichtsreduktion (Di Lorenzo et al. 2017; Guasch-Ferré et al. 2017; Cheng et al. 2017; Amiot et al. 2016). Allerdings sind die wenigsten dieser Eigenschaften systematisch am Menschen untersucht, sondern fast alle Daten mit entsprechenden Wirksamkeitshinweisen stammen aus Zellkultur- oder Tierversuchen.
Nichtsdestotrotz gibt es eine zunehmende Zahl an Nahrungsergänzungsmitteln, die Extrakte von grünem Tee enthalten. Einerseits sollen damit Menschen erreicht werden, denen das Teegetränk geschmacklich nicht zusagt. Vor allem jedoch wird durch die Einnahme eines Extrakts suggeriert, dass damit die „Wirkstoffe“ des grünen Tees in Reinform, hochkonzentriert und somit umso wirksamer vorliegen. Die aktuelle Studienlage liefert allerdings Hinweise auf erhebliche Gesundheitsgefahren, die von eben diesen Grüntee-Extrakten ausgehen.
Epigallocatechingallat: Der sagenumwobene „Wirkstoff“
Inzwischen wurden mehr als 300 biochemisch aktive Substanzen aus grünem Tee isoliert und mehr oder weniger gut untersucht (Vuong et al. 2010). Zu den prominentesten Komponenten zählt neben den verschiedenen Flavonoiden (Kaempferol, Quercetin, Myricetin) das Antioxidans Epigallocatechingallat (EGCG).
Dabei handelt es sich um die Verbindung der Gallussäure mit Epigallocatechin. EGCG macht etwa 30 Prozent der Trockenmasse von grünem Tee aus. In schwarzem Tee ist der Gehalt verarbeitungsbedingt erheblich geringer. In Labor- und Tierversuchen konnten für EGCG antioxidative, antitumorale und immunmodulative Effekte gezeigt werden (Saeki et al. 2018).
EGCG: Laborversuche schwer auf Menschen übertragbar
Unklar ist bislang jedoch, ob derartige EGCG-Effekte tatsächlich auch für den Menschen gelten, welche Dosierungen dafür erforderlich wären und ob relevante Nebenwirkungen auftreten können. Denn die Übertragbarkeit der Laborversuche auf die Anwendung eines Lebensmittels am Menschen ist für EGCG aus verschiedenen Gründen besonders schwierig:
(Nakagawa et al. 1997; Shutava et al. 2009; de Pace et al. 2013; Lee et al. 2002).
All diese Faktoren machen EGCG für die Testung in klinischen Studien wenig geeignet (Mereles & Hunstein 2011).
Antioxidative Wirkung: Nicht immer gut
Auch der häufige Hinweis auf die – wiederum nur unter Laborbedingungen gezeigte – antioxidative Wirkung von EGCG entpuppt sich bei kritischer Betrachtung als reines Marketing: Zum Einen zeigen neuere Daten, dass gerade EGCG in menschlichen Zellen auch stark prooxidativ wirken kann (Kim et al. 2014). Zum Anderen sollte selbst eine vorhandene antioxidative Wirkung insbesondere im Kontext der Krebstherapie nicht automatisch als „gut“ und „gesundheitsförderlich“ angesehen werden.
Während des Metastasierungsprozesses sind einzelne Krebszellen, die in die Blutbahn gelangen, erheblichem oxidativem Stress ausgesetzt, weshalb die meisten dieser sogenannten disseminierten Tumorzellen gar nicht in entfernten Organen ankommen (Taddei et al. 2013). Eine hoch dosierte Zufuhr an Antioxidanzien könnte nun gerade diese disseminierten Tumorzellen vor oxidativem Stress schützen und so die Metastasierung sogar fördern. Inzwischen gibt es Hinweise aus der präklinischen Forschung, die eine metastasierungsfördernde Wirkung hochdosierter Antioxidanzien belegen (Le Gal et al. 2015).
Krebsrisiko für Teetrinker so hoch wie für Nicht-Teetrinker
Vor allem aber deuten die bisherigen Daten darauf hin, dass es hinsichtlich der Sicherheit erhebliche Unterschiede zwischen grünem Tee in der traditionellen Anwendung, also als Getränk, und hochdosierten isolierten EGCG-Extrakten gibt. Beispielsweise konnte eine große Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2015 zeigen, dass Menschen, die regelmäßig große Mengen an grünem Tee trinken, genauso häufig an Krebs erkranken wie Menschen, die keinen grünen Tee trinken (Tang et al. 2015; Übersicht der Studienlage zum Thema „grüner Tee und Krebs“: hier).
Allerdings hatten die Grüntee-Trinker in dieser Analyse tatsächlich ein geringeres Risiko, an anderen Erkrankungen wie beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu sterben. Aus solchen Beobachtungsstudien lässt sich wie immer kein kausaler Zusammenhang beweisen. Doch inzwischen gibt es mehrere randomisiert-kontrollierte Interventionsstudien, die diese Hinweise auf gesundheitsförderliche Wirkungen von grünem Tee untermauern (Hartley et al. 2013; Onakpoya et al. 2014; Li et al. 2015; Yarmolinski et al. 2015).
Eine sehr gute, wissenschaftlich fundierte Zusammenstellung der tatsächlich belegten gesundheitsfördernden Wirkungen von grünem Tee findet sich bei den Kollegen von medizin-transparent (hier).
EGCG-Supplemente: Russisches Roulette
Bislang stand für die frei verkäuflich angebotenen und in ihrer Dosierung sowie Zusammensetzung völlig unkontrollierten EGCG-Supplemente vor allem die Lebertoxizität als gesundheitliches Risiko im Vordergrund. Es gibt zahlreiche Fallberichte, die die Leberschädigung durch Extrakte, die reich an EGCG sind und häufig zur Gewichtsreduktion eingenommen werden, dokumentieren.
Die EGCG-Toxizität reicht dabei von reversibel erhöhten Leberwerten bis hin zu notwendigen Lebertransplantationen und tödlich verlaufenen Leberversagen (Gloro et al. 2005).
Mittlerweile gibt es so viele Fallberichte und Interventionsstudien zur Lebertoxizität von Grüntee-Extrakt, dass aktuelle Analysen sogar eine Dosisabhängigkeit zeigen konnten. Auf dieser Basis wird in der toxikologischen Literatur aktuell eine Dosis von ca. 300 mg EGCG/Tag aus Supplementen als sicher angesehen („tolerable upper intake level„) (Dekant et al. 2017; Hu et al. 2018).
Abweichend davon empfiehlt die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) in ihrer Sicherheitsbeurteilung eine maximale EGCG-Tagesdosis von 800 mg (EFSA 2018). Außerdem schlägt die EFSA vor, dass Grüntee-Produkte künftig hinsichtlich ihrer Catechin-Gehalte und möglicher Gesundheitsrisiken gekennzeichnet werden sollten. Wann und wie dies umgesetzt wird, ist unklar.
Supplemente zu hoch dosiert
Ein kurzer, nicht repräsentativer Blick ins Internet zeigt, dass die erhältlichen EGCG-Supplemente üblicherweise ein Vielfaches der von der EFSA empfohlenen Maximaldosis (800 mg/Tag) und erst recht der aus toxikologischer Sicht als sicher angesehenen Maximaldosis (300 mg/Tag) enthalten.
Es stellt sich auch die Frage, wieso es bei manchen Menschen zur EGCG-verursachten Leberschädigung kommt und bei anderen nicht? Hier spielen neben unterschiedlichen Lebensstilfaktoren vermutlich vor allem unterschiedliche genetische Merkmale (HLA-Genotyp) eine Rolle. Niemand weiß, welche Faktoren das genau sind und kein Anwender von EGCG-Supplementen kennt seine genetische Ausstattung. Damit ist die Einnahme entsprechender EGCG-Mittel nichts weniger als Russisches Roulette.
Und jetzt auch noch der Blutdruck
Die Zusammenhänge zwischen Grünem Tee-Extrakt und Lebertoxizität sind unter Toxikologen lange bekannt (Mazzanti et al. 2015). Nun überrascht eine aktuelle Studie allerdings mit einer neuen Nebenwirkung: Die japanische Gruppe um Mari Maeda-Yamamoto untersuchte in einer doppelt verblindeten, randomisiert-kontrollierten Studie an 120 gesunden Probanden, wie sich die Einnahme von Grüntee-Extrakt auf die Ermüdung der Augen (infolge längerer Bildschirm- bzw. Smartphone-Nutzung) auswirkt. Dabei wurden auch Veränderungen des Blutdrucks erfasst (Maeda-Yamamoto et al. 2018).
Die Probanden wurden nach dem Zufallsprinzip in drei Gruppen verteilt, von denen eine Gruppe ein Placebopräparat erhielt, während die beiden anderen Gruppen zwei unterschiedliche Grüntee-Extrakte einnahmen. Die beiden Grüntee-Extrakte „Sunrouge“ und „Yabukita“ unterschieden sich in ihrem Gehalt an Anthocyaninen, Epigallocatechinen und Flavonolen, waren aber in ihrem EGCG-Gehalt identisch.
Anstieg von Augeninnen- und Blutdruck
Insgesamt nahmen die Probanden der Grüntee-Gruppen eine Menge von 322 bzw. 323 mg EGCG pro Tag ein – und zwar über zwölf Wochen. Der visuelle Stress wurde durch das Spielen von Tetris an einem Tablet simuliert. Anschließend wurden eine Prüfung der Akkommodationsfähigkeit sowie eine Befragung zu Augenbeschwerden durchgeführt. Die Blutdruckmessung erfolgte als häusliche Selbstmessung morgens und abends.
Nach 12 Wochen zeigte sich in keiner der beiden Gruppen mit Grüntee-Extrakt eine Veränderung der Akkommodationsfähigkeit (Intention-to-Treat-Analyse). Dafür kam es aber zu einem signifikanten Anstieg des Augeninnendrucks. Besonders interessant waren die Effekte auf den Blutdruck: Während der Blutdruck bei den Probanden der Placebo-Gruppe und der Gruppe mit „Yabukita“-Extrakt unverändert blieb, kam es bei den Probanden mit „Sunrouge“-Extrakt zu einem signifikanten Blutdruckanstieg. Der mittlere systolische Blutdruck stieg von 126 auf 132 mmHg (morgens) bzw. von 123 auf 129 mmHg (abends), der mittlere diastolische Blutdruck stieg von 81 auf 85 mmHg (morgens) bzw. von 77 auf 82 mmHg (abends).
Grüntee-Extrakt zur Therapie von niedrigem Blutdruck?
Die Autoren der Studie sehen aber auch diesen Effekt positiv und schlagen vor, den Grüntee-Extrakt zur Therapie von niedrigem Blutdruck einzusetzen. In der Realität dürften es jedoch überwiegend Menschen mit normalem oder bereits erhöhtem Blutdruck sein, die Grüntee-Extrakte in der Hoffnung konsumieren, es würde sich positive auf ihre Gesundheit auswirken.
Die beiden verschiedenen Grüntee-Extrakte zeigten damit deutlich unterschiedliche Blutdruckwirkungen, obwohl ihr EGCG-Gehalt identisch war. Vermutlich ist es die unterschiedliche Zusammensetzung der weiteren, ebenfalls enthaltenen Komponenten (Anthocyanine, Catechine, Flavonole), die die Blutdruckwirksamkeit modifiziert. Es liegt auf der Hand, dass dieser schützende Effekt der Begleitstoffe nicht vorhanden ist, wenn hochkonzentrierte Supplemente mit isoliertem EGCG eingenommen werden.
Wechselwirkungen mit Arzneimitteln gibt’s gratis
Außerdem problematisch: Ähnlich wie bei dem Naturprodukt Grapefruitsaft bedeutet die Natürlichkeit von Lebensmitteln nicht, dass diese keine Wechselwirkungen mit Arzneimitteln verursachen können. Die in grünem Tee, und erst recht in den konzentrierten Extrakten, enthaltenen Catechine hemmen verschiedene zelluläre Arzneistofftransporter, beispielsweise Organo-Anionen-Transporter (OATP) oder P-Glykoprotein (Knop et al. 2015). Dass diese Art der Interaktion auch beim Menschen relevant ist, zeigen entsprechende Untersuchungen (Misaka et al. 2014).
Vermutlich sind von dieser Wechselwirkungen mit grünem Tee besonders Arzneistoffe betroffen, die Substrate des im Darm vorkommenden OATP1A2-Transporters sind, also zum Beispiel weit verbreitete Wirkstoffe wie Antibiotika, Statine, Betablocker, Methotrexat oder Krebsmittel wie Imatinib (Kalliokoski & Niemi 2009); hierzu fehlen bislang systematische Untersuchungen.
Auch der Effekt von antioxidativem Grüntee-Extrakt auf Chemo- und Strahlentherapie, die ja erst durch oxidativen Stress wirksam wird, ist nicht erforscht. Allerdings wird in diesem Kontext immer wieder eine Wirkungsabschwächung der Tumortherapie diskutiert (Athreya & Xavier 2017); dieser tumorzellenschützende Effekt von Antioxidanzien ist durchaus plausibel.
Fazit: Grüner Tee ja, EGCG-Supplemente besser nicht
Die hier diskutierte Studie besitzt aufgrund ihrer Methodik und der geringen Probandenzahl lediglich eine begrenzte Aussagekraft. Dennoch stellt sie ein wichtiges Risikosignal dar und liefert einen weiteren Grund, von der Einnahme hochdosierter EGCG-Supplemente abzuraten. Diese Nahrungsergänzungsmittel bergen nicht nur ein dosisabhängiges Risiko für potenziell tödliches Leberversagen, sondern möglicherweise erhöhen sie auch den Augeninnendruck und den Blutdruck.
Wer grünen Tee mag, kann ihn bedenkenlos trinken, Exzesse sollten wie immer vermieden werden. Es gibt zahlreiche plausible Hinweise auf gesundheitsfördernde Effekte, aber keine Hinweise auf eine Antitumorwirkung. Wer grünen Tee dagegen nicht mag, sollte keinen Ersatz in den potenziell gesundheitsgefährlichen EGCG-Supplementen suchen.
Und wenn doch jemand unbedingt (hoffentlich nur unwirksame) EGCG-Supplemente einnehmen möchte? Dann sollte man zumindest darauf achten, dass nicht die toxikologische Grenzdosis von 300 mg/Tag überschritten wird.