Viele Patienten wünschen sich bei Migräne eine nicht-medikamentöse Therapie als Alternative oder Ergänzung. Doch welche Verfahren helfen wirklich – und welche sind nur fauler Zauber? Mit diesen Fragen haben sich jetzt Neurologen befasst.
Diese Headlines machen Hoffnung: „Daith-Piercing: Ein Piercing gegen Schmerzen?“ oder „Bei Kopfschmerzen könnte ein Ohren-Piercing helfen“: Unzählige Online-Medien berichten momentan vom vermeintlichen Erfolg dieser Methode. Kein Wunder: Viele Patienten wünschen sich, ihre Beschwerden ohne Arzneimittel in den Griff zu bekommen.
Deshalb warnt die Deutsche Migräne- und Kopfschmerz-Gesellschaft (DMKG) vor Piercings im Bereich des Ohrknorpels: „Das Verfahren beruht auf keiner nachvollziehbaren pathophysiologischen Grundlage.“ Akteure hätten zwar eine klinische Studie angekündigt. „Bislang wurden jedoch keine Studien in einer Studiendatenbank registriert oder zu diesem Thema publiziert“, so die DMKG weiter. Auch gebe es keinerlei wissenschaftliche Beweise. Quelle: Facebook / Screenshot: DocCheck Bleibt als Risiko, dass Entzündungen im Bereich des Ohrknorpels auftreten. Doch es gibt auch gute Nachrichten: Andere nicht-medikamentöse Verfahren zur Schmerztherapie zeigen sehr wohl wünschenswerte Effekte.
Richard L. Nahin. Quelle: NIH/NCCIH Richard L. Nahin aus dem amerikanischen Bethesda hat untersucht, welche komplementärmedizinischen Ansätze sich zur Schmerztherapie eignen. Bei Migräne fand er einige randomisierte Studien. Demnach verringern Entspannungstechniken vor allem die Frequenz von Attacken. Akupunkturen zeigten auf verschiedenen Testskalen ebenfalls Effekte. Sie reduzierten die Stärke von Kopfschmerzen aber nicht. Nahin zufolge profitieren Patienten von der Massage myofaszialer Triggerpunkte. Die Häufigkeit von Schmerzattacken ging zurück. Einflüsse auf die Schmerzstärke oder die Dauer einer Attacke ließen sich aber nicht nachweisen.
Mit dem Wissen gelingt es Neurologen schon jetzt, Patienten zu behandeln. Dabei hilft ihnen die kürzlich veröffentlichte Leitlinie zu „Entspannungsverfahren und verhaltenstherapeutische Interventionen zur Behandlung der Migräne“. Im Dokument bewerten Autoren der DMKG die aktuelle Studienlage. Sie nahmen 118 Veröffentlichungen mit insgesamt 8.300 Patienten unter ihre Lupe. Ihr Fazit:
Bei Patienten mit häufigen, schweren Migräneattacken kann es sich lohnen, medikamentöse und nicht-medikamentöse Ansätze bei der Prophylaxe zu kombinieren. Laut der immer noch gültigen Leitlinie „Therapie der Migräne“ sollten Ärzte primär die Betablocker Metoprolol und Propranolol, den Kalziumantagonisten Flunarizin oder die Antikonvulsiva Topiramat und Valproinsäure verordnen. Als zweite Wahl nennt das Dokument den Betablocker Bisoprolol, das Trizyklikum Amitriptylin und die NSAR Naproxen beziehungsweise Acetylsalicylsäure. „Die Kombination von verhaltenstherapeutischer und pharmakologischer Behandlung ist sehr gut wirksam und bietet den großen Vorteil, Medikamentenübergebrauch vorzubeugen beziehungsweise zu reduzieren“, schreibt die DMKG als Kommentar.
Rami Burstein. Quelle: Beth Israel Deaconess Medical Center Damit ist das Ende der Fahnenstange längst noch nicht erreicht. Forscher um Rami Burstein, Boston, untersuchten Effekte unterschiedlicher Lichtfarben. Ihr Ansatz überrascht, weil viele Patienten während eines Schmerzschubs oft von Photophobien berichten. Das konnte Burstein im Experiment mit 41 Probanden erneut bestätigen. Allerdings zeigte grünes Licht niedriger Intensität – verglichen mit anderen Farben – wünschenswerte Effekte. Hier verringerte sich der Schweregrad von Kopfschmerzen um bis zu 20 Prozent. Für die Praxis ist Bursteins Idee noch zu teuer. Er schlägt jedoch vor, Sonnenbrillen mit Filterfolien einzusetzen, die Betroffene während eines Migräneschubs tragen. Bis zur Revision der Leitlinie liegen hoffentlich bessere Daten vor.