Als Ergänzung zur Schulmedizin habe ich die Alternativmedizin bisher als recht harmlos eingestuft. Gerade, wenn ein Patient eine schwerwiegende Erkrankung hat, ist es nachvollziehbar, dass er sich zusätzlich zur Chemotherapie vielleicht noch an etwas anderem festhalten will. Man möchte meinen, dass selbst wenn alternative Behandlungsmethoden keinen gesundheitlichen Nutzen haben, sie zumindest auch keinen großen Schaden anrichten können.
Die Ergebnisse einer kürzlich veröffentlichen restrospektiven Beobachtungsstudie lassen einen anderen Schluss zu: Krebskranke, die neben einer klassischen Behandlung auch alternativmedizinische Methoden nutzen, haben in den ersten fünf Jahren nach ihrer Diagnose ein viel höheres Risiko zu sterben, als Patienten die ausschließlich klassisch behandelt wurden.
Ayurveda, TCM, Homöopathie
Die US-Wissenschaftler wählten aus Daten von über 1,9 Millionen Krebspatienten eine bestimmte Gruppe aus: Diejenigen, die die Diagnose Brust-, Lungen-, Prostata- oder Darmkrebs erhalten hatten und zusätzlich zu mindestens einer klassischen Behandlung wie Chemotherapie oder Bestrahlung eine alternativmedizinische Methode genutzt hatten, die nicht ärztlich verordnet wurde. Das konnten Ayurveda-Anwendungen, homöopathische Arzneien, Vitaminkuren, traditionelle chinesische Medizin oder ähnliches sein. Außerdem wurden nur Patienten eingeschlossen, bei denen der Krebs noch behandelbar war.
Nach diesen Kriterien blieben 258 Patienten übrig. Ihnen stellten die Wissenschaftler eine Kontrollgruppe aus Patienten gegenüber, deren Fälle möglichst ähnlich waren. Diese waren ebenfalls am jeweiligen Krebs erkrankt, hatten das gleiche Geschlecht, ein vergleichbares Bildungsniveau, einen ähnlichen Versicherungsstatus und allgemeinen gesundheitlichen Zustand.
Das Ergebnis: In der Gruppe derjenigen, die alternativmediznische Behandlungen nutzten, waren fünf Jahre nach ihrer Diagnose 17,8 % der Krebspatienten gestorben. In der Kontrollgruppe starben im gleichen Zeitraum 13,4 %.
Der Spiegel schreibt zu den Gründen:
„Wer Alternativmedizin nutzte, lehnte viel häufiger eine weitere medizinische Therapie ab, verzichtete also auf von Ärzten empfohlene Maßnahmen. Wenn die Hinwendung zur Alternativmedizin also zum Ablehnen wirksamer Medizin führt, wird es gefährlich.“
Aprikosenkerne und selbst injiziertes Backpulver
Ich habe in der Apotheke ähnliche Erfahrungen gemacht. Wer auf alternative Medizin setzt – und sei es auch nur in Teilbereichen und im Rahmen einer klassischen Behandlung – ist einer nachfolgenden Chemotherapie oder Bestrahlung gegenüber oft negativ eingestellt. Ist somit die alternative Zusatztherapie schon im Ansatz schädlich und abzulehnen?
Es gibt viel Unsinn auf dem Gebiet der alternativen Krebstherapie. Vitamin B17 aus Aprikosenkernen, die dann zur Blausäurevergiftung führen. Thrombosen durch selbst injiziertes Backpulver. Ein verbrannter Darm durch einen zu heißen Kaffee- Einlauf. Alles schon gehört. Und das nicht nur von Menschen, denen man den gesunden Menschenverstand absprechen möchte.
Warum sind wir so anfällig für Hokuspokus?
Doch warum fallen selbst junge und gebildete Menschen immer wieder auf solchen Humbug herein? Kürzlich gab es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen einen Bericht über Fake Science. Immer häufiger kommen gefälschte Studien in den Umlauf, die den Anschein von Wissenschaftlichkeit erwecken. Laien können den Unterschied zwischen seriöser Studie und Fake Science oft nicht erkennen. Fake-Science-Studien werden angeblich mittels Peer Reviewsgeprüft und als belastbar verkauft.
Ein Beispiel für einen solchen Fall ist das Nahrungsergänzungsmittel GCMaf. Vier Studien veröffentlichte der Krebsimmunologe Yamamoto aus den USA dazu, drei mussten später zurückgezogen werden. Tragisch ist, dass bis dahin viele gutgläubige Opfer auf diesen pseudowissenschaftlichen Schwachsinn hereinfielen.
Ziel: Verzweifelte Laien
Zur zusätzlichen Verwirrung tragen Fachkonferenzen von unseriösen Wissenschaftsverlagen bei. Sie dienen nicht dazu, Fachleute zu überzeugen, sondern zielen auf Laien ab, die auf der Suche nach Heilung daran glauben wollen. Die Moderatorin Mirjam Pielhau ist hierzulande das prominenteste Opfer einer solchen Fehlleitung.
Warum nutzen gut 50 % aller an Krebs erkrankten Personen Komplementärmedizin überhaupt? Es sind ja auch durchaus Menschen dabei, die zunächst die Schulmedizin präferierten.
Ich denke, es ist nicht immer nur der letzte Strohhalm, nach dem man erst dann greift, wenn man glaubt, dass nichts mehr helfen kann. Es ist schlicht und einfach verlockend, wenn dir jemand erzählt, dass deine potenziell lebensbedrohliche Erkrankung nicht nur heilbar ist, sondern, dass du selbst etwas dazu beitragen kannst, gesund zu werden. Also nicht nur bestrahlt werden oder die Chemo bekommen, sondern selbst zu fasten, um Einfluss auf dein Immunsystem zu nehmen. Selbst etwas dafür tun zu können, um die Krankheit aus eigener Kraft von innen zu zerstören. Sich eigenständig irgendwelche dubiosen Einläufe verabreichen oder nach minutiösem Plan täglich genau 73 Aprikosenkerne essen. Das kann eine unglaubliche Energie freisetzen. Patienten fühlen sich auf diese Weise nicht mehr so entmündigt, wie vielleicht während der Standardtherapie in der Klinik.
Eine Chance für Ärzte
Doch genau hier liegt eine Chance, die die Ärzte ergreifen sollten. Holen Sie die Patienten ins Boot. Lassen Sie sie mithelfen und an ihrer Therapie aktiv teilhaben. Informieren Sie Krebspatienten, über seriöse Kurse zur Enährung während einer Krebsbehandlung. Halten Sie einen Plan für Sport speziell für krebskranke Patientengruppen bereit. Legen Sie den Plan für Selbsthilfegruppen nicht nur ins Wartezimmer, sondern drücken Sie den Patienten die Flyer in die Hand. Markieren Sie die passende Gruppe, ermutigen Sie. Wenn sich die Patienten wahrgenommen und wertgeschätzt fühlen – was suchen sie dann noch bei einem Scharlatan?