Ärzte streiten kontrovers, ob die vom Marburger Bund ins Gespräch gebrachten „Teil-AUs“ sinnvoll sind. Während die einen in der Teilkrankschreibung eine Entlastung für Patienten sehen, warnen die anderen vor Problemen bei der Umsetzung.
Seit Menschengedenken gibt es in Deutschlands Praxen die „gelben Zettel“. Ärzte können Patienten krankschreiben – oder eben nicht. Der Marburger Bund will ein Zwischending einführen, die Teilkrankschreibung. Und zwar erst einmal für psychische Erkrankungen, aber mit Potenzial für weiterer Leiden aus dem orthopädischen Bereich.
Im Beitrag „Ein halbes Kilo AU, bitte!“ kommentierten User das Thema kontrovers. Welche Vorteile sehen Ärzte in der Regelung und in welchen Punkten stehen sie der Teil-AU kritisch gegenüber?
Pro: Leichter zurück in den Job
Befürworter erwähnen positive Erfahrungen: In anderen Ländern gibt es Teilkrankschreibungen, und das Modell funktioniert. „Wenn Sie teilweise arbeitsunfähig sind, muss das Arztzeugnis Auskunft darüber geben, wie viele Stunden Sie arbeiten dürfen“, schreibt die Schweizerische Eidgenossenschaft.
Eine Ärztin kommentiert: „Ich kenne das Modell aus Skandinavien und fand, dass es sehr gut funktionierte.“ Nach ihrer Wahrnehmung seien Teilkrankschreibungen auch nicht über Gebühr ausgenutzt worden. „Es gibt einfach Zeiten, in denen man nicht völlig AU ist, aber auch nicht vollzeitig leistungsfähig.“ Und nicht zuletzt lasse sich so die „Rentenkarriere“ mancher Menschen verhindern.
„In meiner 9-jährigen Erfahrung als Psychiater bei einer Schweizer Sozialversicherungsanstalt kann ich nur sagen, dass Bescheinigungen einer AU 100 % über Wochen und Monate hinweg die Wiedereingliederung massiv erschwert“, bestätigt ein Kollege. Er hält es für realistisch, Depressionen als leicht, mittelgradig oder schwer einzustufen und über diesen Weg Teilkrankschreibungen auszustellen.
Außerdem könnten Teil-AUs den Übergang zwischen Krankschreibung und Beruf erleichtern. „Selbst bei einer Krankheit, die einen 200 % AU macht, gibt es doch mal eine Übergangsphase, in der man schon ‚ein bisschen‘ machen und leisten kann“, schreibt eine Heilpraktiker-Anwärterin. „Selbst bei einer 5-tägigen Grippe oder einem Gicht-Anfall.“
Contra: Teil-AU praktisch kaum umsetzbar
Kritik kommt vor allem bei Fragen zur Umsetzbarkeit. Der Marburger Bund als Initiator der Debatte vertritt vor allem Ärzte in der Klink bzw. im öffentlichen Dienst. „Diese wissen oft nicht einmal, wie eine Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung aussieht oder ausgefüllt werden muss“, so ein niedergelassen tätiger Kollege. „Dass insbesondere für psychische und psychosomatische Erkrankungen eine spezielle Teilkrankschreibung hervorgeholt wird, belegt eine besondere Geringschätzung bio-psycho-sozial bedingter Störungen. Die könnten doch wenigstens teilweise arbeiten gehen”.
Außerdem haben Kleinunternehmen weder einen Betriebsarzt noch einen Betriebsrat oder eine Schwerbehindertenvertretung. Wie soll es gelingen, dass Niedergelassene in Erfahrung bringen, welche Tätigkeiten ein Patient verrichten kann, und welche vielleicht nicht. Auch bei Diagnosen wird die Sache heikel. Bislang geht es Chefs nichts an, warum man dem Job fernbleiben muss, das Feld wird im Durchschlag für Arbeitgeber nicht angezeigt. Sobald wir über Teil-AUs sprechen, ist dieser Schutz personenbezogener Daten aber hinfällig.
Und vielleicht werden Teilleistungen im Beruf auch nicht immer akzeptiert, wie eine Ärztin weiß: „Die Kollegen haben mich bei Arbeitseintritt mit reduzierter Belastungsintensität und -dauer gemobbt und gefordert, ich soll erst wieder arbeiten, wenn ich volle Arbeit wie alle anderen verrichten könne.“ Sie ergänzt: „Es kam sogar der „schlaue“ Vorschlag aus der Personalabteilung, ich solle mich doch 3 Monate in Ruhe erholen und dann wiederkommen […].“
Gute Idee mit Nebenwirkungen
Bleibt als Fazit: Viele – wenn auch nicht alle – Ärzte sehen in Teilkrankschreibungen Chancen, das Spektrum an Möglichkeiten zu erweitern. Dazu werden Zurufe von der Seitenlinie kaum ausreichen. Vielmehr müssen sozialrechtliche Voraussetzungen geschaffen werden, um nicht genau das Gegenteil zu erreichen. In so manchem Fall bedeutet Krankheit, gar nicht arbeiten zu können. Sprechen wir über Teil-AUs, brauchen wir nicht nur betriebsärztliche Expertise vor Ort, und zwar in allen Betrieben. Patienten sollten auch in Entscheidungen eingebunden werden.