Ultraschall, ja oder nein? Wie viel Gewebe entfernen? Wie viele Wochen bestrahlen? Wenn es um die Diagnostik und Therapie von Brustkrebs geht, sind sich Onkologen nicht immer einig. Letztes Jahr wurde die S3-Leitlinie aktualisiert. Sind nun alle Unklarheiten beseitigt?
Mammakarzinome stehen im Mittelpunkt vieler Kontroversen, was auch an der enormen Bedeutung liegen mag: Bei Frauen ist Brustkrebs mit knapp 70.000 Neuerkrankungen pro Jahr die häufigste Krebserkrankung. Zuletzt diskutierten die Deutsche Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM) und der IGeL-Monitor vom Medizinischen Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen über Ultraschall-Screenings.
Viel Rauch um den Schall Laut DEGUM könnten Gynäkologen mit ergänzender Ultraschalldiagnostik bis zu 45 Prozent mehr invasive Karzinome diagnostizieren. „Der hohe Mehrwert der Sonografie zur Krebsfrüherkennung ist viel zu wenig bekannt“, erklärt Professor Dr. Joachim Hackelöer, der unter anderem Professuren für Gynäkologie und Geburtshilfe an Universitäten in Hamburg und Marburg innehatte. Im Unterschied dazu stufen MDS-Experten den Mehrwert bei Frauen ab 40 ohne erhöhtes Risiko als „unklar“ ein. „Wissenschaftler des IGeL-Monitors wollten wissen, ob der Ultraschall Frauen tatsächlich davor bewahren kann, an Brustkrebs zu sterben. Leider fanden sie keine Studien, die diese Frage untersucht haben“, so die Erklärung. „Man weiß also nicht, ob die Ultraschall-Untersuchung einen Nutzen für die Frauen hat,“ lautet das Fazit.
Welche Empfehlungen finden sich angesichts einer solchen medizinischen Kontroverse in der entsprechenden Leitlinie? Zur Sonographie-Frage heißt es in der neuen S3-Leitlinie auf S. 50 beispielsweise: „Im Rahmen der komplementären ergänzenden Diagnostik kann der Einsatz der Sonographie zu einer Sensitivitätserhöhung führen, insbesondere bei Frauen mit erhöhtem Brustkrebsrisiko, < 50 Jahre und bei dichtem Drüsengewebe […]. Allerdings zeigen alle bisherigen systematischen Reviews und Meta-Analysen eine erhöhte falsch-positiv Rate, damit vermehrte Kontrolluntersuchungen und eine sehr deutliche Erhöhung der Biopsierate […].“ Nicht nur verunsichern falsch positive Befunde die Patientinnen. Sie können auch invasive Eingriffe wie Biopsien nach sich ziehen, die mit einem gewissen Risiko einhergehen. Keine Änderungen gibt es hingegen beim Mammographie-Screening, obwohl das Verfahren oft kritisiert wird. „Es gibt immer kontroverse Themen und es ist der Sinn und Zweck einer Leitlinie, Nutzen und Schaden abzuwägen“, so Achim Wöckel. Er ist Direktor der Universitätsfrauenklinik Würzburg und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), die federführend bei der Entwicklung der neuen Leitlinie war. „Man beruft sich bei der Entscheidungsfindung auf die Evidenz und die Datenbasis.“ Erhöhte mammographische Dichte ist nach Bewertung der Autoren als ein „unabhängiger, moderater Risikofaktor für das Auftreten von Brustkrebs“ anzusehen. Allerdings sei der Wert ergänzender Verfahren – von Hochrisiko-Patientinnen abgesehen – eher begrenzt. Als Ergänzung sehen sie die Sonographie, wobei eine Verringerung der Mortalität nicht belegt sei. Die Tomosynthese (also die 3D-Mammographie) kann die Sensitivität erhöhen. Hier fordern Experten jedoch eine Erprobung in qualitätsgesicherten Programmen. Haben Frauen ein erhöhtes familiäres Risiko, plädieren Gynäkologen in der Leitlinie stark für eine partizipative Entscheidungsfindung über den weiteren Weg. Frauen sollten beispielsweise über die Vorteile und Nachteile präventiver Mastektomien eingehend beraten werden. Und bei BRCA-assoziierten Mammakarzinomen gibt es Hinweise darauf, dass eine platinhaltige Chemotherapie im Vergleich zu einer Standard-Chemotherapie bessere Ergebnisse bringt.
Eine wichtige Änderung gegenüber der früheren Leitlinie betrifft das sogenannte Staging. Mit dieser Methode bestimmen die Ärzte das Ausmaß einer Tumorerkrankung anhand der Größe, der Lage und der Metastasierung. Bei Patientinnen mit hohem Rückfall- bzw. Metastasierungsrisiko empfehlen die Autoren nun explizit, Thorax und Abdomen per CT zu untersuchen. Sie nennen Lunge, Leber und Skelett als relevante Bereiche. Ein Ganzkörperstaging empfehlen sie unter anderem bei einem höheren Metastasierungsrisiko, beim Vorliegen bestimmter Tumormarker, (Her2+, triple-negativ) und bei einer geplanten systemischen Chemo- bzw. Antikörpertherapie. Sie raten, ein CT oder eine Skelettszintigraphie durchzuführen.
Je nach Ergebnis des Stagings und der genauen Klassifikation des Tumors wird mit einem Team von Ärzten geplant, wie weiter vorgegangen wird. Nach wie vor ist eine Operation meist unentbehrlich, begleitend wird bestrahlt. Dazu kommen sogenannte systemische Behandlungen wie Chemotherapien, zielgerichete Therapien gegen mögliche verstreute Tumorzellen oder Metastasen sowie Antihormontherapien. Der Gynäkologe Achim Wöckel war beteiligt an der Ausarbeitung der neuen Leitlinie. Im operativen Bereich empfiehlt die neue Leitline zum Beispiel eine sinkende Radikalität bei der operativen Therapie. In der Praxis heißt das: Wenn eine Operation nötig ist, wird versucht, weniger Gewebe als bisher zu entfernen. Das bedeutet für das operative Verfahren, dass bei invasiven Karzinomen kein Sicherheitssaum von mehreren Millimetern mehr benötigt wird. „Wir wissen heute, dass solch ein Sicherheitssaum nur geringgradig mit einem geringeren Rezidivrisiko assoziiert ist“, erklärt Wöckel. Der Vorteil großer Sicherheitsabstände sei für das Gesamtüberleben nicht nachweisbar, deshalb reiche es aus, den Tumor ohne viel weiteres gesundes Gewebe zu resezieren, so der Gynäkologe. „Wir wissen inzwischen auch, dass Radikalität bei Lymphknoten nicht in jedem Fall angebracht ist. Es gibt immer weniger Indikationen für eine vollständige Entfernung.“ Zwar seien noch weitere Daten nötig, um zu klären, welche Patientinnen doch von der Entfernung aller Lymphknoten profitierten, so Wöckel, „aber der Weg ist ganz klar weg von der Radikalität.“ Wöckel und Kollegen raten Pathologen, im Tumor nicht nur den Östrogen- und Progesteronrezeptorstatus bzw. den HER2-Status zu bestimmen. Vielmehr sollte KI-67 als Marker für das Maß der Zellteilung und Ausbreitung (Proliferation) gemessen werden. Er kann damit als prognostischer Faktor herangezogen werden.
Auch bei unterstützenden Bestrahlungen verfolgt die Leitlinie zunehmend sanftere Strategien. So kann bei älteren Patientinnen mit einer Lebenserwartung unter zehn Jahren, risikolosem Brustkrebs und hormonrezeptorpositiven HER2-negativen Tumor mit endokriner adjuvanter Therapie auf radioonkologische Maßnahmen verzichtet werden. Bei vielen Patientinnen ist eine Hypofraktionierung möglich. Früher wurde die Gesamtstrahlendosis von 50 Gy über fünf bis sechs Wochen verabreicht. Das bedeutete 25 bis 28 Einzeltermine (Fraktionen) für Patienten. Bei der Hypofraktionierung arbeiten Onkologen mit etwas höheren Einzeldosen bei 15 bis 16 Bestrahlungen. Ein Behandlungszyklus dauert nur noch drei Wochen. Die Gesamtdosis ist mit 40 Gy etwas geringer als bei der konventionellen Bestrahlung. Die Hypofraktionierung ist bei ähnlichen Ergebnissen geringer belastend und führt zu weniger akuten Nebenwirkungen.
Besonders wichtig ist die anschließende medikamentöse Therapie. Manche Patientinnen brechen die Antihormontherapie nach einigen Monaten ab. Sie fühlen sich häufig gesund, zudem haben die Medikamente Nebenwirkungen wie artifizielle Wechseljahresbeschwerden. Probleme in Gelenken sowie eine gewisse Morgensteifigkeit kommen außerdem hinzu. Die Lebensqualität spielt eine große Rolle, deswegen werden diese Arzneimittel in der Routine des Alltags schnell abgesetzt. Die Folge ist ein erhöhtes Rückfallrisiko der Erkrankung. Deswegen gibt es in der Leitlinie Empfehlungen dazu, welche endokrinen Therapien bei den Patientinnen durchgeführt werden sollten. Die antiöstrogene Therapie mit Tamoxifen soll je nach Rezidivrisikos über fünf bis zehn Jahre hinweg erfolgen.
Damit gaben sich Wöckel und Kollegen aber nicht zufrieden. Sie suchten auch nach Lebensstilfaktoren, von denen Patientinnen profitieren. Patientinnen sollen ermutigt werden, sich zu bewegen und – falls erforderlich – ihr Körpergewicht zu normalisieren. Als Zieleinheit nennt die Leitlinie 150 Minuten moderate oder 75 Minuten anstrengende körperliche Aktivität pro Woche. Speziell bei Chemo- und Hormontherapien werden Krafttrainingsprogramme empfohlen. Kommt es aufgrund der onkologischen Behandlung zu Polyneuropathien, bieten sich Balanceübungen oder Koordinations-, Vibrations- bzw. Feinmotorig-Trainings an.