Der Skandal um gestohlene Krebsmedikamente aus Griechenland schlägt große Wellen. Die Vorwürfe gegen die Gesundheitsbehörden sind enorm. Inzwischen ist die verantwortliche Ministerin zurückgetreten. Damit geben sich Apotheker aber nicht zufrieden.
Arzneimittel aus öffentlichen Apotheken sind sicher. Dieser fromme Wunsch vieler Pharmazeuten gerät durch einen Skandal ins Wanken. Vor mehr als sechs Wochen erschütterten Schlagzeilen über gestohlene Zytostatika die pharmazeutische Welt, DocCheck berichtete. Ursprünglich für Deutschland bestimmte kühlpflichtige Präparate wurden in einer griechischen Klinik gestohlen. Über Umwege landeten die Präparate beim Großhändler Lunapharm und schließlich in öffentlichen Apotheken. RBB schätzt das Volumen auf rund 20 Millionen Euro.
Wie viele Patienten insgesamt betroffen sind und ob es tatsächlich zu gesundheitlichen Schäden gekommen ist, kann derzeit niemand sagen. Klar ist jedoch: Brandenburgs Aufsichtsbehörden sind ihrer Arbeit nicht rechtzeitig nachgekommen. Allein in Berlin sollen laut Behörden 220 Patienten aus drei Apotheken mit den möglicherweise unwirksamen Medikamenten versorgt worden sein.
Der Fluch der Task Force
Diana Golze von der Linken, damals noch Gesundheitsministerin in Brandenburg, tat, was man eben in Notlagen so unternimmt: Sie trommelte eine siebenköpfige Untersuchungskommission zusammen. Deren Abschlussgutachten, das unter anderem der „Welt“ vorliegt, brachte Golze zu Fall. „Spätestens am 7. März 2017“, so schreibt die einberufene Expertenkommission, „hätten umfassende Maßnahmen des Landesamts für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit/des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie in Bezug auf den pharmazeutischen Unternehmer Lunapharm und in Bezug auf die betroffenen Arzneimittel getroffen werden müssen.” Dabei habe es weitaus früher Hinweise gegeben, etwa aufgrund einer fehlenden Versandhandelslizenz der griechischen Partnerapotheke.
Die Task Force kritisiert, es sei viel wertvolle Zeit bis zur Einleitung wichtiger Maßnahmen wie der Information weiterer Behörden, der Beschlagnahmung von Arzneimitteln und der Warnung von Patienten vergangen.
Weiter heißt es: „Die Durchsicht, v. a. des exorbitant umfangreichen – in weiten Teilen redundanten und wenig zielführenden – E-Mail-Verkehrs führt zu der Schlussfolgerung, dass es bei den zuständigen Verantwortlichen nicht nur an einem Mangel an Detailkenntnissen, Erfahrungen in der Einschätzung und zum Umgang mit Risiken sowie der hinreichend frühen und genauen Information der Vorgesetzten fehlte, sondern insbesondere an der Verinnerlichung des obersten Gebot der Risikoabwehr und damit des Patientenschutzes.”
Rücktritt über Facebook
Aufgrund der Anschuldigungen trat Golze schließlich von ihrem Ministerposten zurück. Sie erklärt bei Facebook ausführlich ihre Beweggründe: „Ich komme auf dieser Grundlage zu der Einschätzung, dass es sich nicht nur um Fehler einzelner Mitarbeiter des LAVG und des Ministeriums handelte“, schreibt die Linkspolitikerin. „Es gab darüber hinaus strukturelle und organisatorische Mängel, für die letzten Endes die Ministerin die politische Verantwortung zu tragen hat.“ Jetzt haben wir unser Bauernopfer, hurra! Damit geben sich Apotheker nicht zufrieden.
Sparen um jeden Preis
In einer Pressemeldung sagt Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes (DAV): „Die Importquote ist ein mittlerweile überholtes Kostendämpfungsinstrument, das in Zeiten der Arzneimittel-Rabattverträge kaum noch Einsparungen erzielt.“ Laut Zahlen des Deutschen Arzneiprüfungsinstituts (DAPI) summierten sich die Einsparungen im Jahr 2017 auf 120 Mio. Euro. Zum Vergleich: Durch Rabattverträge waren es genau 4,0 Milliarden Euro.
Becker ergänzt: „Die Erfüllung der Importquote verursacht nicht nur erheblichen bürokratischen Aufwand in der Apotheke, sondern gefährdet vor allem die Arzneimittelsicherheit für die Patienten.“ Deshalb fordert der DAV, die verpflichtenden Importquote für rezeptpflichtige Arzneimittel aus dem Ausland zu streichen.
Reimporteure in Aufruhr
Solche Forderung hört der Verband der Arzneimittelimporteure Deutschlands (VAD) nicht gerne. Er sieht keinen Handlungsbedarf bei Reimportquoten. Aus VAD-Sicht gebe es „grundsätzlich kein erhöhtes Fälschungsrisiko beim Handel von Arzneimitteln über die zugelassenen pharmazeutischen Großhändler in den Ländern der Europäischen Union“.
Zum Beweis führen sie Verdachtsberichte der Arzneimittelkommission der Akotheker (AMK) an. Hier lag der Anteil an möglichen Fälschungen, bezogen auf alle Meldungen, bei 0,2 bis 0,9 Prozent. Gleichzeitig kritisieren sie Prof. Dr. Martin Schulz als Mitglied der Task Force, der AMK und der ABDA/des DAV. Schulz soll den Skandal in Brandenburg auf Basis von Fakten beleuchten. Die ABDA ist jedoch generell gegen Reimporte – und im Abschlussgutachten „finden sich (...) fast wortgleich die Ausführungen der ABDA/DAV wieder“, schreibt der VAD. Vermischen sich hier die Rollen als Aufklärer und als Standesvertreter?
Mal sehen, ob sich Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) beim nächsten Apothekertag zum Skandal äußern wird. Seinen Besuch hat er jedenfalls angekündigt.