Bayer kündigt Lieferengpässe für Aspirin Complex in diesem Winter an. Eine „Korrektur- und Modernisierungsmaßnahme“ sei dafür verantwortlich, heißt es offiziell. Schön gesagt. Aber glauben die wirklich, wir in der Apotheke kaufen das ab? Und wie erkläre ich das den aufgebrachten Kunden?
Jetzt ist es wieder einmal so weit: Ein Allerwelts-Medikament hat einen Lieferengpass. Dieses Mal sogar mit vorheriger Ankündigung. Aspirin Complex wird in diesem Winter knapp. Es ist sicherlich unangenehm für alle Beteiligten. Genauso unangenehm wie in den letzten Wochen, als Aspirin protect 100mg nicht lieferbar war. Aber den Kunden ärgert das üblicherweise nur ein paar Minuten lang. Dann kauft er die magenschützenden Blutverdünner eben von der Firma AbZ oder Hexal. Ähnlich laufen wird das auch, wenn im Herbst die Complex-Tütchen ausfallen: Die Konkurrenz steht bereit und ist lieferfähig. Doch Aspirin i.v. ist ebenfalls ausgefallen – was stimmt denn da nicht in Bitterfeld?
Zweifelhafte Erklärungen
Der Vertriebsleiter Thorsten Kujath erklärte der Presse, „fortlaufender Korrektur- und Modernisierungsmaßnahmen am Produktionsstandort Bitterfeld“ würden zu vorübergehenden Produktionsengpässen bei der Fertigung von Aspirin Complex führen. Das hat er sehr schön gesagt. Aber glauben wir das tatsächlich? Glauben wir, dass Bayer quasi geplant ihre beste Erkältungskuh opfert und der Konkurrenz das Feld überlässt? Es bleiben immerhin Zweifel, denn in unserer globalisierten Wirkstoffwelt steckt der Teufel oft im Detail. Eine überschwemmte Straße in Bangladesch führt vielleicht dazu, dass wir in Deutschland monatelang auf ein lebenswichtiges Medikament warten müssen. Im Fall „Januvia“ werden den Apotheken gleich mehrere Gründe geliefert, die sie dem Kunden erzählen können. Man kann sich wahlweise eine Graumarkt- Pharmamafia (Variante A) oder einen globalen Hackerangriff auf die Herstellerfirma MSD (Variante B) heraussuchen. Am Besten nimmt man das, was einem je nach Tagesform besser in den Kram passt. Bei Variante A haben entweder Apotheken oder der pharmazeutische Großhandel Ware für den deutschen Markt verbotenerweise ins Ausland geschafft hat, um Provisionen einzustreichen. Daher wurde die Abgabe stark kontingentiert und Januvia ist nur noch direkt und einzeln bei MSD zu beziehen. Das werden die Kunden uns aber nicht abnehmen, weil in Deutschland ja angeblich so hohe „Apothekerpreise“ verlangt werden. Dass wir im europaweiten Vergleich ziemlich weit unten rangieren, ist so unglaublich, dass wir lieber die Erklärvariante B aus dem Hut ziehen: die Digitalisierung ist schuld.
Im letzten Jahr gab es einen Hackerangriff auf die Firma MSD, der die weltweite Januvia-Produktion bis zum heutigen Tag negativ beeinflusst hat. Dann sind alle bestürzt, niemand greifbares ist schuldig und der Kunde wird zur Not vom Arzt auf ein anderes Medikament umgestellt.
Valsartan: Noch mitten in der Krise
Wie schnell Lieferengpässe zustande kommen, konnten wir in den ersten Jahren der Rabattarzneimittel beobachten. Die Krankenkassen warfen einen Wirkstoff auf die Auktionsbühne und baten die Hersteller um Gebote. Der, der das niedrigste aussprach, hatte gewonnen. Und durfte dann alle Versicherten der Krankenkasse ausschließlich mit seinen Produkten beglücken. Dumm nur, wenn es dann ein Kleinhersteller war, der über Nacht statt 500 Blister am Tag plötzlich 20 000 herstellen sollte. Diese Rabattarzneimittel waren dann nach genau vierzehn Tagen nicht mehr lieferbar.
Bei Valsartan stecken wir zur Zeit noch mitten in der Krise. Nach der Verunreinigung des Wirkstoffes aus China wurden alle Präparate – bis auf Produkte von drei Firmen – zurückgerufen. Die Kunden wurden nun auf diese Firmen umgestellt. Ein Lieferengpass war da vorhersehbar. Viele Apotheker dachten sich, sie sind schlau und bestellen gleich einen kompletten Jahresbedarf bei ihrem Großhandel. Ob das nun (un)sozial, (un)gerecht, (un)kollegial oder nur wirtschaftlich klug war, ist Ansichtssache. Jetzt sind natürlich keine Valsartane mehr auf dem Markt. Und so mancher Kunde schaut in die Röhre. Eine der drei bisher als sauber geltenden Firmen hat am 15. August doch noch einen Rückruf veranlassen müssen. Das ist wieder peinlich – ganz besonders für die Apotheker, die ihren Kunden erzählt hatten, dass „Aurobindo“ nur sichere Ware produziert hat. Auch Wespen-Allergiker sind zur Zeit von Engpässen betroffen. Es sind so viele Wespen unterwegs wie selten, aber die Injektoren (z.B. Fastjekt) und das Antiallergikum Celestamine, die man für den Fall der Fälle im Notfall-Set haben sollte, sind nicht lieferbar. Apropos Stechen. Gibt es eigentlich noch irgendwo den Tollwut-Impfstoff? Oder IPV- Spritzen? Tetanus? Typhus? Man könnte heulen bei unserer Mangelverwaltung.
Wem kann ich Glauben schenken?
All das könnte mich nun aufregen. Aber was mich tatsächlich in diesem Zusammenhang unglaublich ärgert, ist die Tatsache, dass ich nicht weiß, wem ich Glauben schenken soll. Was soll ich dem Kunden sagen? Wenn zeitweise sogar Ibuprofen nicht zu bekommen ist, weil die BASF einen Standort in Texas stilllegen musste? Was sage ich da? Die Pharmafirmen produzieren offenbar alle derart billig und schlecht, dass so etwas nun häufiger vorkommen wird. Maximaler Profit bei minimaler Qualität zugunsten des Shareholder Values. Und wir dürfen die Folgen dann beim Endkunden schönreden und die Wogen glätten.