Wer bei Knochen nur an das Stützskelett für den Körper denkt, liegt falsch. Mit einer Injektion des Hormons Osteocalcin aus dem Skelettgewebe gelang es Forschern, Mäuse zu „verjüngen“. Eine weitere Studie zeigte, dass Osteocalcin für den Erhalt der Muskelmasse im Alter sorgt.
Spezialisten von der WADA (World Anti-Doping Agency) und weiteren Dopinglabors haben ganz bestimmt schon ein Auge auf diese Substanz geworfen, auch wenn sie bisher noch nicht auf dem Markt aufgetaucht ist: Osteocalcin. Ein Hormon aus dem Skelettgewebe, mit dem sich die Leistung steigern lässt? Entsprechend einer Veröffentlichung in der Fachzeitschrift „Cell Metabolism“ bringt das Protein aus dem Knochen müde und alte Muskeln wieder dorthin, wo sie in ihrer Jugend einmal waren.
Knochen besitzen im menschlichen Körper als einziges Organ einen spezialisierten Zelltyp, der nur für den Gewebeabbau zuständig ist. Osteoklasten erledigen zusammen mit den entsprechenden aufbauenden Akteuren, den Osteoblasten, den ständigen Umbau beim Wachstum in der ersten Lebensphase des Menschen ebenso wie nach Verletzungen. Dazu ist aber eine gehörige Portion Energie notwendig, die bei Bedarf angefordert werden muss. Ziemlich spät, aber nicht wirklich überraschend entdeckten Forscher ein Protein, das dafür sorgt, dass Zucker und Fettsäuren zum Treibstoff für die aktiven Zellen im Knochen werden. Osteocalcin bekommt im Laufe seiner Reifung mehrere Carboxylgruppen angehängt und hat damit eine starke Affinität für Mineralionen, insbesondere Kalzium. Ein kleiner Teil des produzierten Osteocalcin wandert jedoch als uncarboxylierte Form in den Kreislauf und übernimmt dort Funktionen als Hormon. Schon vor einigen Jahren zeigten Forscher, vor allem das Team um Gerard Karsenty, von der New Yorker Columbia University, dass Osteocalcin den Blutzuckerspiegel senkt und die Fettspeicherung hemmt. Bei seinen Versuchen mit Mäusen, die Osteocalcin überexprimierten und große Mengen an uncarboxyliertem Protein im Blut aufwiesen, beobachteten die Wissenschaftler den Tod vieler Mäusebabys während der Stillzeit. Sie hatten extrem niedrige Blutzucker- und hohe Insulinwerte.
Bei den aktuellen Versuchen stießen Karsenty und seine Kollegen jedoch auf eine bisher nicht bekannte Brücke zwischen den benachbarten Geweben von Knochen und Muskel. „Niemals zuvor konnte jemand zeigen,“ so Karsenty, „dass der Knochen den Muskel in irgendeiner Weise beeinflusst.“ Während Insulin die Aufnahme von Glukose in die Muskelzelle fördert, kann das Pankreashormon nicht für den Abbau und damit die ATP-Gewinnung sorgen. Während sportlicher Betätigung sinkt zudem der Insulinspiegel. Osteocalcin dagegen steigt während körperlicher Arbeit stark an, besonders in jungen Mäusen. Dagegen geht sowohl die Muskelmasse als auch die Leistung bei älteren Mäusen genau wie beim Menschen zurück. Das wiederum spiegelt sich auch bei den Osteocalcin-Gehalt im Blut wieder, der bei Mäusesenioren nur sehr mässig bei Anstrengung ansteigt. Bei drei Monate alten Mäusen ist der Peak beim 40-minütigen Dauerlauf im Rad etwa vier mal so hoch wie bei zwölf Monate alten Artgenossen. Jüngere Mäuse schaffen dabei rund 1,2 Kilometer am Stück, während die älteren nach etwa der Hälfte der Strecke schlapp machen. Mäuse mit einem Defekt im Osteocalcin-Rezeptor schafften rund ein Viertel weniger an Strecke als jene mit unverändertem Genom. Mit zunehmendem Alter sinkt auch der Spiegel dieses Knochenhormons bei Rhesusaffen und Menschen immer weiter ab. Bei Frauen beginnt dieser Prozess im Alter von 30, bei Männern erst 15 bis 20 Jahre später. Das erstaunlichste für die Mäuseforscher aus New York aber war die Möglichkeit, alte Tiere mit Osteocalcin wieder zu „verjüngen“. Mit einer einzigen Injektion von uncarboxyliertem Osteocalcin schafften auch einjährige Nager wieder die 1200m-Strecke, ohne vorher zu ermüden.
Um die molekularen Prozesse hinter der Wirkung von Osteocalcin auf die Energieerzeugung im Muskel aufzuklären, bestimmten die Wissenschaftler die Spiegel von Glukose, Glykogen und Acylcarnitinen als Marker für den Fettsäurekatabolismus. Aber Osteocalcin kann scheinbar noch mehr. Es reguliert seine eigene Synthese über IL-6. Dieses Myokin regt wiederum den Knochen an, mehr Osteocalcin zu produzieren. (siehe Grafik) Ausserdem sorgt IL-6 in der Leber für Glukosenachschub und bei Adipozyten für Fettsäuren, die sie zur Verbrennung bereitstellen. Mit intensivem Sport steigen auch die Il-6-Spiegel im Blut. Wirkung von Osteocalcin in der Muskelzelle © Mera et al /Cell Metabolism 2016 In einer zweiten kurzen Veröffentlichung in „Molecular Metabolism“ beschreibt das Team um Karsenty noch eine weitere Zusammenarbeit zwischen knöchernem Osteocalcin und Muskel. Wiederum an Mäusen getestet, sorgt das Hormon für den Erhalt der Muskelmasse im zunehmenden Alter. Es fördert in den Tubuli den Proteinaufbau, ohne Einfluss auf den Abbau zu nehmen. Auch dabei bewirkten Osteocalcin-Spritzen einen deutlichen Zuwachs der Muskelmasse in neun Monate alten Nagern.
Schon aus früheren Studien wusste man von anderen Fähigkeiten dieses hormonellen „Vielkönners“. In Leydigschen Zellen hilft es bei der Testosteronsynthese mit. Patienten mit einer entsprechenden Osteocalcin-Rezeptormutation haben neben den Symptomen eines Testosteronmangels oft auch eine gestörte Glukosetoleranz. Schließlich überwindet das Knochenhormon auch die Blut-Hirn-Schranke und und bindet an serotonerge Neuronen und bestimmt damit auch die Ausschüttung von Neurotransmitter mit. Inzwischen gibt es sogar schon Spekulationen, ob der altersabhängige Gedächtnisverlust nicht irgendwie mit sinkenden Osteocalcinspiegeln zusammenhängen könnte. Die bisherigen Erkenntnisse über Osteocalcin wurden von der Forschergruppe von der Columbia University und anderen Teams zu allermeist an der Maus generiert. Wenn das System jedoch im Menschen ganz ähnlich funktionieren sollte, könnte Osteocalcin eine spektakuläre Karriere bevorstehen. Nicht nur als potentielles Dopingmittel, sondern als Wirkstoff, um den Muskelabbau im Alter aufzuhalten und damit ein Mittel gegen die zunehmende Gebrechlichkeit in der Hand - und in den Knochen - zu haben.