Wieso Nervenzellen bei einer Alzheimer-Erkrankung zunehmend absterben, ist bisher unbekannt. Mithilfe atomarer Einblicke in den Aufbau des Peptids „Beta-Amyloid 1-42“ konnten Forscher nun die Struktur von Alzheimer-Fibrillen rekonstruieren. Eine neue Therapie-Perspektive?
Weltweit sind mindestens 60 Prozent der Demenzerkrankungen auf Alzheimer zurückzuführen. Heilung oder eine ursächliche Therapie gibt es bis heute nicht. Unter anderem deshalb, weil der genaue Ablauf der Krankheit auf molekularer Ebene noch viele Rätsel aufgibt. Bekannt ist, dass das Beta-Amyloid-Protein eine entscheidende Rolle spielt. Es handelt sich um ein 39 bis 42 Aminosäuren langes, für Nervenzellen giftiges Peptid, das langgestreckte Fibrillen bilden kann.
Beta-Amyloid-Peptid 1–42 und Beta-Amyloid-Peptid 1-40 sind die beiden Hauptformen, die in senilen Plaques vorkommen. Warum diese zum Untergang von Nervenzellen im Gehirn führen, ist nicht bekannt, aber von größtem Interesse für die Entwicklung von Alzheimer-Arzneimitteln. In einer Zusammenarbeit zwischen der Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH), der Université de Lyon und der Goethe-Universität Frankfurt am Main sowie der Universität Irvine und dem Brookhaven National Laboratory ist es jetzt gelungen, den Aufbau einer Fibrille des für die Krankheit gefährlichsten Beta-Amyloid-Peptids 1–42 mit atomarer Auflösung aufzuklären. Die Forscher bauten dabei auf Arbeiten der Universität Chicago über die Struktur von Beta-Amyloid Monomeren auf. Weitere immunologische Untersuchungen wiesen nach, dass die untersuchte Form der Fibrillen besonders krankheitsrelevant ist.
Proteinfibrillen sind in elektronenmikroskopischen Aufnahmen zwar sichtbar, es ist jedoch sehr schwierig, atomare Details sichtbar zu machen. Die dafür gebräuchlichen strukturbiologischen Methoden setzen voraus, dass das Makromolekül entweder als möglichst regelmäßiger Kristall oder in Form einzelner gelöster Moleküle in Wasser vorliegt. Fibrillen sind jedoch langgestreckte Gebilde, die unter sich verkleben und weder Kristalle bilden, noch in Wasser gelöst werden können. Einzig die Festkörper-Kernresonanzspektroskopie, genannt Festkörper-NMR, ist hier in der Lage, Einblick auf atomarer Ebene zu bieten. Neue methodische Entwicklungen erlauben es, ein Netzwerk von Distanzen zwischen Atomen der Proteinmoleküle in einer Fibrille auszumessen. Daraus konnte in umfangreichen Rechnungen der atomare Aufbau der Fibrille rekonstruiert werden.
Der Hauptteil des Beta-Amyloid 1–42 Peptids nimmt die Struktur eines doppelten Hufeisens an. Jeweils zwei gleiche Moleküle in einer Ebene bilden, aufeinandergestapelt, eine lange Fibrille. Viele Wasserstoffbrückenbindungen parallel zur Längsachse geben der Fibrille ihre hohe Stabilität. Struktur der Amyloid-Beta 1–42 Fibrille © JACS „Die Struktur unterscheidet sich grundlegend von früheren Modellstudien, für die kaum experimentelle Messdaten zur Verfügung standen“, erklärt Prof. Peter Güntert, Professor für Computergestützte Strukturbiologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Anhand der Forschungsergebnisse ist es den Wissenschaftlern nun gelungen, auf Grundlage atomarer Strukturen gezielt nach Arzneistoffen zu suchen, die Beta-Amyloid Fibrillen angreifen. Originalpublikationen Atomic-resolution structure of a disease-relevant Aβ(1–42) amyloid fibril Marielle Aulikki Wälti et al.; Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, doi: 10.1073/pnas.1600749113; 2016
Atomic Resolution Structure of Monomorphic Aβ42 Amyloid Fibrils Michael T. Colvin et al.; Journal of the American Chemical Society, doi: 10.1021/jacs.6b05129; 2016
Aβ(1–42) fibril structure illuminates self-recognition and replication of amyloid in Alzheimer's diseaseYiling Xiao et al.; Nature Structural & Molecular Biology, doi: 10.1038/nsmb.2991; 2015