Umweltlärm steht nach Luftverschmutzung auf Platz zwei der krankmachenden Umweltfaktoren. Doch ausgerechnet im Krankenhaus herrscht häufig ein Lärmpegel wie auf einer Straßenkreuzung. Das steigert das Diabetesrisiko, führt zu Bluthochdruck und sogar zum Delir.
In einem europäischen Konsensuspapier wurde Lärm als zweitwichtigstes umweltbezogenes Gesundheitsrisiko eingestuft. Doch auch in der Klinik – einem Ort, wo Menschen gesund werden sollen, gibt es zahlreiche Lärmquellen: Beatmungsgeräte, Monitoralarme, zufallende Türen und Gespräche. Das Öffnen von Einwegverpackungen rangiert ganz oben als Spitzenlärmquelle, auch wenn der Schalldruck nur kurzfristig erfolgt. Lärmbelastung im Krankenhaus beeinflusst den Blutdruck, die Herzfrequenz und den Sauerstoffbedarf. Das ist das Ergebnis einer pakistanischen Studie. Eins der Probleme ist: Die meisten geräuschverursachenden Geräte befinden sich in unmittelbarer Nähe des Patienten. Das Alarmsignal sollte nicht auf Ohrenhöhe des Patienten entstehen, wie es bei vielen Infusions- und Ernährungspumpen häufig der Fall ist. Patienten sollten auf jeden Fall über Sinn und Notwendigkeit von akustischen Alarmen informiert werden. © Martin Jäger, Pixelio.de
Eine bulgarische Metaanalyse bestätigt, dass Lärm das Diabetesrisiko um 19 Prozent steigern kann, wenn der Pegel längerfristig von unter 60 auf 60 bis 70 dB steigt. Und eine Studie von Tobias et al belegte, dass nächtlicher Lärm die diabetesbezogene Sterblichkeit erhöht. Bei hoher nächtlicher Lärmbelastung stieg jeweils in den darauffolgenden beiden Tagen die diabetesbezogene Mortalität über das sonst übliche Maß hinaus an. Eine aktuelle Studie hat den Einfluss von Straßenlärm auf das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Diabetes untersucht. In der Studie stieg besonders der Blutdruck bei Frauen signifikant an.
Am Meer empfinden wir das Windgeräusch entspannend und bei einem Konzert ertragen wir auch sehr laute Musik. Doch ein leise schnarchender Partner wird hingegen als unerträglich empfunden ebenso wie das hohe Surren einer Stechmücke. Kurt Tucholsky schrieb treffend: „Der eigene Hund macht keinen Lärm - er bellt nur.“ „Es gibt viele Arten von Lärm - aber nur eine Stille“ und „Lärm ist das Geräusch der anderen“. Geräusche wandeln sich für den Menschen in Lärm um, wenn sie als störend empfunden werden. Der Schweregrad der negativen Auswirkungen auf den menschlichen Körper hängt u.a. vom Schallvorgang (Schalldruckpegel, Frequenzspektrum) und der Dauer der Exposition ab. Außerdem spielt die Gehörempfindlichkeit, die psychische und physische Konstitution und die emotionale Bewertung der wahrgenommenen Geräusche ein Rolle. Gesprächsfetzen des Personals können beispielsweise störender sein als der kontinuierliche Gasfluss eines CPAP-Systems, das sich in unmittelbarer Nähe des Patienten befindet.
„Lautstärke“ kann nicht gemessen werden. Was physikalisch gemessen wird, ist der Schalldruck, der dann in einen Schallpegel umgerechnet und in dB resp. dB(A) angegeben wird. Ein Dezibel ist ein Zehntel eines Bells (B), benannt nach dem Erfinder des Telefons, Graham Bell. Sie reicht von unter 0 Dezibel bis 130 dB. Sie beschreibt die Fähigkeit des Hörorgans, allerleiseste Töne (bis -20 dB) wahrzunehmen und allerheftigste Lautstärke (=enormen Schalldruck) auszuhalten = 130 dB. Aufgrund der Ergebnisse verschiedener wissenschaftlicher Studien wird befürchtet, dass Dauerbelastungen über etwa 65 dB(A) am Tag zu einem erhöhten Gesundheitsrisiko führen können, so das Bundesministerium für Umwelt. Um das subjektive Lautstärkeempfinden zu messen, existiert die Einheit Sone. Sie misst die Lautheit eines Tones. Sie ist eine psychoakustische Größe und beschreibt nicht die physikalische Eigenschaft von Schall. Vielmehr wird die Wahrnehmung und Störwirkung des Schalls bestimmt. Die Lautheitsskala in Sone beruht darauf, dass 1 Sone halb so laut ist wie 2 Sone. Diese subjektive Skala bildet das Hörempfinden linear ab. Das Rauschen von Blättern oder ruhiges Atmen entspricht einem Schalldruckpegel von etwa 10 dB, das entspricht 0,02 Sone. Die Geräuschkulisse in einem sehr ruhigen Zimmer beträgt etwa 20 bis 30 dB. (Wer sich darüber hinaus für die physikalischen Gesetzmäßigkeiten interessiert, kann die Informationen beim Bayerischen Landesamt für Umwelt einsehen.)
Das Krankenhaus, besonders die Intensivstation, ist ein Ort voller Lärmquellen. So soll sogar das Öffnen der Blutdruckmanschette in einen akustischen Bereich fallen, der nach den Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft bereits im Rahmen des Arbeitsschutzes den Mitarbeitern einen Gehörschutz den anbieten muss – ab 85 Dezibel ist das Tragen eines Gehörschutzes sogar Pflicht. Zudem liegt ein Lärmbereich vor, der kennzeichnungspflichtig wäre. Für ihre Messungen auf diesem Gebiet räumte das Team Daniel und Nicole Schrader den 1. Platz beim Thiemepflegepreis ab. Folgende Schalldruckpegel haben sie ermittelt:
Nach Schrader, D., Schrader, N.: „Lärm auf der Intensivstation und dessen Auswirkungen auf Patienten und Personal“
Lärmampel soll für Ruhe sorgen © Soundear Auch eine Projektarbeit im Rahmen der Fachweiterbildung für Intensivpflege und Anästhesie, Kreisklinik Ebersberg, beschreibt das Thema und hat gute Erfahrungen mit einer Lärmampel oder einem Soundear gemacht. Die Geräte messen die Lautstärke und warnen mit Piktogrammen oder Ampelfarben. Die Uniklinik in Münster probiert, was in der Berliner Charité schon seit fast zwei Jahren getestet wird: einen Adaptive Healing Room. Das Konzept basiert auf zwei verschiedenen Komponenten: Zum einen verhindert ein intelligentes Alarmsystem eine überflüssige Geräuschbelastung . Zum anderen sorgt eine veränderte Raumsgestaltung dafür, dass Ruhephasen und damit Erholung möglich werden. Auch der Tag-Nacht-Rhythmus soll möglichst beibehalten werden, was durch Licht einer bestimmten Wellenlänge, ähnlich dem des Sonnenlichts, simuliert wird. „Uns geht es speziell um Patienten, die ein hohes Risiko tragen, ein sogenanntes Delir zu entwickeln“, sagt Professor Hugo Van Aken. Nach Angaben des Direktors der Klinik für operative Intensivmedizin in Münster betrifft dies 20 Prozent aller Patienten, bei den über 65-Jährigen sogar fast die Hälfte. Zum Delir komme es als Folge der ständigen Unruhe und Geräuschkulisse. Viele Patienten reden Unsinn, fallen aus dem Bett und sind für Angehörige und Pflegepersonal eine zusätzliche Belastung. Wissenschaftlich nachgewiesen sei, so Professor Björn Ellger aus Münster, dass diese Kranken schlechtere Aussichten auf Heilung hätten. Lärm spielt auch bei der Entstehung von Delirzuständen eine entscheidende Rolle. Die S3-Leitlinie Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin betont: „Die schlaffördernden Maßnahmen in der Nacht bestehen nicht nur aus allgemeiner Reduktion von Lärm und Licht in den Behandlungszimmern, sondern können zum Beispiel auch bei nicht-deliranten Patienten aus dem Angebot von Schlafbrillen und Ohrstöpseln bestehen“.
Die Fachkrankenpflegerin Ise Hirsch hat für ihre Facharbeit „,Ohren auf! auf der Intensivstation“ im Jahr 2015 den Thiemepflegepreis erhalten. Sie gibt folgende Ratschläge zur Vermeidung von Lärmbelastung auf einer Intensivstation:
Die Maßnahmen können zu einer Reduzierung des Geräuschpegels von 2-4 dB führen, was zuerst als nicht besonders viel erscheinen mag, aber einen deutlich spürbaren Effekt hat. Aufgrund der logarithmischen Darstellung der Dezibelskala entsprechen 3 dB einer Lärmreduzierung um die Hälfte.
In der Verordnung über Arbeitsstätten (Arbeitsstättenverordnung – ArbStättV) ist in §15 der Schutz gegen Lärm geregelt. In Arbeitsräumen ist der Schallpegel so niedrig zu halten, wie es nach der Art des Betriebes möglich ist. Der Beurteilungspegel am Arbeitsplatz in Arbeitsräumen darf auch unter Berücksichtigung der von außen einwirkenden Geräusche höchstens betragen:
Der maximale Lärmpegel auf einer Intensivstationen sollte 55dB nicht übersteigen. Für Deutschland sind das nur Empfehlungen, Bestimmungen gibt es nicht. Eine Richtlinie der US Environmental Protection Agency gibt maximale Schalldruckpegel von 45 dB tagsüber bzw. 35 dB nachts für Intensivstationen vor, eine weitere Empfehlung des International Noise Councils schlägt 45 dB tagsüber, 40 dB am Abend und sogar nur 20 dB während der Nacht vor. In der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) bei den Informationen zur Neu- und Umbauplanung im Krankenhaus unter Gesichtspunkten des Arbeitsschutzes (BGI/GUV-I 8681) werden folgende maximale Schallpegel beschrieben (DIN EN 13779).
Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt ebenfalls für Patientenräume einen Geräuschpegel von maximal 35 dB(A). Also in der Klinik daran denken: Leise ist weise.