Wie sich die verschiedenen Zelltypen aus Hämozytoblasten entwicklen, ist bislang nicht geklärt. Mittels Zeitraffer-Mikroskopie stellte sich aber heraus, dass die Transkriptionsfaktoren GATA1 und PU.1 andere Aufagen erfüllen als bisher angenommen. Braucht die Forschung einen neuen Fokus?
Die Lebensdauer gewisser Körperzellen ist relativ kurz: Leukozyten und Thrombozyten sterben bereits nach Stunden oder einigen Tagen ab – Erythrozyten hingegen nach rund 4 Monaten. Blutstammzellen sind multipotent, da aus ihnen alle Arten von Blutzellen mit unterschiedlichen Funktionen hervorgehen können. Wie Blutstammzellen die verschiedenen Zelltypen entwickeln, ist bis heute aber erst in Ansätzen bekannt.
Der Weg der Differenzierung, also die Entscheidung, zu welchem Zelltyp sich eine Zelle entwickelt, hängt von verschiedenen äußeren und inneren Faktoren ab. Timm Schröder, Professor am Departement Biosysteme der Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH), erforscht zusammen mit seinem Team die Faktoren, die bei der Ausrichtung der einzelnen Blutzellen eine Rolle spielen. „Die Regulation der Differenzierungsrichtung von Blutstammzellen ist für die normale tagtägliche Aufrechterhaltung der Blutbildung essentiell“, erklärt Schröder. „Wenn sie nicht richtig funktioniert, entstehen lebensbedrohliche Erkrankungen wie Anämien und Leukämien. Daher möchten wir den molekularen Mechanismus dieser Regulation besser verstehen.“
Der Zellbiologe analysierte zusammen mit seinem Team, wie sich Blutstammzellen in die verschiedenen Arten von Blutzellen ausdifferenzieren und wie Moleküle im Zellkern diesen komplexen Vorgang steuern. Zusammen mit dem Helmholtz Zentrum München, Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, entwickelten sie dafür eine neue Mikroskopietechnik zur Zellbeobachtung. Besonders die beiden Proteine GATA1 und PU.1 standen im Fokus der Forscher. Diese spielen eine wichtige Rolle bei der Ausdifferenzierung von Blutzellen, erzählt Timm Schröder. „Sie sind Transkriptionsfaktoren, welche umfangreiche genetische Programme mit vielen Zielgenen an- oder abschalten können. Das macht sie zu mächtigen Regulatoren von Zellschicksalen“, so Schröder weiter.
So konnten die Grundlagenforscher mittels Zeitraffer-Mikroskopie lebende Blutstammzellen mit bisher nicht gekannter Präzision bei der Ausreifung beobachten und die beiden Proteine GATA1 und PU.1 quantifizieren. „Jahrzehntenlang dachte man, dass diese beiden Transkriptionsfaktoren die Linienentscheidungen von Blutstammzellen treffen. Nun konnten wir zeigen, dass dies nicht der Fall ist und dass andere Mechanismen für diese Entscheidungen verantwortlich sein müssen“, erklärt Schröder. Die Forschung müsse sich nun auf andere molekulare Mechanismen konzentrieren, um die sehr komplexe Blutstammzell-Differenzierung zu verstehen. Um Blutkrankheiten wie zum Beispiel Leukämie in Zukunft besser zu verstehen und therapieren zu können, sind genaue Kenntnisse über die Entstehung der einzelnen Blutzellen wichtig. Originalpublikation: Early myeloid lineage choice is not initiated by random PU.1 to GATA1 protein ratios Philipp Hoppe et al.; Nature, doi: 10.1038/nature18320; 2016