Sommerzeit ist Badezeit. Doch „gehirnfressende“ Amöben oder „fleischfressende“ Vibrionen verleiden Urlaubern ihr Vergnügen. Ärzte tappen bei unspezifischen Symptomen im Dunkeln, wie etwa einer Amöbenenzephalitis. Sie beginnt schleichend mit Kopfschmerzen.
„Killerbakterien verbreiten Angst und Schrecken“, warnen Medien die badefreudige Bevölkerung. „Am Golf von Mexiko versetzen fleischfressende Bakterien Einheimische wie Touristen in eine Panik, wie man sie sonst nur von Haiattacken kennt.“ Grund für diese Schlagzeilen sind Vibrionen. Deren bekanntester Vertreter Vibrio cholerae löst Cholera aus. Am Golf von Mexiko treibt derzeit Vibrio vulnificus sein Unwesen. Im letzten Jahr war auch die Ostsee betroffen.
Vibrio vulnificus, elektronenmikroskopische Aufmnahme. © CDC Dringt Vibrio vulnificus in unseren Körper ein, kann es zur nekrotisierenden Fasziitis kommen. Bei dieser lebensbedrohlichen Infektion werden Unterhaut und Faszien in Mitleidenschaft gezogen. Besonders gefährdet sind Patienten mit Durchblutungsstörungen, etwa infolge eines Diabetes oder eines „Raucherbeins“. Patienten mit Immunsuppression oder Immundefizienz haben auch mit einem hohen Risiko zu rechnen. Liegen Eingriffe im Magen-Darm-Trakt nur kurze Zeit zurück, sind Infektionen auf diesem Wege ebenfalls möglich. Bakterien dringen in Wunden ein und führen zu fulminanten Infektion. Das infizierte Gewebe muss schnellstmöglich operativ entfernt werden. Erkennen Ärzte Vibrio vulnificus frühzeitig, besteht eine gewisse Chance, mit Medikamenten zu intervenieren. Unter anderem eignen sich Tetracyclin plus Cephalosporine der dritten Generation sowie Fluorchinolone. Das ist leichter gesagt als getan: Anfangs treten recht unspezifische Symptome wie Fieber oder Schmerzen auf.
Trotz der aktuellen Berichte besteht kein Grund zur Panik, wie Zahlen des Florida Department of Health zeigen. In 2012 erkrankten 26 Menschen, und es gab neun Todesfälle. Nach einem Anstieg in 2013 (41 Erkrankungen, zwölf Todesfälle) ging es in 2014 etwas nach unten (32 Erkrankungen, sieben Todesfälle). Für 2015 gibt die Behörde 45 Erkrankungen und 14 Todesfälle an. Da keine Meldepflicht für V. vulnificus-Infektionen besteht, liegen den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) nur bruchstückhafte Daten vor. Experten geben geschätzte 80.000 Erkrankungen und 100 Todesfälle pro Jahr für die USA an. Sie raten Risikopatienten, mit offenen Wunden nicht schwimmen zu gehen und keine rohen Meeresfrüchte zu verspeisen. Zum Vergleich: Pro Jahr baden Millionen Amerikaner im Meer, und 3.500 Menschen ertrinken.
Aus den USA kommen noch weitere Hiobsbotschaften. Nachdem eine 18-jährige Schülerin an den Folgen einer Meniningitis gestorben war, begaben sich CDC-Experten auf Ursachenforschung. Zuvor hatte sie einen Wildwasserpark in North Carolina besucht. Pathologen fanden bei der Verstorbenen Naegleria fowleri im Gehirn, was zur Diagnose einer primären Amöben-Meningoenzephalitis (PAM) führte. Das Protozoon hat eine geringe Infektiosität. Es kommt in flachen Süßwasserseen Amerikas, Australiens oder Südfrankreichs vor. Ärzte kennen zwei zentrale Infektionswege: Gelangt N. fowleri in die Augen, kommt es zur sklerosierenden Keratitis, also einer Entzündung der Cornea. Atmen Badelustige kontaminiertes Wasser ein, gelangt der Einzeller entlang des Riechnervs bis in unser Gehirn und löst eine PAM aus. Lebenszyklus von N. fowleri: Zyste (1), Trophozoit (2), Flagellat (3), Teilung per Promitose (4) und Infektion (5, 6). Nur die Trophozoiten befallen Badende. © CDC
In vielen Fällen weisen Ärzte eine Amöben-Meningoenzephalitis erst postmortal nach, wie bei diesem histopathologischen Präparat. © CDC Besonders schwierig sind auch hier die unspezifischen Symptome. Nach durchschnittlich fünf Tagen klagen Patienten über Kopfschmerzen, Fieber, Übelkeit oder Erbrechen. Später kommt es zu Nackensteife, Bewusstseinstrübungen, Schwindel oder Bewusstlosigkeit. Viele Menschen versterben fünf Tage nachdem sie über erste Beschwerden geklagt haben. Die hohe Mortalität – laut CDC gab es von 1963 bis 2016 genau 138 Infektionen mit nur drei Überlebenden – hat mehrere Gründe. In Endemiegebieten fanden Wissenschaftler spezifische Antikörpertiter im Blut vieler Menschen. Viele Kontakte mit N. fowleri führen wahrscheinlich nicht zur gefürchteten Ekrankung, so dass nur schwere Verlaufsformen dokumentiert werden. Außerdem zählen Primäre Amöben-Meningoenzephalitiden zu den seltenen Erkrankungen, an die Ärzte bei unspezifischen Symptomen kaum denken. In den USA fragen sie bei der Anamnese zu selten Freizeitaktivitäten kurz vor Krankheitsbeginn ab. Rechtzeitig erkannt, gibt es zumindest Chancen zu intervenieren. Die Food and Drug Administration (FDA) nennt Amphotericin B als systemischen Wirkstoff der Wahl. Das Molekül penetriert die Blut-Hirn-Schranke aber nur sehr schlecht. Ärzte setzten den Wirkstoff deshalb intrathekal ein. Bei Augeninfektionen kommen unter anderem Ketoconazol, Miconazol, Pentamidin oder Propamidin zum Einsatz. Um sich zu schützen, geben CDC-Experten Badegästen ein paar vergleichsweise profane Tipps an die Hand. Beim Schwimmen verhindern Nasenklammern, dass kontaminiertes Wasser eingeatmet wird. Und wer kein Leitungswasser zur Hand hat, sollte auf Nasenspülungen besser verzichten, so die Behörde weiter.