Jahr für Jahr sinkt die Verweildauer im Krankenhaus. Die ursprünglich aus ökonomischen Zwängen geborenen Kürzungen gelten als zweischneidiges Schwert: Werden ältere Patienten rasch mobilisiert, sinkt ihre Mortalität. Doch „blutige Entlassungen“ bergen auch Gefahren.
Vor knapp 15 Jahren ächzten Deutschlands Klinken unter dem bislang stärksten Strukturwandel. Seit März 2002 gilt das Gesetz zur Einführung des diagnoseorientierten Abrechnungssystems nach Fallpauschalen. Zum 1. Januar 2004 kamen verbindliche Fallpauschalen (DRGs) hinzu. Sie ersetzen die zuvor genutzten Tagessätze. Konsequenzen blieben nicht aus: Bei gleicher Fallpauschale steigen die Kosten pro Patient mit steigender Aufenthaltsdauer. Einrichtungen versuchten deshalb, Patienten so früh wie möglich nach Hause oder in die ambulante Weiterbehandlung zu entlassen. Entsprechende Trends halten bis heute an, berichtet das Statistische Bundesamt (DESTATIS). Von 1991 (14 Tage) bis 2014 (7,4 Tage) hat sich dieser Zeitraum nahezu halbiert. Was Gesundheitsökonomen freut, ist bei Ärzten äußerst umstritten. Entwicklung der Krankenhaus-Zahlen und der Verweildauer. © DESTATIS / Screenshot: DocCheck. 1Berichtigte Werte für 2005, soweit (einmalig) Angaben für gesunde Neugeborene enthalten waren.
„Es gilt, den maximalen Erlös zu erzielen – je mehr und je schwieriger die Fälle bei mittlerer Verweildauer sind, desto besser“, berichtet Professor Dr. Gabriele Schackert von der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH). „Die Zeit, die man mit den Patienten verbringt, schlägt sich hingegen nicht in der Vergütung nieder.“ Weil viele Kliniken um ihr nacktes Überleben kämpfen, reduzieren sie die stationäre Verweildauer auf ein Minimum und sparen am Personal. „Es ist bereits üblich, Patienten am Tag des Eingriffs direkt nüchtern in den OP-Saal kommen zu lassen“, so Schackert. „Das setzt nicht nur eine hervorragende Organisation bei der Vorbereitung voraus, sondern sorgt häufig auch für zusätzlichen Stress bei den Patienten.“ Die stationäre Aufnahme findet erst nach dem Eingriff statt. Und später folgen „blutige Entlassungen“. So berichten Orthopäden aufgrund der frühen Entlassungen über mehr Wundheilungsstörungen und Hämatome. Und Kardiologen verzeichnen häufiger auftretende Perikard- und Pleuraergüssen. Dies führt zu neuen Behandlungen und weiteren Kosten. Damit haben Krankenversicherungen ihr selbst gestecktes Ziel, Geld zu sparen, ad absurdum geführt. Grund genug für Jacques D. Donzé aus Bern, einen Risikoscore zu entwickeln. Basis waren knapp 120.000 Patientenaufzeichnungen. Für eine Wiederaufnahme innerhalb von 30 Tagen spricht ein stark erniedrigter Hämoglobin-Wert oder ein veränderter Natrium-Spiegel im Blut. Weitere Risikofaktoren sind die Klassifikation als onkologischer Patient, die Einweisung als Notfall sowie die Zahl stationärer Aufenthalte in den letzten zwölf Monaten.
Trotzdem sind lange Verweilzeiten nicht der Weisheit letzter Schluss. Julia R. Berian aus Chicago hat jetzt Folgen chirurgischer Eingriffe bei älteren Patienten untersucht. Als Basis zog sie Daten von 4.895 Personen heran. In der Gruppe zwischen 65 und 74 Jahren verlor jede zweite Person ihre Unabhängigkeit – nicht durch die OP an sich, sondern durch den stationären Aufenthalt, wohlgemerkt. Hier reichte das Spektrum von weniger Mobilität bis hin zur Unterbringung im Pflegeheim. Nahm Berian die Gruppe zwischen 75 und 84 Jahren unter die Lupe, waren 67 Prozent betroffen, und jenseits des 85. Geburtstags sogar 84 Prozent. Neben postoperativen Komplikationen führte die nachlassende Mobilität an zweiter Stelle zur erneuten Hospitalisierung. Welche Faktoren dazu führen, haben Forscher nicht mit letzter Gewissheit verstanden. Tatsache ist, dass lange Liegezeiten das Thromboserisiko vergrößern, aber auch zum Verlust von Muskelmasse führen. Ärzte versuchen deshalb, Patienten früh zu mobilisieren – und früh nach Hause zu schicken. Dies sollte aus medizinischen Erwägungen, aber nicht aus Kostengründen geschehen.
Um Gelder einzusparen, gibt es Alternativen zur Kürzung der Verweildauer. Die AOK berichtet über immer mehr ambulante OPs. Experten fanden rund 20 Versorgungsformen - von Hochschul- und Notfallambulanzen über ambulantes Operieren im Krankenhaus bis hin zur Ambulanten Spezialfachärztlichen Versorgung (ASV). „De facto werden hier identische Leistungen in verschiedene Rechtsformen verpackt und dann auch noch unterschiedlich vergütet“, sagt Prof. Dr. Jürgen Wasem, Duisburg-Essen. Er fordert einen einheitlichen Ordnungsrahmen. Das IGES-Institut hat sich im Auftrag des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) ebenfalls auf die Suche nach versteckten Reserven begeben. Das Ergebnis: Vermeidbare stationäre Notaufnahmen in Krankenhäusern summieren sich auf knapp 4,8 Milliarden Euro jährlich. © Zi/IGES „Mehr als die Hälfte aller vermeidbaren Krankenhausfälle werden ohne ärztliche Einweisung aufgenommen. Betrachtet man das Geschehen an Werktagen, entsteht rund die Hälfte der Aufnahmen ohne ärztliche Einweisung zu den üblichen Praxisöffnungszeiten“, sagt der Geschäftsführer des IGES-Instituts, Dr. Martin Albrecht. KBV-Chef Dr. Andreas Gassen erklärt das Phänomen: „Patienten wählen von sich aus den direkten Weg ins Krankenhaus, entweder weil das Krankenhaus als Anlaufpunkt sichtbarer ist, weil die Klinikambulanz eventuell aktiv beworben wird oder der Patient eine Komplettversorgung aus einer Hand erwartet.“ Er bringt ambulante Anlaufstellen als „Gatekeeper“ in das Gespräch. Diese sollten direkt bei Klinken Patientenströme per Triage kanalisieren. Ohne eine Stärkung der ambulanten Versorgung wird sein Konzept kaum aufgehen.