Biologicals haben die Therapie etlicher Erkrankungen revolutioniert. Und viele Neuzulassungen zeigen, dass weitere Überraschungen auf Ärzte warten. Krankenkassen schielen eher in Richtung Biosimilars, um Kosten zu sparen.
Wie der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa/vfa bio) und die Boston Consulting Group (BCG) berichten, ist die medizinische Biotechnologie stark im Aufwind. Ein jetzt veröffentlichter Report nennt wissenschaftliche Perspektiven, aber auch wirtschaftliche Eckdaten der Branche. Als Basis wurden die Aktivitäten von 389 Unternehmen aus Deutschland untersucht.
Im Jahr 2015 lag der Umsatz bei 8,2 Milliarden Euro, gemessen an Hersteller-Abgabepreisen. Das entspricht einem Plus von 9,7 Prozent, verglichen mit 2014. Rund 70 Prozent aller Präparate kommen aus den Bereichen Onkologie, Hämatologie, Immunologie und Stoffwechsel. Unter allen 50 EU-Neuzulassungen des Jahres 2015 waren 15 Original-Biopharmazeutika.
Vier Biopharmazeutika auf Basis von Antikörpern kommen bei malignen Melanomen, nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinomen, Hochrisiko-Neuroblastomen und Leukämien zum Einsatz. Von zwei weiteren Antikörpern profitieren Patienten mit therapierefraktären Hypercholesterinämien. Psoriasis und Asthma bronchiale lassen sich ebenfalls mit Biologicals therapieren. Ein weiteres Antikörperfragment richtet sich als Antidot gegen das direkte orale Antikoagulans Dabigatran. Unter den neu zugelassenen rekombinanten Proteinen befinden sich Präparate zur Behandlung der Hämophilie, der Cholesterinester-Speicherkrankheit sowie der Hypophosphatasie. Ein Impfstoff richtet sich gegen humane Papillomviren, und ein gentechnisch verändertes Herpes-simplex-Virus wird zur Therapie von Melanomen verordnet. Auch in Zukunft erwarten Experten neue Zulassungen. Die Pipeline ist mit 626 Entwicklungsprojekten (2015) gut gefüllt. Monoklonale Antikörper (plus 8,0 Prozent, verglichen mit 2014) und Impfstoffe (plus 2,0 Prozent) gelten als Spitzenreiter.
Mittlerweile haben Antikörper und Antikörperfragmente die Behandlung zahlreicher Leiden, allen voran Krebs und Autoimmunerkrankungen, revolutioniert. Dabei zeigen sich auch häufig unerwünschte Effekte. Bei schwerer Psoriasis greifen Ärzte zu Antikörpern wie Adalimumab, Infliximab, Secukinumab und Ustekinumab. Alternativ kommt das Fusionsprotein Etanercept zum Einsatz. Im Rahmen mehrerer Eli Lilly unterstützten Phase-III-Zulassungsstudien haben Wissenschaftler jetzt gezeigt, dass Ixekizumab zu hohen Behandlungserfolgen führt. Rund 80 Prozent aller Patienten erereichten einen PASI-Wert (Psoriasis Area and Severity Index) von 75. Die antiinflammatorischen Eigenschaften hatten jedoch Folgen. Unter Verum kam es laut Hersteller bei 27 Prozent zu Infektionen, verglichen mit 23 Prozent im Placebo-Arm. Teilweise war es erforderlich, das Präparat abzusetzen. Ähnlich ist die Situation bei malignen Erkrankungen zu berwerten. Antikörper richten sich gegen phänotypische Oberflächenmerkmale wie CD20, CD22, CD33- oder ähnliche Antigene. Weitere Targets sind der EGF-Rezeptor (Epidermal Growth Factor Receptor), der VEGF-Rezeptor (Vascular Endothelial Growth Factor), der HER2/neu-Rezeptor oder PD-1 (Programmed death-ligand 1). Für diese Krebsimmuntherapie zahlen Patienten einen hohen Preis, wie aktuelle Fallberichte zeigen. Ipilimumab und Nivolumab blockieren einen Selbstschutz gegen Autoimmunerkrankungen. Onkologen berichten von Patienten, die aufgrund ihrer Therapie beim Rheumatologen vorgestellt werden mussten. Der Anteil lag zwar nur bei 1,3 Prozent. Eine hohe Dunkelziffer lässt sich nicht ausschließen, da Ipilimumab oder Nivolumab im Endstadium von Krebserkrankungen zum Einsatz kommen.
Trotz aller Nebenwirkungen zählen Biopharmazeutika zu den größten Errungenschaften der letzten Jahre. Das lassen sich Hersteller fürstlich honorieren, falls sie die Hürden der frühen Nutzenbewertung überwinden. Nicht immer haben sie Erfolg: Beim monoklonale Antikörper Mepolizumab, er ist zur Therapie des schweren refraktären eosinophilen Asthmas zugelassen, fand das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) keinen Mehrwert. Versorgungsforscher kritisierten, Vorgaben zur zweckmäßigen Vergleichstherapie seien nicht umgesetzt worden. Außerdem seien indirekte Vergleiche ungeeignet. Bei etlichen Biologicals steht der Benefit laut IQWiG außer Frage. Doch die Freude darüber währt nicht ewig. Sobald Biosimilars auf den Markt drängen, fordern Kassen, das jeweils günstigere Präparat zu verschreiben. Nachahmerpräparate sind im Schnitt 25 Prozent günstiger als Originale. Momentan machen sich seltsame Gepflogenheiten bemerkbar, berichtet die Barmer GEK im Arzneimittelreport 2016. Dazu einige Zahlen. Während Bremens Medizinerschaft in 54,2 Prozent der Fälle brav Nachahmerpräparate verordnete, waren es in Baden-Württemberg 29,5 Prozent und im Saarland 27,4 Prozent. Wissenschaftliche Gründe gibt es dafür nicht – dafür umso mehr Kritik am kostenintensiven Verschreibungsverhalten. „Dass viele Ärzte Biosimilars nur selten verordnen, könnte an der Informationspolitik der Pharmahersteller liegen, die schwindende Umsätze bei ihren teureren Originalpräparaten befürchten“, spekuliert Professor Dr. Daniel Grandt, Autor des Arzneimittelreports.