Ohne Allergen keine Allergie. Dieser Satz gilt nach wie vor, doch rücken auch nicht-allergene Substanzen in den Fokus der Forscher. Die Moleküle kommen in Pollen vor und scheinen bei Allergikern die Reaktion des Immunsystems erheblich zu verstärken.
Wenn im Frühjahr der Flug der Birkenpollen beginnt, leiden viele Menschen an Heuschnupfen oder Asthma. Wichtigster Auslöser der allergischen Reaktion in den Schleimhäuten ist ein Protein namens Bet v 1. Damit sich die Symptome jedoch in voller Stärke entwickeln können, braucht das Hauptallergen der Birkenpollen offenbar die Unterstützung weiterer Substanzen. Wie ein Forscherteam um Claudia Traidl-Hoffmann von der Technischen Universität München (TUM) und dem Helmholtz-Zentrum München herausgefunden hat, beeinflussen niedermolekulare Bestandteile der Birkenpollen maßgeblich die Reaktion des Körpers auf das Bet v 1. „Beim Kontakt mit den Schleimhäuten setzen die Pollen nicht nur Bet v 1 und andere Allergene frei, sondern auch zahlreiche weitere Stoffe“, erklärt Traidl-Hoffmann, Direktorin des Instituts für Umweltmedizin an der TUM. Die Allergologin interessiert sich schon seit vielen Jahren für die Ursache von allergischen Erkrankungen. In früheren Studien konnten sie und ihr Team bereits im Reagenzglas zeigen, dass auch die nicht-allergenen Substanzen aus Birkenpollen mit dem Immunsystem interagieren können. Nun haben die Forscher als erste die Wirkung dieser Stoffe direkt beim Menschen untersucht und die Ergebnisse der Studie in einem Artikel im Fachmagazin Clinical and Experimental Allergy veröffentlicht.
Für ihre Experimente stellten Traidl-Hoffmann und ihr Team ein Extrakt aus Birkenpollen her und filterten die größeren allergenen Proteine von den niedermolekularen Bestandteilen ab. Das Gemisch aus den kleinen Molekülen enthält verschiedene Zucker, Fettsäuren und Nukleoside und hat selbst keine allergene Wirkung. Anschließend verglichen die Forscher mithilfe eines Pricktests unterschiedliche Kombinationen aus Birkenpollen-Allergenen und niedermolekularen Substanzen bei Pollen-Allergikern und gesunden Personen. Im Rahmen dieser Untersuchung tropften sie das Extrakt mit den Birkenpollen-Allergenen und das Extrakt mit den niedermolekularen Substanzen, jeweils alleine und in Kombination, auf die Haut der Unterarminnenseite der Studienteilnehmer. Claudia Traidl-Hoffmann (li.) und Mitarbeiterin beim Einsammeln von Birkenpollen © Traidl-Hoffmann Dann stachen die Forscher die Stellen, wo sie die Testlösungen aufgetragen hatten, mit einer Nadel leicht an, so dass die Substanzen in die oberste Hautschicht eindringen konnten. Trat eine allergische Reaktion auf, schwoll die Haut der Probanden an und es bildeten sich juckende Quaddeln, deren Größe von den Forschern ausgemessen wurde. Das Ergebnis war eindeutig: Wenn bei den Allergikern die Allergene zusammen mit den niedermolekularen Substanzen aufgetragen wurden, war die allergische Reaktion signifikant stärker. Bei den Probanden ohne Pollenallergie bildeten sich dagegen keine Quaddeln.
In einer weiteren Versuchsreihe, in der die Probanden die verschiedenen Extrakte über die Nase aufnehmen mussten, konnte das Team um Traidl-Hoffmann die Resultate des Pricktests bestätigen. „Bei der gleichzeitigen Gabe von Allergenen und niedermolekularen Substanzen verstärkte sich bei den Allergikern nicht nur deutlich die Sekretbildung sondern auch das Augentränen“, berichtet Traidl-Hoffmann. Als sie und ihre Mitarbeiter das Sekret aus den Nasen der Studienteilnehmern genauer analysierten, stellten die Forscher fest, dass bei der gleichzeitigen Gabe der beiden Extrakte besonders viele IgE-Antikörper, die Allergene erkennen, im Nasensekret vorkamen. Auch die Menge des Botenstoffs IL-8 war erhöht. Er sorgt dafür, dass Zellen des Immunsystems zum Ort der allergischen Reaktion gelockt werden. Traidl-Hoffmann und ihre Mitarbeiter haben bereits einige der niedermolekularen Substanzen aus dem Extrakt isoliert und genauer unter die Lupe genommen. Dabei stellten sie fest, dass vor allem Abkömmlinge der Linolensäure die allergische Reaktion verschlimmerten. „Mittlerweile kennen wir auch einige der Rezeptoren auf der Oberfläche von Immunzellen, an denen solche niedermolekularen Substanzen andocken und auf diese Weise in die allergische Reaktion eingreifen“, sagt Traidl-Hoffmann.
Interessanterweise verstärkte das Extrakt mit den niedermolekularen Substanzen nicht nur die Reaktion bei Testpersonen, die empfindlich auf Birkenpollen reagierten. Den gleichen Effekt beobachteten die Forscher auch bei Menschen, die nur gegen Gräserpollen allergisch waren und das entsprechende Allergen in Kombination mit den niedermolekularen Substanzen aus Birkenpollen über die Nase verabreicht bekamen. Das lässt sich dadurch erklären, dass viele der niedermolekularen Substanzen auch in anderen Pollen vorkommen: „Die entzündliche Wirkung der niedermolekularen Bestandteile ist ein unspezifischer Effekt, der nicht mit einem bestimmten Allergen zusammenhängt“, sagt Traidl-Hoffmann. Nach Ansicht der Allergologin könnte die Erkenntnis, dass auch nicht-allergene Substanzen in Pollen großen Einfluss auf allergische Reaktionen haben, deren Therapie nachhaltig verändern. Pricktest – Auftragen der Allergene und Kontrollen © Institut für Umweltmedizin UNIKA-T Bislang werden Pollenallergien meistens durch Hyposensibilisierung via SCIT oder SLIT behandelt. Bei der SCIT werden Allergenextrakte subkutan injiziert, die alle Pollenbestandteile enthalten. Dadurch gelangen aber auch Stoffe wie die in der aktuellen Studie untersuchten niedermolekularen Substanzen in den Organismus. „Derzeit schlagen nur 60 bis 70 Prozent aller Hyposensibilisierungen bei Patienten mit einer Allergie gegen Birkenpollen an“, sagt Traidl-Hoffmann. Die Ursache, so die Forscherin, könnten unter anderem nicht-allergene aber entzündungsfördernde Inhaltsstoffe sein, die sich negativ auf die Behandlung auswirkten. Sie schlägt deshalb vor, nur noch die reinen Allergene für die Hyposensibilisierung zu verwenden, um die Erfolgsquote dieser Therapieform weiter zu erhöhen.
Momentan nutzen noch viel zu wenige Allergiker die Möglichkeit einer Hyposensibilisierung. „Allergien werden gerade von der Politik oft als Bagatellerkrankungen hingestellt, so dass Ärzte deren Diagnose und Behandlung nicht kostendeckend abrechnen können – ein Grund dafür, dass in Deutschland viel zu wenige Allergiker eine adäquate Therapie erhalten“, sagt Traidl-Hoffmann. Auch andere Experten beklagen die derzeitige Situation: „Allergien gehören zu den häufigsten chronischen Erkrankungen in Deutschland, da bis zu 40 Prozent der Bevölkerung an den Symptomen leidet, aber nur knapp zehn Prozent der Betroffenen bekommt die richtige Behandlung“, sagt Torsten Zuberbier, geschäftsführender Direktor der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie an der Berliner Charité. „Kein Wunder, da die allergologische Versorgung in Deutschland immer noch deutlich unterbezahlt ist und zudem in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich gehandhabt wird.“ Der Allergologe plädiert für ein rasches Umdenken, da die Zahl der Allergiker in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zugenommen hat und vermutlich weiter zunehmen wird. Wie unter anderem zwei in den Fachmagazinen PLOS ONE und Plant, Cell and Environment veröffentlichten Studien zeigen, sind Umweltgifte wie Stickoxide und Ozon, welche die allergene Wirkung von Pollen verstärken, für diesen Zuwachs verantwortlich. Allerdings, so Zuberbier, habe auch der durch den Ausstoß von CO2 verursachte Klimawandel einen wesentlichen Anteil daran: „Das Mehr an CO2 hat zu einem besseren Pflanzenwachstum geführt, so dass der Pollenflug in den letzten 30 Jahren um den Faktor 20 angestiegen ist.“