Deutschlands Pflegeheime stehen erneut unter Beschuss. Ein zentraler Kritikpunkt ist die Medikation. Patientenindividuelle Blister versprechen Abhilfe, doch Apothekern werden Steine in den Weg gelegt. Jetzt machen sich Gerichte für sie stark.
Pflegeheime stehen wieder einmal in der Kritik. Prüfungen des Medizinischen Diensts der Krankenkassen (MDK) mit Schulnoten von eins bis sechs führten zu belanglosen Ergebnissen. Wer viel Geld in die Ausstattung setzt, kann Defizite weitaus relevanterer Bereiche kompensieren. Deshalb hat das Recherchenetzwerk correctiv zusammen mit der Welt Daten analysiert. Im Mittelpunkt standen zentrale Kriterien, nämlich die Medikation, die Betreuung von Schmerzpatienten, aber auch die Versorgung mit Nahrung und Flüssigkeit, der Umgang mit Wunden und die Betreuung von Inkontinenz-Patienten.
„Nimmt man nur diese fünf Bereiche, dann fallen 60 Prozent aller Heime negativ auf“, lautet das Fazit von correctiv. Besonders fatal: Mehr als 50 Prozent aller Einrichtung versorgen ihre Bewohner nicht korrekt mit Medikamenten. Hans-Werner Holdermann. Foto: BPAV „Wir haben die teilweise unhaltbaren Zustände mit Blick auf das manuelle Stellen, das händische Teilen von Medikamenten und die unzureichende Kontrolle beim Stellen selbst und hinsichtlich der Arzneimittel-Wechselwirkungen immer wieder kritisiert“, sagt Hans-Werner Holdermann. Er ist Vorsitzender des Bundesverbands Patientenindividueller Arzneimittelverblisterer (BPAV). „Wenn ich jetzt lese, dass über die Hälfte aller Pflegeheime in Deutschland weiterhin teils gravierende Fehler bei der Medikamentengabe aufweisen, war und ist unsere Forderung nach einer flächendeckenden Portionierung der individuellen Medikation der Patienten durch Spezialisten dringender geboten denn je.“ Dazu einige Zahlen. Laut Untersuchungen des BPAV führt manuelles Stellen von Arzneimitteln zu einem Fehler auf 100 Arzneimittel. Wer auf maschineller Verblistern setzt, kommt auf einen Fehler pro Million Tabletten. Laut BPAV profitieren Patienten folglich von mehr Pflegequalität und weniger Hospitalisierungen. Holdermann sieht entsprechende Tätigkeiten klar in der Hand von Apothekern und deren Dienstleistern.
Apotheker haben die Zeichen der Zeit lang genug gedeutet. Je nach Auftragsvolumen lassen sie bei externen Firmen verblistern oder erwerben selbst entsprechende Gerätschaften. Bei der Akquise neuer Kunden kämpfen sie mit harten Bandagen. Um möglichst viele Heime oder Pflegedienste zu akquirieren, bieten viele Kollegen an, kostenlos zu verblistern. Recherchen von DocCheck zufolge ist das in größeren Städten häufig der Fall. Gebühren, meist ein Euro pro Patient und Woche, werden immer seltener abgerechnet. In der „Bad Homburger Erklärung zur Heimversorgung“ war noch von 3,50 Euro pro Patient und Woche die Rede. Aktuell bewertet Professor Dr. Hilko J. Meyer von der Fachhochschule Frankfurt am Main, kostenlose Leistungen als Verstoß gegen das Heilmittelwerbegesetz, Paragraph 7, und gegen apothekerliche Berufspflichten. Sowohl Heimträger als auch der Apotheker könnten wettbewerbsrechtlich belangt werden. Neben juristischen Folgen spielen wirtschaftliche Aspekte ebenfalls eine Rolle.
Dazu folgendes Beispiel aus der aktuellen Rechtsprechung. Eine Apothekerin hatte ein Heim mehrere Jahre lang mit Pharmaka versorgt. Ihr Vertrag sah unter anderem sechs Monate als Kündigungsfrist vor. Als die Pflegeleitung um ein Angebot inklusive kostenloser Verblisterung bat, argumentierte die Inhaberin, dies sei nicht möglich. Kurz darauf kündigte die Trägerschaft des Heims alle Verpflichtungen auf. Juristen gingen anschließend der Frage nach, inwieweit Schadenersatzforderungen gerechtfertigt sind. Die Pharmazeutin machte 17.000 Euro als Verlust für sechs Monate geltend – so hoch war die reguläre Kündigungsfrist. Das Landgericht Hannover billigte ihr wenigstens 13.700 Euro zu (Az: 32 O 24/14 und 32 O 24/14), während das Oberlandesgericht Celle zu Ungunsten der Apothekerin entschied (Az.: 4 U 61/15). In seiner Begründung schrieb das OLG, gemäß Muster-Heimversorgungsvertrag wäre nicht einmal eine Kündigung erforderlich gewesen, um Konkurrenten mit der Belieferung zu beauftragen. Am 14. Juli 2016 sprach der Bundesgerichtshof ein Machtwort (Az.: III ZR 446/15) – und kassierte das Celler Urteil wieder ein. Damit stellten sie sich formal hinter Apotheker und deren wirtschaftliche Belange. Ohne eine gewisse Planungssicherheit wird es eben schwer, den Betrieb zu führen – das ist auch dem BGH klar.
In diesem Kontext steht auch eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Mai 2016 (Az.: BVerwG 3 C 8.15). Demnach dürfen Inhaber in ausgelagerten Räumen alle erforderlichen Tätigkeiten zur Heimversorgung durchführen, falls keine besonderen Auflagen gelten. Möglich sind die Entgegennahme von Bestellungen, die Endkontrolle von Blisterschläuchen, die Beratung oder die Durchführung eines Medikationsmanagements. Für externe Betriebsräume seien schließlich dieselben Anforderungen an die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Apothekenbetriebs und denselben Überwachungs- und Kontrollpflichten anzuwenden wie bei der Nutzung interner Betriebsräume, heißt es in der Begründung. Zudem müssten externe Räumlichkeiten in angemessener Nähe zu der Apotheke liegen. Damit haben sich die Rahmenbedingungen zumindest etwas verbessert. Auf gesetzlich festgelegte Pauschalen für Verblisterungen warten Apotheker aber nach wie vor.